Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

positionen von Alexander Borodin und zwei Werke von Nikolai Rimski-Korsakov standen auf dem Programm: seine ‚Scheherazade‘ und ‚Russische Ostern‘. Wiederum war es frappierend, welche Klangfarbigkeit und welche strukturelle Transparenz solche Werke wieder zum Blühen brachten. Publikum und Kritik goutierten es mit großer Begeisterung. Als Einführung in das Konzert lud van Immerseel zu einem Vortrag mit Workshop ein. Unter dem Titel „Was haben Rimsky-Korsakov und Borodin mit Alter Musik zu tun?“ widmete er sich dem höchstaktu- ellen Thema, ob sich nicht die Musik des 19. Jahrhunderts als zukünftiges Feld für die sog. historische Aufführungspraxis anbietet. ‚Alte Musik‘ ist nicht nur eine Frage des Repertoires, sondern genauso eine Frage des Interpretationsansatzes, der „evidenten“ (so Immerseel) Aufführungspraxis. Wenn man bedenkt, dass die Vibrato-Technik eine Erfindung des Jazz der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts darstellt, dann deutet dies an, welche Zukunftsperspektiven sich damit für die ‚Alte Musik‘ eröffnen. Neben Norrington ist van Immerseel zweifellos einer der Wegbereiter dieser Ausrichtung, die allerdings mit dem massiven Widerstand des konventionellen Musikbetriebs zu rechnen hat. 2006 gab van Immerseel einen weiteren Eindruck davon, wie (spät)romantische Musik durch eine histo- risch informierte Aufführungspraxis klingen kann. Er präsentierte ‚Les Préludes‘ von Franz Liszt, das Klavierkonzert a-Moll von Edvard Grieg und die 4. Symphonie von Peter Tschaikowsky. Jeder Hörer, der sich auf die Interpretation einließ und bereit war, von Gefühlsseligkeit und gewohntem Bombast abzurücken, verließ den Konzertraum bereichert. Über jeden Zweifel erhaben waren die Virtuosität des Orchesters und die Souveränität des Pianisten Rian de Waal. Gewiss am Provozierendsten war Immerseels vorläufig letzte Projektherausforderung: Kompositionen von Franz Liszt (u.a. der ‘Totentanz‘) und die ‚Symphonie fantastique‘ von Berlioz. Vor allem am letz- ten Werk in der Interpretation von Jos van Immerseel schieden sich die Geister. Die historisch informier- te Rekonstruktion dieser Musik war für manchen eine Dekonstruktion, für andere eine Sensation. Jedenfalls provozierte sie zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Werk. Van Immerseels Interpre- tationen wirken z.T. provozierend, in jedem Fall aber anregend, was der Aufmerksam- keit des Feuilletons inzwischen nicht mehr entgangen ist. 133 Rian de Waal zusammen mit Anima Eterna (2008)

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