Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

ven Szene‘ immer noch spürbar und an vielem ablesbar 18 : Dass die Künstlerrolle neu interpretiert wird, zeigt sich im legeren Äußeren, lockereren, unprätentiösen Auftreten, im Verzicht auf Glamour und Allüren, auf große Gesten und stilisiertes Pathos, auch im häufigen Verzicht auf die Dirigentenrolle; eine jüngere Generation Musikinteressierter trug zur Erneuerung des Konzertpublikums bei; der Konzertbetrieb hat sich von Konventionen (feierliche Aura, Starkult, Jetset, Repräsentationsfunktionen bei Staatsakten) befreit; die Musizierweise strahlt Spielwitz, Entspanntheit, Vitalität, Kreativität, inten- sive Ensemblearbeit aus (statt Beamtenmentalität in Staatsorchestern); entkrampft wurde auch die über- kommene Kunstauffassung, welche der ‚klassischen Musik‘ die Aura des Quasi-Numinosen (der Tiefe, Erbauung, Geistigkeit, existenziellen Betroffenheit) angedeihen ließ. Sicherlich mag der Auftritt einer neuen Künstlergeneration, welche den Kulturbruch der 60er Jahre erlebt hat und den konventionellen Kulturbetrieb scheute, für solche Wandlungen mit ursächlich sein. Hinzu kommen aber auch der Wunsch nach Ernsthaftigkeit, Wissenschaftlichkeit in der Auseinandersetzung mit der Musikgeschichte und die neue Orientierung an einem anspruchsvolleren interpretatorischen und technischen Niveau. Burgfrieden mit dem Mainstream? Oder wechselseitige Vorbehalte? Dass sich die Alte-Musik-Bewegung als Alternative und Opposition zum Mainstream verstand, wird von letzterem insofern bestätigt, als er das Ressentiment deutlich zurückgab: durch Totschweigen, Belächeln, Abwertung bis hin zu Attacken wie dem viel zitierten Interview von Pinchas Zukerman: „historical performance is asinine stuff /…/ a complete and absolute farce /…/ awful; nobody wants to hear that stuff. I don’t.“ 19 Die Zeit der Grabenkämpfe ließe sich auf beiden Seiten durch Zitate von Kulturschaffenden und Feuilletonisten dokumentieren, doch scheint sie inzwischen zumindest einem Burgfrieden Platz gemacht zu haben. Es häufen sich auf beiden Seiten Stimmen des Verständnisses, Respekts, der kommentarlosen Duldung, wo nicht sogar partielle Zusammenarbeit unternommen wird. Es gibt aber auch Indizien, dass die Szenen immer noch getrennt sind und sich jeweils unter einem spe- zifischen Selbstverständnis vereinigen. Dieses Selbstverständnis wird von wechselseitigen Vorbehalten gespeist. Sie seien ohne Kommentierung benannt. Apologeten der historischen Aufführungspraxis halten dem Mainstream vor: Seine Interpretationsweise, die dem 20. Jahrhundert entstammt, sei dem älteren Repertoire nicht angemessen. Als unmodifizierte und undifferenzierte Aufführungspraxis wirke sie vereinheitlichend und werde den unterschiedlichen historischen Vorgegebenheiten gewissermaßen ‚übergestülpt‘. Ob Karajan Bach, Beethoven oder Mahler spielt, es klingt im Interpretationsansatz stets gleich oder ähnlich. Inhaltlich betrachtet wirkt die- ser Einheitsstil pastos-schwerfällig, pathetisch bis sentimental, abgerundet-intransparent, im Einzelnen wären die entsprechenden Spieltechniken (z.B. Vibrato, große Bögen bei den Streichern) und die immer gleichen Klangfarben (der Instrumente) beschreibbar. Der Vorwurf zielt letztlich darauf, dass sich der Mainstream-Künstler zu wenig auf das einzelne historische Werk, den Komponisten, seine Intentionen und sein geschichtliches Umfeld einlasse. Damit verfehle und verfälsche er schließlich den musikali- schen Gehalt und unterschätze zudem die Modernität historischer Klangbilder (z.B. deren Exotik). Stattdessen – dies ein weiterer Vorbehalt – stehe die Interpretenpersönlichkeit (mit den Begleit- erscheinungen des Starkults und der eitlen Attitüden) zu sehr im Vordergrund, sie überfremde das Werk durch die Forcierung des Interpretationsstils. Der Interpretenkult ist Teil eines überkommenen Musikbetriebs, der veräußerlicht, verbürgerlicht, z.T. popularisierend wirke und sich von außermusika- lischen Faktoren (Kommerz, gesellschaftliches Feier-Dekor) leiten lasse. In der Breite befördere der 17

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