Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

verändert? Wie verändert sich das Klangbild eines Werks durch den Einsatz von historischen Instrumenten, durch eine entsprechende Spieltechnik, durch Techniken der Artikulation und Phrasierung, durch Schaffung veränderter (historischer) Besetzungen und Aufführungsbedingungen? Ein weites Feld, das in unserem Darstellungszusammenhang nicht näher begangen werden kann! Hinzu kommt, dass sich diese Fragen nicht nur im Verhältnis zur herkömmlichen (‚modernen‘) Aufführungspraxis beantworten lassen, sondern auch innerhalb der Alte-Musik-Szene, innerhalb ihrer wechselnden Stile und Weiterentwicklungen. Die Festivalgeschichte bot vielfache Möglichkeiten, sol- che Stile miteinander zu vergleichen, wenn Standardrepertoire oder bestimmte Werke von verschiede- nen Ensembles interpretiert wurden. Auch aus diesem Grund sind in der Programmplanung mehrfache Aufführungen eines Werks nicht vermieden worden. Häufig aufgeführte Werke, die einen Interpretationsvergleich herausforderten, waren: Vivaldis ‚La notte‘, Händels ‚Feuerwerksmusik‘, Händels ‚Il Trionfo‘, Bachs ‚Johannes-Passion’ oder Bachs h-moll Messe, Bachs Brandenburgische Konzerte oder Cembalokonzerte. Bei solchen Interpretationsvergleichen innerhalb und außerhalb der Alte-Musik-Szene kann es nicht um die rein akademische Frage der Authentizität gehen, also die Frage, welche Aufführung die „richtigere“ ist, sondern vor allem um die Frage, welche die gefälligere, mitreißendere, beeindruckendere, künstle- risch überzeugendere ist. Deshalb ist die historische Aufführungspraxis zu Recht offen gegenüber modernen Verfremdungen, sei es das poppige Outfit von Red Priest oder die kabarettistische Performance von Bimbetta, oder die szenisch-poetische Inszenierung von Stockholm Baroque. Im Übrigen waren die Veranstalter der TAM (Pro Musica Antiqua) – neben ihrem offenkundigen Interesse an den neuesten Trends in der Alte-Musik-Szene – immer auch offen für Grundsatzfragen nach der Bedeutung und Aktualität von Alter Musik. Schon im Jahre 1991 organisierten sie eine öffentliche Gesprächsrunde zum Thema „Alte Musik – neu gehört“, die vom Bayerischen Rundfunk veranstaltet und aufgezeichnet wurde. Am Podiumsgespräch im Runtingerhaus beteiligten sich unter der Moderation von Dr. Morbach (SFB) so bekannte Künstlerpersönlichkeiten wie Joshua Rifkin (New York), R. John Blackley (Puerto Rico), Ernst-Burghard Hilse (Berlin) und Pál Németh (Ungarn). Schwerpunkte des Barockprogramms Die Barockmusik besitzt im Programm der Tage Alter Musik gewiss eine Prävalenz (gegenüber ande- ren Geschichtsepochen). Und auch innerhalb der Barockmusik prägen gewisse Akzentsetzungen das Profil des Festivals. Unter den musikalischen Gattungen und Formen ist es vornehmlich die Kammermusik des italienischen und deutschen Barock, die das Programm dominierte. Zwar präsent, aber eher sporadisch, waren Formen, welche der Musikepoche ebenfalls ihr Gesicht gaben: etwa die solistische Musik, man denke nur an die Klaviermusik oder die Orgelmusiktradition (vor und neben Bach, also Buxtehude, Pachelbel, Frescobaldi u.a.), oder die italienische Oper bzw. andere Großformen wie das Oratorium. Gewiss wären neben der zweimaligen Aufführung von Händels „Il Trionfo“ (Aston Magna, La Risonanza) auch andere Schwerpunktsetzungen denkbar, wenn man die 40 Händel-Opern berücksichtigt, die in den letzten Jahren eine Renaissance erlebten, oder seine 40 Oratorien. Dass in Frankreichs und Englands Alter-Musik-Szene die nationalen Musiktraditionen stärker rezipiert werden, ist verständlich. Kammermusik von kleineren Ensembles oder größeren Orchestern – Solokonzerte, concerti grossi, Suiten, Sonaten und Concertos aller Art – standen im Zentrum des Barockprogramms; Bach, Vivaldi, Telemann und Händel standen dabei an erster Stelle, aber auch viele Meister in deren 119

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