Tage Alter Musik – Programmheft 2003

Zum ersten Mal gastiert das 1989 gegründete Sixth Floor Orchestra in Deutschland. Das in Helsinki beheimatete Orchester ist Finnlands bedeutendstes Orchester, das sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet hat. Unter der Leitung des Cellisten Jukka Rautasalowerden die Finnen höchst ambitionierte Orchesterwerke des 18. Jahrhunderts aus ihrer Heimat vorstellen, die hierzulande nahezu unbekannt sind. Die jüngste CD-Veröffentlichung für das finnische Label Ondine unter dem Titel “The Classical Age in Finland” wurde von der Fachpresse mit großer Begeisterung aufgenommen. Solistin in Erik Tulindbergs 1. Violinkonzert ist die junge Geigerin Laura Vikman , Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe, u.a. des Leipziger Bachwettbewerbs 2002. Sie ist Konzertmeisterin des finnischen Rundfunksinfonieorchesters und spielt auf einer Violine von A. Guarneri (1680). Zum Programm: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhielt das europäische Musikleben völlig neue Impulse. Hatte sich bis dahin das Musikschaffen auf Fürstenhöfe und Gotteshäuser konzentriert, so verlagerte es sich nun - ganz im Geist der Aufklärung - in bürgerliche Musikgesellschaften und öffentliche Konzerte. Finnland gehörte bis 1808/09 als vollwertiger Landesteil zum Königreich Schweden. Unter der Regentschaft von Gustav III. (1771-1792) entwickelte sich ein reiches musikalisches Leben. Bereits im ersten Jahr seiner Regentschaft wurde die Königliche Musikakademie gegründet und zwei Jahre später - 1773 - öffnete die Stockholmer Oper ihre Pforten. Aus dem Ausland wurden führende Komponisten und Dirigenten engagiert, so Abbé Georg Joseph Vogler, dessen »Visitenkarte«, die Adventhymne Hosianna (Stockholm 1795, Aufführung in Turku/Finnland vermutlich 1797), noch heute in Schweden sehr beliebt ist. Konzertmeister der Hofkapelle war 1773-1790 der Violinist Erik Ferling (1733-1808), ein berühmter Musiker, den sogar Carl Michael Bellman in einem seiner Lieder erwähnt. Mitglied der Königlichen Musikakademie wurde Ferling schon 1773. Er trat oft als Solist der Hofkapelle auf und veranstaltete als erster in Stockholm öffentliche Konzerte mit Kammermusik - Erik Ferling war ein wichtiger Förderer der Haydnschen Quartette. Erik Tulindberg (*1761 Vähäkyrö/Westfinnland, +1814 Turku), ein talentierter Geiger und Cellist, gilt als erster bedeutender Komponist Finnlands. 1784 wurde er Beamter in der nordfinnischen Verwaltungsstadt Oulu, doch 1809 zog er zurück nach Turku, wo er anfangs Mitglied des Staatsrates und Vorsitzender des Finanzausschusses und später Provinzkämmerer war. Sein wichtigstes Vorbild als Komponist war zweifellos Haydn, denn neben anderen Werken finden sich in Tulindbergs größtenteils erhalten gebliebener Notensammlung auch die Quartette dieses Meisters. Erik Tulindbergs eigene sechs Streichquartette wurden erst 1925 entdeckt. Sie bezeugen ein hohes Können und ausgeprägtes Stilgefühl. DasViolinkonzert Nr. 1 B-Dur (die Nr. 2 ist nicht überliefert) wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Die Noten befanden sich im Nachlass Patrik Alströmers, der treibenden Kraft hinter der Gründung der Stockholmer Musikakademie. (Alströmer war später Sekretär der Akademie und Musikdirektor der Utile Dulci-Gesellschaft.) Tulindberg hat sein Konzert anscheinend nach Stockholm geschickt, um dort Anerkennung zu finden. Im Jahr 1797 nahm man ihn auch wirklich in die Musikakademie auf. Die 1. Violinstimme seines Konzerts liegt heute in Turku in einem Archivschuber, der die Jahreszahl 1783 trägt. Möglicherweise wurde das Konzert zu diesem Zeitpunkt komponiert oder uraufgeführt. Im Jahr 1782 schreibt jedenfalls Henrik Gabriel Porthan in einem Brief anlässlich der Feiern zur Geburt des Prinzen Carl Gustav: »Neben anderen Festlichkeiten [...] gaben unsere Virtuosen, die Magister Röring, Nordberg und Tulindberg, mit Hilfe anderer ein Konzert in der Akademie.« Das Violinkonzert erinnert an Haydns Jugendkonzerte und hat drei Sätze: Allegro - Romance grazioso - Rondo (Tempo di menuetto). Aus diesem Grund kann man es einem damals häufigen Typus der Mannheimer Schule zuordnen, den Mozart schließlich verfeinerte. Das Menuett am Schluss entwickelt sich wie üblich zu einer Variationsreihe. Sie bietet neben ausgezeichneten virtuosen Abschnitten auch Raum für eine Kadenz. Diese Kadenz, die nicht erhalten ist, sollte eventuell improvisiert werden. Das Musikleben in Turku nahm wieder beständigere Formen an, als 1790 in der Stadt eine Musikalische Gesellschaft gegründet wurde. Sie besaß gemäß Reglement zweierlei Mitglieder: die »Musiker«, an ihrer Spitze Professor Tengström und Dozent Isak Nordberg, der erste Direktor des Orchesters, und die »Musikfreunde«, deren bekanntestes Mitglied Professor Porthan gewesen sein dürfte. Dem Orchester der Gesellschaft, das regelmäßig zu Proben zusammentrat und öffentlich konzertierte, gehörten Professoren, Studenten und sonstige Laienmusiker an, und, falls nötig, auch Militärmusiker, die honoriert wurden. Als Konzertmeister (Dirigent) berief man Erik Ferling, dessen Glanzzeit als Virtuose wohl schon vorbei war. Er traf im Herbst 1790 in Turku ein und wirkte neben seiner Tätigkeit beim Orchester auch als Kammermusiker und Geigenlehrer. Ferling war der erste Musiker in Finnland, der sich außerhalb der traditionellen Institutionen Kirche, Militär und Universität betätigte. Für die festlichen Zusammenkünfte der Musikalischen Gesellschaft, die meist am 24. Januar stattfanden, dem Geburtstag Gustav III. und Jahresfest der Gesellschaft, komponierSixth Floor Orchestra (Helsinki) JUNI 2003 Samstag, 7. Juni 2003, 16.00 Uhr, St.-Oswald-Kirche , Weißgerbergraben Leitung u. Violoncello: Jukka Rautasalo; Laura Vikman , Solovioline Klassische Orchestermusik des 18. Jahrhunderts aus Finnland und Schweden 10 Sixth Floor Orchestra Jukka Rautasalo Laura Vikman

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