Tage Alter Musik – Programmheft 2006

Zum dritten Mal nach 1997 und 2000 gastiert der Barockharfen-VirtuoseAndrew Lawrence-Kingmit seinem hoch gerühmten und weltweit gefeierten Harp Consort in Regensburg. Das Repertoire desHarp Consorts reicht vom Sololied bis zur Barockoper, vom mittelalterlichen Drama bis zu neuer Musik für alte Instrumente. Dabei bildet die Kunst der Improvisation innerhalb verschiedener Stilrichtungen einen besonderen Reiz bei Konzerten und CD-Einspielungen des Ensembles. Neben seiner Konzerttätigkeit mit demHarp ConsortgibtAndrew Lawrence-King zahlreiche Solokonzerte und ist häufig Gastdirigent verschiedener Barockorchester. Er unterrichtet an der Escuela Superior de Musica de Catalunya in Barcelona. Als begeisterter Segler besitzt er den begehrten Segelschein der Royal Yachting Association und verbringt den größten Teil seiner freien Zeit an Bord seines Bootes „Continuo“. Zahlreiche CD-Einspielungen desHarp Consorts erhielten renommierte Schallplattenpreise. Die Debut-CD Luz y norte erhielt den französischen Diapason D’Or und wurde zu einem Verkaufshit. DieMissa Mexicanawurde von der London Times zur „Einspielung des Jahres“ erkoren. Das Harp Consort nimmt exklusiv für Harmonia Mundi USA auf. Zum Programm: Für Spanien war das 16. Jahrhundert ein Zeitalter der Entdeckungen. Abenteuerlustige Seeleute hatten bei der Überquerung des Atlantiks auf der Suche nach einer neuen Route nach China einen unbekannten Kontinent gefunden, eine „neue Welt“. Musiker waren nicht weniger abenteuerlustig, wenn sie die Kluft zwischen hoher Kunst und volkstümlichen Stilarten auf der Suche nach neuen Wegen zum Herzen des Zuhörers überwanden. Sie fanden eine neue Welt raffinierter und fantastischer Musik, exotischer Tänze, erdiger Rhythmen und ausdrucksvoller Harmonien, eine weite Landschaft, in der die formalen Strukturen p o l y p h o n e r Musik neu entwickelt werden konnten. Die neuentdeckten Länder des Westens boten nicht nur Gold und Silber an, sondern auch kulturelle Reichtümer: Sprachen, Musik und Tänze, die – wenn sie auf die iberische Halbinsel gebracht wurden – eine tiefgreifende Wirkung auf die Kunstformen des Mutterlandes ausübten. Dieser Kulturaustausch war wirklich gegenseitig, da der Formalismus der Alten Welt sich mit der Energie der Neuen Welt vermischte und sogar viele Facetten ausbildete, da portugiesische, afrikanische, spanische, italienische und eingeborene amerikanische Einflüsse alle zu neuen musikalischen und literarischen Gattungen beitrugen. Um 1500 fand ein vergleichbarer kultureller Austausch über die europäische Nord-Süd-Trennlinie hinweg statt. Die unverwechselbaren Farben iberischer Musik kamen in Kontakt mit der Erhabenheit franko-flämischer Polyphonie, mit der Silbenklarheit des französischen chansonund mit den maurischen Traditionen der spanischen romances . In Portugal zerstörte das Erdbeben, das Lissabon am Allerheiligentag des Jahres 1755 traf, zahllose Bücher und Handschriften: viele frühe Gedichte und Lieder hinterließen bei der Zerstörung keinerlei Spuren. Aber Handschriften in abgelegenen Klöstern oder aus der Neuen Welt blieben wie auch drei höchst wichtige Renaissance-Liederbücher, die in Lissabon, Elvas und Paris erhaltenen cancioneiros . Das Buch neuer Zifferntabulaturen für Cembalo, Harfe und Vihuela (Alcalá de Henares, 1557) von Luis Venegas de Henestrosa ist eine eindrucksvolle Momentaufnahme des Musiklebens am spanischen Hof Karls V. mit dem ganzen Formenreichtum und der stilistischen Vielgestaltigkeit, die die Musik dieses weltoffenen Hofes auszeichneten. Die von Henestrosa in Tabulaturschrift notierten Stücke sind zum allergrößten Teil keine eigenen Kompositionen, er hat sie vielmehr dem Werk der berühmtesten spanischen und nichtspanischen Komponisten seiner Zeit entnommen: Cabezón, Mudarra, Josquin Desprez, Crequillon. Die Sammlung umfasst Volkstänze und spanische villancicos ebenso wie französische Chansons und musikalisch höchst anspruchsvolle Fantasien oder tientos. Die Bestrebungen Henestrosas waren nicht darauf beschränkt, dieses Repertoire spanischen Musikern zugänglich zu machen und Vokalmusik für Instrumente einzurichten. Er nahm tiefe Eingriffe an den Originalkompositionen vor und bearbeitete sie in einer Art und Weise, die heutige Herausgeber geradezu empörend fänden. Eine der verwegensten Techniken, deren er sich bediente, bestand darin, ganze Fantasien neu zusammenzubauen, indem er Abschnitte, die anderen Werken entnommen waren, einfügte und somit Schöpfungen mehrerer Komponisten vermischte. Dieses Verfahren des „Zusammenstoppelns“ stieß bei den Musikwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts auf besonders heftige Kritik, tatsächlich ergibt es sich aber durchaus folgerichtig aus dem Musikdenken zur Zeit Henestrosas. Als große künstlerische Leistung betrachtete man nicht nur das neugeschaffene Werk eines Künstlers, sondern auch die Bearbeitung dieses Werkes durch einen anderen Musiker in Gestalt improvisierter oder ausgeschriebener Verzierungen, Variationen und formaler Umgestaltung. Die Intavolierungen Henestrosas sind deshalb nur ein Glied in einer Kette künstlerischen Schaffens, die Musiker unterschiedlicher Musikkulturen in einem Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte übergreifenden Zusammenwirken miteinander verbindet. Der Erfolg der franko-flämischen Musik und ihre Verbreitung in ganz Europa wurden begünstigt durch die von Kaiser Karl V. geknüpften TAGEALTERMUSIKREGENSBURG The Harp Consort JUNI2006 Montag, 5. Juni 2006, 16.00 Uhr, St.-Oswald-Kirche , Weißgerbergraben Leitung: Andrew Lawrence-King El arte de fantasía – Venegas de Henestrosa 1557, Lucas Ruiz de Ribayaz 1677 – 120 Jahre Tanzmusik, Tientos & Chansons aus Spanien, Portugal und Südamerika 38 The Harp Consort Foto: Tim Feak Andrew Lawrence-King

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