Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

mit der Tradition stehen, als die konventionelle Aufführungspraxis erahnen ließ. Wagner rückt mit Mendelssohn zusammen, Mendelssohn mit Beethoven, Beethoven mit Alter Musik. So sehen es zumin- dest Norrington und van Immerseel, und ihre Interpretationen lassen noch einiges für die Zukunft erhof- fen. Die Bilanzierung der Grundsatzdebatten über Alte Musik führt letztendlich zu der These: Alte Musik ist eine alternative Interpretationsweise, die erfolgreich nicht nur die ältere Musiküberlieferung neu ent- deckt, sondern auch neu interpretiert hat, so dass auch die Rezeption neuerer Musik dadurch entschei- dend gewinnt. Deshalb sind die Begriffe ‚historisch‘ oder ‚alt‘ tatsächlich inadäquat. Sie treffen nicht das Wesentliche. Wortspielerisch wäre der Terminus ‚Alte Musik‘ durch ‚Alt(ernativ)e (klassische) Musik‘ zu ersetzen. Die historische Informiertheit ist ein Medium, ein Weg, ein hermeneutisches Prinzip, worüber sich etwas noch Wesentlicheres vermittelt: eine alternative, neu-kreative Interpretation und Wiederentdeckung der musikalischen Tradition. So wie die musikalische Praxis zur kreativen Kritik an Hörerfahrungen anregt, so könnte die Alte Musik auch ein neues Nachdenken über Musik anstoßen – jenseits idealistischer und romantischer Deutungstraditionen (der letzten beiden Jahrhunderte). Alte Musik regt ein neues Nachdenken über Musik an. Alte Musik stellt – auch musiktheoretisch – neue Fragen bzw. alte Fragen neu. Dr. Christoph Schmid (Jg. 1947) ist promovierter Germanist, freier Mitarbeiter des Fachmagazins ‚Toccata‘, arbeitet auf dem Gebiet der Musikphilosophie („Alte Musik und Postmoderne“ (1990), „Th. W. Adorno, Bach und die Alte Musik“ (noch unveröffentlicht)) Anmerkungen: 1 Die einschlägigen Darstellungen zur Geschichte der Alte-Musik-Bewegung enden meist vor der neuesten Entwicklung (der 80er Jahre): Dieter Gutknecht, Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik, Köln 1993 (2. Auflage 1997); H. Haskell, The Early Music Revival. A History, London 1988; Ludwig Hartmann, Geschichte der historischen Aufführungspraxis. Teil I. Von den Anfängen bis Harnoncourt, (= Schriftenreihe von Pro Musica Antiqua Nr.1) Regensburg 1988 (2. Auflage 1995); immerhin bis 1990 reicht die Darstellung von Robert Strobl, Geschichte der historischen Aufführungspraxis. Teil II. 1970-1990, (= Schriftenreihe von Pro Musica Antiqua Nr. 7) Regensburg 1992; ansonsten sind die neuesten Entwicklungen eher überblicksweise angesprochen: Lawson, Colin/Stowell, Robin: Music as History, in: The Historical Performance of Music: An Introduction, Cambridge 1999, S. 1-16, oder Neumann, Frederick: The Rise of the Early Music Movement, in: New Essays On Performance Practice, Rochester 1989, S. 3-16 2 Die terminologische Debatte hat immer wieder Darstellung gefunden: vgl. Dieter Gutknecht (s.o., S. 9-47), Ingeborg Harer (in: Concerto Nr.75 (1992), S. 17-22 sowie in: Johannes Trummer (Hg.), Alte Musik, Regensburg 1994), Kerstin Neubarth (Historische Musikinstrumente, Köln 2007, S. 9-30) 3 Vgl. Gutknecht, S.14ff. 4 Dafür scheint sich z.T. Gutknecht auszusprechen: vgl. S.26ff. 5 Vgl. zu dieser Problematik Neubarth (Anm. 2) 6 Zu diskutieren wäre in diesem Zusammenhang, ob nicht der italienische Sprachgebrauch ‘strumenti evidenti’ in 30

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