Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

36 W er zu den Regensburger Tagen Alter Musik etwas sagen oder schrei- ben will, befindet sich in einer glücklichen Lage: Er braucht nicht ori- ginell zu sein. Originell ist das Festival selbst. Zum Beispiel, wenn die Veranstalter im T-Shirt und auf klapprigen Damenrädern von Konzert zu Konzert eilen. Oder wenn bei der Aufführung eines Oratoriums ein Gewitter tobt, der Dirigent – derselbe, der auch in diesem Jahr das Eröffnungskonzert leitet – sich während eines Rezitativs zum Konzertmeister wendet und ihn, für die ersten zehn Reihen gut hörbar, beruhigt: „Des war bloß a Donner!“ Originell war schon der Beginn der Tage Alter Musik Regensburg. In Südbayern, einer ehernen Bastion der musikalische Tradition, ein solches Festival ins Leben zu rufen, das war wie die Gründung einer Missionsstation in feindlichem, unwirtlichem Umland. Und zwar, im Gegensatz zu den kirchlichen Missionen, ohne den Rückhalt einer großen Institution, auf eigenes Risiko und oft genug gegen unverständliche Widerstände. Da ist es schon fast ein Wunder, was aus diesem risikoreichen und kühnen Anfang geworden ist: eines der weltweit bedeutendsten und – siehe oben – immer noch das originellste Festival der Alten Musik, ein Mekka der Szene. Jedes Jahr hatschen – wie bei der Haddsch die Pilger um die Kaaba – die Besucher um den Regensburger Dom, von einem historischen Aufführungsort zum nächsten, und das tagelang: Nicht vier Konzerte in vierzehn Tagen, das wäre schon viel, sondern vierzehn Konzerte in vier Tagen. Es wäre schön, wenn das noch lange so bliebe. Wieland Schmid Musikjournalist W er die holländische Ungezwungenheit beim Utrechter Alte Musik Festival schätzt, wird kaum glauben, dass man diese Atmosphäre - versehen mit einer Portion Lokalkolorit - auch in Regensburg findet. Dennoch ist es so: das Radl ist das beste Verkehrsmittel, um schnell zwischen den historischen Spielorten und zahlreichen Konzerten „umherzuspringen”, viel buntes Volk auf Straßen und Plätzen, zahlreiche jüngere Konzertbesucher, eine wohl- ausbalancierte Mischung aus Bekanntem und Neuem im Programmangebot, eine umfangreiche Instrumenten- und CD- Ausstellung und vor allem eine ‘un-deutsche’ Lockerheit im Management und in der Durchführung der Veranstaltungen. Es ist erstaunlich und inzwischen geradezu eine Rarität, dass die TAM seit Jahrzehnten unter ein und derselben Leitung stehen. Allen, die heutzutage meinen, permanent am Personen- und Novitäten- Karussell drehen zu müssen, zeigen die TAM, wofür ein „langer Atem” stehen kann: für jahrelang gepflegte Beziehungen zu Künstlern, die zu reizvollen, zuweilen sogar extravaganten Konzerten führen. Man muss bayerische Dickschädeligkeit besitzen, um in jahrzehntelanger Arbeit ein derartig außerge- wöhnliches Festival zu etablieren. Und kommen dann sogar gleich drei Alte Musik-Dickköpfe zusam- men, dann sind die nächsten (25) Jahre quasi schon vorprogrammiert … Bettina Schmidt Redakteurin Deutschlandradio Kultur

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