Tage Alter Musik – Programmheft 2007

T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2007 Zum Programm: Concertare meint wettstreiten , das Wesen eines Concerto besteht im Mit- und Gegeneinander von Solist und begleitendem Streicherensemble, und es liegt in der Natur der Sache, dass sich dieser Dialog im Falle einer Übertragung auf nur ein einziges Instrument - hier das Cembalo - klanglich nur bedingt nachvollziehen lässt. Vor allem deswegen hat Naoki Kitaya sich entschie- den, dem Solocembalo ein Begleitensemble verschiedener Bassinstrumente gegenüberzustellen - eine Entscheidung, die sich in verschiedener Hinsicht bezahlt macht: Klar grenzt sich der Orgelpunkt im Eröffnungssatz des Con- certo in C BWV 976 von den anderen Stimmen ab, reizvoll setzt im zweiten Satz der Bass dem Arioso der Oberstimme seine eigene Linie entgegen, ge- radezu trotzig wirken die rhythmischen Impulse im abschließendenAllegro und unterstreichen vom Continuo aus den „alla rustica“ Charakter des ge- samten Satzes. Und wer den langsamen Mittelsatz des Konzerts BWV 974 hört, des berühmten Oboenkonzerts von Alessandro Marcello, kann sich vom Cantabile der Melodie oder den einfühlsamen Improvisationen der Continuo-Gruppe verzaubern lassen und er wird den Interpreten Recht geben, dass „weniger“ nicht immer „mehr“ bedeuten muss und im heuti- gen Konzert ein „mehr an Instrumenten“ durchaus ein „mehr an Wirkung“ erzielt - auch wenn eine solche Besetzung von Bach eigentlich nicht vorge- sehen ist. Ein Concerto interpretiert Naoki Kitaya als reines Cembalo Solo, und auch dafür gibt es gute Gründe: Das gesamte Concerto in G BWV 973 fällt sehr „clavieristisch“ aus: Hier erinnert das Largo in der versonnenenAusdrucks- tiefe seiner schlichten, dezent mit „Manieren“ angereicherten Kantilene über ruhig schreitendem Bass fast an das Thema der „Goldberg-Variatio- nen“, wohingegen die beiden Ecksätze in rasanten Akkordbrechungen, ge- genläufigen Skalen in beiden Händen etc. eine spieltechnische Virtuosität entwickeln, die sich selbst genügt und keinen Raum mehr lässt für weitere Begleitinstrumente. Bach transkribierte einige der damals modernsten und besten Konzerte ita- lienischer Komponisten wie Vivaldi (10 Konzerte), Alessandro und Bene- detto Marcello und Giuseppe Torelli, zwei weitere Vorlagen sind noch nicht genau identifizierbar. Alle Bearbeitungen entstanden in den Jahren 1713/14 und fallen somit in Bachs Weimarer Zeit. Unter den Konzert-Bearbeitungen befinden sich auch vier Transkriptionen von Kompositionen aus der Feder des jungen Prinzen Johann Ernst von Sachsen-Weimar , von Bach vielleicht eine Freundschaftsgeste gegenüber dem elf Jahre jüngeren musikliebenden Freund? Oder war dieser selbst der Auftraggeber? Dann - so H.-J. Schulze - „zieht dies einige Schlussfolgerungen nach sich: dass die Transkriptionen einen Teil des in Weimar vorhandenen – durch Neuerwerbungen des Prin- zen erweiterten – Konzertrepertoires widerspiegeln, dass die Konzertpraxis der Hofkapelle Bach Gelegenheit zum Kennenlernen der Originalkomposi- tionen geboten haben muss und dass die Bearbeitungen somit weniger als Studienwerke aufzufassen sind, als vielmehr als aufführungspraktische Va- riante und virtuose Vortragsliteratur.“ In der Tat muss es Bach gereizt haben, Ensemble-Kompositionen für Tasteninstrument zu bearbeiten, ja teilweise „umzuschreiben“. Man vergleiche hier das G-Dur Violinkonzert des Prinzen Johann Ernst mit der Bachschen Transkription BWV 592a , die an dritter Stelle im heutigen Konzert erklingt, und wird feststellen, wie schöpferisch die Be- arbeitung ist: Bach erweiterte einige Abschnitte, intensivierte die Harmonik des Ganzen und übertrug die Effekte der Violine auf das Tasteninstrument. Vor geradezu akrobatische Ansprüche stellt Bach den Interpreten in seiner Bearbeitung von Vivaldis Concerto RV 208 , schon zu Lebzeiten des Kompo- nisten sehr beliebt und unter demTitel „Grosso Mogul“ bekannt. Ähnlich wie in den Konzerten aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ wird auch hier der Titel zum Programm. Gleich zu Beginn wird dem Hörer das großspurige Auf- trumpfen des Großmoguls mit stampfendem Rhythmus vorgeführt, exoti- sches Kolorit entwickelt vor allem die ausgedehnte Kadenz gegen Ende des dritten Satzes mit ihren bizarren Trillern, engschrittigen Motiven und chro- matischen Modulationen. Fast stellt sich die Frage, durch wessen Auftritt der europäische Höfling des 18. Jahrhunderts wohl in größeres Erstaunen hätte versetzt werden können - durch den eines extravagant gewandeten „Grosso Mogul“ oder den eines großmächtigen „Tasten-Tigers“ vom Schla- ge eines Johann Sebastian Bach, der mit diesem Concerto ein wahres Feuer- werk der aberwitzigsten Figuren vor denAugen und Ohren seines verblüff- ten Publikums abfackelt. 35 AA USFÜHRENDE N AOKI K ITAYA , Cembalo & C ONTINUO C ONSORT Sofie Vanden Eynde Theorbe Felix Knecht Violoncello Daniel Oman Colascione (Basslaute) Martina Schobersberger Cembalo P ROGRAMM J OHANN S EBASTIAN B ACH Concerto d-Moll BWV 596 (1685-1750) nach dem Concerto d-Moll op.3/11 (RV 565) für 2 Violinen, Violoncello, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi Allegro – Grave – Fuga – Largo e spiccato – Allegro Concerto D-Dur BWV 972 nach dem Concerto D-Dur op. 3/9 (RV 290) für Violine, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi Allegro – Larghetto – Allegro Concerto G-Dur BWV 592a nach dem Concerto G-Dur für Violine, Streicher und Basso continuo von Johann Ernst Prinz von Sachsen-Weimar Allegro assai – Grave – Presto Concerto C-Dur BWV 976 nach dem Concerto E-Dur op. 3/12 (RV 265) für Violine, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi Allegro – Largo – Allegro KURZE PAUSE (5 Min. Bitte bleiben Sie auf den Plätzen!) Concerto G-Dur BWV 973 nach dem Concerto G-Dur op. 7/8 (RV 299) für Violine, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi Allegro assai – Largo – Allegro Concerto d-Moll BWV 974 nach demConcerto d-Moll für Oboe, Streicher und Basso continuo vonAlessandro Marcello Andante – Adagio – Presto Concerto C-Dur BWV 594 nach dem Concerto D-Dur „Grosso Mogul“ (RV 208) für Violine, Streicher und Basso continuo von Antonio Vivaldi keine Satzangabe – Recitativo Adagio – Allegro Wir danken den Meisterwerkstätten für historische Tasteninstrumente, Christian Fuchs, 65929 Frankfurt und Detmar Hungerberg, 42499 Hückeswagen für die freundliche Bereitstellung der Cembali.

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