Tage Alter Musik – Programmheft 2003

Das Terra Nova Consort wurde 1988 von Sue Carney und Pat O’Scannell gegründet und zählt mittlerweile zu den prominentesten Renaissance-Ensembles der USA. Seit 1990 ist die Gruppe ,Ensemble in residence‘ des Oregon Shakespeare Festivals. Den internationalen Durchbruch auf dem CD-Markt schafften die Amerikaner mit der 1999 bei Dorian veröffentlichten CD „Renaissance in Provence”. 2001 erschien die zweite Einspielung mit dem spanischen Programm „Baylado”. Unter diesem Titel steht auch das diesjährige Eröffnungskonzert der Tage Alter Musik. Nach ihrem spektakulären Erfolg mit dem Programm „Renaissance en Provence” beim Deutschland-Debut im Jahr 2000 gastiert die Gruppe zum zweiten Mal in Regensburg. Ihr unverwechselbarer, schwungvoller und lebhafter Umgang mit dem spanischen Renaissance-Repertoire nimmt bewusst Traditionen der Volksmusik ( Cantos populares) auf, betont den starken arabischen Einfluss dieser Musik und führt so zu verblüffenden klanglichen Ergebnissen. Dabei spielt sowohl das perkussive Element als auch die rauhe, emotionale Vokalpraxis des spanischen Cante jondo eine herausragende Rolle. Gleichsam einem Renaissancegitarrenorchester entsprechend bestimmen Vihuelas und Gitarren das Klangbild. Die „unorthodoxe” Spielweise der Schalmeien erinnert an denGaita , den spanischen Dudelsack. Zum Programm: Das musikalische Erbe Andalusiens „Es ist ein großer Fehler sich vorzustellen, Andalusien sei ein Land, wo Ignoranz vorherrscht. Ich kenne wenige Regionen, in denen man im Vergleich derart viele kultivierte Leute findet. Viele von ihnen, wenn nicht die Mehrheit, sind Analphabeten, aber das ist etwas anderes. Was ich meine, ist hauptsächlich ihre Liebenswürdigkeit, ihr Witz, ihr Gefühl für Schönheit, ihre Würde. Eine Sache, die man durch das Leben gut gelernt hat, ist besser als hundert Sachen, die man halb aus Büchern gelernt hat.” Irving Henry Brown, Deep Song: Adventures with Gypsy Songs and Singers in Andalusia (1929) Die Heirat zwischen Ferdinand II. von Aragon und Isabella von Kastilien im Jahre 1469 leitete in Spanien eine neue Epoche ein. Die formale Vereinigung der beiden Königreiche Kastilien und Aragon erfolgte 1479 im Frieden von Alcacovas und brachte somit den größten Teil des christlichen Spaniens zusammen. Los reyes católicos („die katholischen Könige”) suchten zum Zwecke der Vereinigung ihrer früher konkurrierenden Herrschaftsbereiche das moslemische Reich im Süden zu eliminieren. Nach mehreren bemerkenswerten Schlachten wurde die Hauptstadt des Emirs, Granada, schließlich ausgehungert und ergab sich 1492. Am 31. März 1492 gaben die katholischen Monarchen ein Vertreibungsedikt heraus, das allen Juden und Muslimen (nicht nur denen, die in den eroberten Gebieten Granadas wohnten, sondern auch denen, die immer in anderen Teilen Kastiliens und Aragons gelebt hatten) die Wahl anbot, bis zum 31. Juli entweder zum Katholizismus zu konvertieren oder Spanien für immer zu verlassen. Zehntausende wählten das Exil; Inquisitoren wurden angestellt, die die Ernsthaftigkeit der Konversion derer, die blieben, testen und bezeugen sollten. Mehrere Aufstände der Morisken, wie die Spanier die konvertierten Mauren nannten, wurden von Ferdinand und seinen Nordarmeen am Anfang des 16. Jahrhunderts brutal niedergeschlagen, und aus dem Süden Spaniens wurde sozusagen ein besetztes Land innerhalb eines Landes. Andalusien hatte so eine lange Geschichte kultureller Identität hinter sich, die unterschiedlich war und doch verwandt mit dem Rest Spaniens, als das Siglo d’Oro oder das „goldene Jahrhundert” der spanischen Renaissance begann. Während des 16. Jahrhunderts verwehrten militärische Okkupation einer-seits und die Aktivitäten der Inquisition (bei der Umerziehung der konvertierten Morisken) andererseits dem größten Teil der Region die Teilhabe am ökonomischen Wohlstand, der durch das Hereinströmen von Schätzen aus den neuen Besitzungen in Nord- und Südamerika, nach Spanien (seit 1492) zustande kam. Die wertvollen Metalle und Edelsteine erreichten Spanien über Cadiz und Sevilla in Andalusien, fanden aber schnell ihren Weg zu den alten Königshöfen im Norden und hinterließen in Andalusien nur die fantastischen Erzählungen von aus der Neuen Welt zurückkehrenden Seeleuten und Söldnern in Hafenkneipen. So ist es nicht überraschend, dass viel von der bekanntesten weltlichen Musik der spanischen Renaissance Quellen außerhalb Andalusiens entstammt - Madrid, Toledo, Valladolid, Barcelona, Valencia. Diese Städte waren Hof- und Universitätszentren und vieles von der Musik, die wir in diesen Quellen finden, zeigt gelehrten, höfischen Stil. Was wir aus schriftlichen Quellen über die Aufführungspraxis des Siglo d’Orowissen, stammt auch aus Abhandlungen und Beschreibungen über höfische Musizierpraxis, wie z. B. Luis Miláns El Cortesanomit seinen Berichten vom Vizekönigshof in Valencia. Mit Ausnahme von Aufzeichnungen in Kathedralen über Kirchenmusik liegt Andalusien weitgehend abseits aller schriftlichen Quellen. Aber Andalusien hat andersartige Hinweise auf die Musik seiner Bewohner während des Renaissancezeitalters hinterlassen, nämlich das reiche und unverwechselbare Vermächtnis seiner traditionellen Musik. Der cante jondo und cante flamenco , die in Andalusien entstanden, verkörpern die Charakteristika, die der Rest der Welt als spezifisch spanisch ansieht, deutlicher als irgendeine andere Musik. Der cante jondo (von andalu-sisch hondo , d.h. tief, innerlich), wurzelt nicht nur emotional tief in der Seele Andalusiens und den Herzen seiner Bewohner, sondern ist auch chronologisch in beider Historie festgeschrieben. In der Befürchtung, dass Musik eine vereinigende und eine eigene maurische Kultur möglicherweise aufrechterhaltenThe Terra Nova Consort (USA) JUNI 2003 Freitag, 6. Juni 2003, 20.00 Uhr Reichssaal , Rathausplatz Leitung: Sue Carney & Pat O’Scannell ¡Baylado! - Renaissancemusik aus Spanien 4 The Terra Nova Consort bei den Tagen Alter Musik 2000

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