Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

der Leiter der Archivproduktion, bei dem ich mich bei den Schallplattenaufnahmen in Regensburg als Fan seines neuen Ensembles The English Concert unter Trevor Pinnock outete, ermöglichte mir den Besuch der Konzerte des English Concert und der English Baroque Soloists unter John Eliot Gardiner bei den Bachwochen Ansbach, da er selbst verhindert war. Ende der 70er Jahre habe ich auch damit begonnen Schallplatten aus dem Bereich der Alten Musik systematisch zu sammeln (später CDs) und erweiterte damit meine Kenntnis der Szene. Herr Hartmann, wie war das bei Ihnen? L.H.: Ja, natürlich durch das Singen des Gregorianischen Chorals und der sogenannten altklassischen Polyphonie eines Lasso, Palestrina, Vittoria u. v. a. kam man ja sozusagen „physisch“ mit dieser Musik in Berührung. Aber auch barocke Werke waren im Repertoire bei den Domspatzen wie die Motetten von J. S. Bach. Das sicherlich einschneidendste Erlebnis war meine Mitwirkung bei der Weltersteinspielung der Bach’schen Matthäuspassion auf histori- schen Instrumenten mit dem Concentus musicus Wien unter der Gesamtleitung von Nikolaus Harnoncourt. Im Jahr 1970 fand diese Gesamtaufnahme im Casino Zögernitz in Wien unter dem „legen- dären“ „Alte-Werk“-Produktionschef Wolf Erichson statt. Die die Männerstimmen mit Mitgliedern des King’s College Choir Cambridge. Die Chorleitung hatte David Willcocks inne. Wir waren damals sage und schreibe 14 Tage in Wien. Damals hatte man noch Zeit für Aufnahmen, heute ist das undenkbar! Und als dann Nikolaus Harnoncourt mit uns arbeitete und uns die Musik Bachs erklärte, das war elektrisierend und für uns Knaben hochmotivierend. Der für uns völlig neue Klang des Orchesters, Stastnys Traversflötenspiel, Schäftleins Oboenklang, die Gestaltungskraft des Evangelisten Kurt Equiluz, die Intensität eines Countertenors wie Paul Esswood, all diese für mich damals völlig neuen Klangwelten hinterließen bei mir einen sehr starken Eindruck. Auch wenn man das als 12-13jähriger Junge noch nicht rational überriss, so war mir plötzlich klar, dass diese Musik unglaublich aufregend und berührend sein kann. Diese Musik muss nur adäquat gespielt werden, um ihre Wirkung zu erzielen. Alles, was ich davor gehört hatte, war ja nur langweilig. 1971 durfte ich noch als Ersatzmann als Knabensopransolist zu Bachkantatenaufnahmen mit Gustav Leonhardt und dem Leonhardt Consort nach Amsterdam reisen und auch dessen Bachinterpretation war damals faszinierend, wenn auch völlig anders als Harnoncourts. Diese persönlichen Begegnungen mit solchen „Urgesteinen“ der historischen Aufführungspraxis wie Harnoncourt und Leonhardt prägten mich schon sehr und sie weckten mein Interesse an Schallplattenproduktionen dieser Interpretationsrichtung. Allerdings war das damals schon was Besonderes, wenn man Schallplatten erwarb, die mit dem Zusatz „Auf historischen Instrumenten“ ver- sehen waren, außerdem waren sie teuer. Die Bach’sche Matthäuspassion mit Harnoncourt kostete 100,- DM. Da gab es Preisbindungen. Eine Klassik-LP kostete 25,- DM, bei 4 LPs für die Matthäus- passion musste man dann eben 100,- DM bezahlen. 59 David Willcocks dirigiert die Knaben der Regensburger Domspatzen und die Männer des King’s College Chores Cambridge (Plattenauf- nahmen unter Nikolaus Harnoncourt (1970)) Knabenstimmen wurden mit Regensburger Domspatzen besetzt und

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