Tage Alter Musik – Programmheft 2007

doxie zugesteht, jedoch auch weiterhin alte traditionelle Elemente treu überliefert. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand durch die Ankunft von sephardi- schen Intellektuellen und Kabbalisten im Oberen Galiläa der jüdisch-spanische Mysti- zismus, der eine religiöse sephardische Dich- tung hervorbrachte, deren Wurzeln in der mittelalterlichen spanisch-jüdischen Poesie liegen. Die Musik nahm eine wichtige Rolle in den kabbalistischen Kreisen der Sepharden ein und diente als feinste Vo- kalmusik vor allem als Mittel zur religiösen Andacht und zur Kommuni- kation zwischen Mensch und Gott. Aus diesen Kreisen und dieser Epoche stammen die Ursprünge der als ba- casot (Bitten, Flehen) bekannten paraliturgischen Gesänge und der Brauch, dass sich die Männer um Mitternacht erheben, um Lobgesänge auf Gott und Gesänge mystischen Inhalts anzustimmen. Dieser Brauch verbreitete sich im 17. und 18. Jahrhundert im Großteil der jüdischen Ge- meinden und ist, obgleich er während des 19. Jahrhundert vom Ausster- ben bedroht war, bis heute in den Traditionen Syriens und Marokkos er- halten geblieben. Aus letzterer entstammen die Stücke Dodí yarad leganó , dessen Entwicklung der Tradition der arabisch-andalusischen Nuba folgt und das hier im hidjaz al-kabir -Modus gesungen wird, und Kol berué, das, als Frage-und-Antwort-Gesang interpretiert, für die moderneren Einflüs- se der westlichen Tradition steht. Seit Ende des 16. Jahrhunderts hat die westlich-sephardische Musik viele Elemente des makames -Systems der klassischen osmanischen Musik in sich aufgenommen, und eine der ersten Quellen, die den Gebrauch der türkischen makam durch die Juden beschreibt, ist eine Sammlung von li- turgischen Gedichten, die 1587 in Safed von dem Sänger, Dichter und Mu- siker Israel R. Najara (ca. 1555-1625) herausgegeben wurde. Diese Samm- lung diente seit ihrer Veröffentlichung im 16. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielen jüdischen Dichtern aus verschiedenen Gegenden des Osmanischen Reichs als Modell und Leitfaden. Der Großteil der liturgi- schen Gesänge und Gedichte mit mystischem Inhalt dieses Konzertpro- gramms stützen sich auf Melodien, die den durch Najara etablierten Lini- en folgen. An der Liturgie nehmen nur Männer aktiv teil, auch wenn in bestimmten paraliturgischen Bereichen, besonders bei der Interpretation von coplas oder romances , deren Texte nicht mehr in Hebräisch, sondern in sefardí ge- sungen werden, Frauen aktiv beteiligt sind. Die coplas , die meist schrift- lich überliefert wurden, sind die charakteristischste Gattung der sephar- dischen Literatur. Sie behandeln meist religiöse Themen und werden im Rahmen von paraliturgischen Veranstaltungen gesungen. Bei den beiden coplas , die in diesem Programm zur Aufführung kommen, stechen die Fülle der melismatischen Figuren sowie die Vokal- und Instrumentalim- provisationen hervor, die hier von Blasinstrumenten wie der Nay über- nommen werden, die in der türkischen religiösen Musik verwendet wird und in der sufischen Musik eine große Rolle spielt. Aus letzterer wurden verschiedene Elemente von den Sephardim in ihre paraliturgischen Ge- sänge integriert. Die Romanze Los siete hijos de Hana ist biblischen Ursprungs und wird meist als Elegie an die Tis ‘á beab , die Zerstörung des Tempels von Jerusa- lem gesungen. Das Programm beinhaltet auch einen Hochzeitsgesang, El arreglo de la novia , in dem die harmonischen Dissonanzen in den Chor- Antworten hervorstechen, und Fragmente des Hohelieds Salomons ( Cantar de los Cantares). Beide werden meist vor dem Samstags-Gottesdienst zwi- schen den Feierlichkeiten des Passah- und des Schawuot-Festes gesun- gen. Die sephardische musikalische Liturgie, eingebettet in die Festlichkeiten des hebräischen Kalenderjahres, stellt somit ein Mittel dar, um die Kom- munikation zwischen Mensch und Gott und eine Annäherung des Volkes an seinen Schöpfer zu ermöglichen. Die täglichen Gebete, die liturgischen Gedichte und die Pracht der jüdisch-spanischen Mystik erschaffen eine Musik, die bis in die Tiefe unserer Seele vordringt. © Miguel Sánchez T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2007 11 P ROGRAMM Y EHUDÁ ABEN A BBÁS . S. XII ‘Et sa ‘aré rason C OPLA (I STANBUL ) Nostalgia y alabanza de Jerusalén A BRAHAM ABEN ‘E ZRÁ (um 1089-1167) Ki esmera sabat H OHES L IED S ALOMOS (1:1– 3; 6:2–3) Sir hasirim S ALOMÓN ABEN G ABIROL (um 1020-1057) Lesoni bonanta H AYIM H ACOHEN (1585-1655) Dodí yarad leganó B IBLISCHE B ALLADE (Salónica) Los siete hijos de Hana B USSGEBET (Alepo) Eleja Adonay C OPLA . A BRAHAM T OLEDO , S. XVII - XVIII Noche de aljad Y EHUDÁ H ALEVÍ (apr. 1075-1141) Yede rasim H OCHZEITSLIED (Bulgarien) El arreglo de la novia S ALOMÓN M OSÉ A LASKAR (1465–1542) Kol berué Dieses Konzert wird in besonderer Weise vom Instituto Cervantes, München unterstützt. A USFÜHRENDE A LIA M USICA Albina Cuadrado Gesang Jose Antonio Carril Gesang Aziz Samsaoui Kanun Miguel Sánchez Gesang, arabische Laute Carlos Garcia Gesang, Kemanya Carlos Ghiringhelli Gesang, arabische Laute, Nay Miguel Sánchez

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