Tage Alter Musik – Programmheft 2005

Zum Programm: Inhalt Im Mittelpunkt des visionären Dramas steht die menschliche Seele, die den Zusammenprall zwischen sich, den himmlischen Mächten und der Unterwelt erlebt. Zunächst möchte die Seele zu den Tugenden emporsteigen. Bevor die Seele jedoch von den Himmelsbewohnern in Empfang genommen werden kann, erringt der Teufel ihre Aufmerksamkeit, indem er ihr verspricht, großes Ansehen in der Welt zu erlangen. Der Teufel bestätigt die nun unglückliche Seele in der Sinnlosigkeit ihres bisherigen Bemühens. Sie geht auf sein Angebot ein und streift ihre "Unschuld" ab. Die Tugenden leiden unter dem Verlust einer jeden Seele und beklagen bitter den Sieg des Teufels. Obwohl er sie mit Beschimpfungen überhäuft, kann er ihnen dennoch nichts anhaben. Die Tugenden bewegen sich gemeinsam und feiern ihren seligen Zustand. Die verführte Seele kehrt zurück und wird nun von den Himmelsbewohnern aufgenommen. Ordo Virtutum heute Das Mysterienspiel Ordo Virtutum (Spiel der Kräfte) der rheinischen Mystikerin Hildegard von Bingen ist sowohl ein wichtiges Zeugnis der geistlichen Minnemystik des 12. Jahrhunderts als auch ein universal bedeutsames, die Zeiten überdauerndes musikalisches Drama über die Kräfte des Himmlischen und deren diabolischen Widersacher: die menschliche Seele (Anima) wird geprüft, vom Satan versucht und verletzt, hat sich zu entscheiden und wird schließlich gereinigt in den Kreis der himmlischen Tugenden (Virtutes) aufgenommen, wodurch der Teufel vernichtet wird. Ein genaues Entstehungsdatum lässt sich leider nicht belegen, ebensowenig eine konkrete Verwendung, obwohl es aufgrund der Thematik naheliegt, dass es ein Initiationsritual für junge Novizinnen im Kloster Hildegards war, in Form einer szenischen Meditation über die spirituelle Hingabe des Klosterlebens. Ebenso denkbar ist die Entstehung dieses Spiels über den universellen Seelenkampf im Zusammenhang mit der Klostereinweihung auf dem Rupertsberg. Das Ordo Virtutum ist im Buch Scivias zuerst als textliche Vision Hildegards dokumentiert und wurde später von ihr zu einer musikalischen Fassung erweitert. Hat es also bei Hildegard von Bingen eine mündlich vermittelte, musikalische Aufführungspraxis gegeben, die erst später in schriftlicher Form niedergelegt wurde? Wir gehen bei unserem künstlerischen Zugang unbedingt hiervon aus und halten uns bei unserem Projekt an die kürzere erste Textfassung, zu welcher es möglich ist, die Melodien der späteren Fassung nahtlos zu unterlegen. Aus der späteren auskomponierten Fassung haben wir das grandiose Finale „In principio“ und den Tropus „O vivens fons“ wieder eingefügt, sowie die Castitas-Szene. Den großen Tugendreigen der späten Fassung (die umfangreiche solistische Vorstellung aller einzelnen Virtutes mit jeweiliger Antwort der gesamten Gemeinschaft) haben wir weggelassen und stattdessen den thematisch passenden Prolog „Nos virtutes in Deo sumus“ aus der Scivias-Fassung vorangestellt, welcher von Hildegard nie schriftlich vertont wurde, der aber unserer Meinung nach dennoch in ihrem Kloster gesungen wurde. Um ihn erklingen zu lassen, haben wir diesen kurzen Text mit gregorianischen Melodiemustern unterlegt, die bewusst sehr schlicht gehalten sind. Die Musik Hildegards von Bingen wurde vom Scivias Chor nach den originalen Neumen einstudiert und von den Sängerinnen im Bewusstsein ihrer besonderen Wirkungskräfte verinnerlicht. Der Einsatz von instrumentaler Begleitung erfolgt bewusst asynchron zu den Gesängen, um einen organischen Fluss zu gewährleisten. Flöte und Fidel (gelegentlich Harfe) begleiten TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2005 16 Scivias-Chor (Berlin) Samstag, 14. Mai 2005, 20.00 Uhr, Minoritenkirche , Dachauplatz Susanne Ansorg, Fidel Norbert Rodenkirchen, Traversflöte, Harfe Gislinde Strunz, Konzept und Regie Conny Lüders, Kostüme Martin Kamratowski, Bühne Gesamtleitung: Norbert Rodenkirchen Rebecca Bain, Anima (Seele) Tarquinia Hill, Humilitas (Demut) Elio Popolo, Diabolus (Teufel) Scivias-Chor, Virtutes (Tugenden) Hildegard von Bingen (1098-1179): Ordo Virtutum (ca. 1151) Das Spiel der Kräfte – Ein mittelalterliches Mysterienspiel Foto: Anne Winkler Foto: Anne Winkler Foto: Anne Winkler

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