Tage Alter Musik – Programmheft 2007

wird entlang seiner Entscheidungen der korrekte, ritterliche Weg zur Er- langung von Würde dargestellt. Dieses Werk machte einen starken Eindruck auf die höfische Gesellschaft des späten Mittelalters, und seine Figuren und Ideen findet man noch in Lied- und Gedichtstrophen, die erst 300 Jahre später erschienen sind. Der anonyme Schöpfer des Chansons ‘Soyes Loyal’ bemerkte noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts: „Bleiben Sie treu (zu Amor) so gut wie Sie können und Sie werden von süßer Hoffnung getröstet.“ Es gibt aber noch eine weitere Dame, eine andere Rose, die keine geringe Rolle spielt in dieser Zeit: die Jungfrau Maria. Die literarischen Traditio- nen, die die geistlichen Geschichten umfassen, sind genauso mit Allegorie und Metapher geschmückt wie die weltlichen Traditionen. In vielen Fäl- len geht es sogar um die gleichen Symbole, wodurch nur geringe Kon- textabweichungen einen profanen von einem geistlichen Text unterschei- den lassen. Populäre geistliche Lieder wie die englischen Carols „There is no rose of such virtue“ und „Of a rose sing we“ existierten friedlich neben weltlichen Chansons, wie dem anonymen „La Doulce Flour“ (Die süße Blume) aus dem frühen 15. Jahrhundert und natürlich - der Roman de la Rose selber. Es ist meistens klar, von welcher Rose die Rede ist, aber nur deshalb, weil die Erwartungen jeweils klar definiert sind. Ob es sich um absichtliche double-entendres in einzelnen Rose-Stücken handelt, oder ob solche in den vielen Klageliedern, wie zum Beispiel dem epischen „Deuil angoisseux“ von Gilles Binchois mit Text von Christine de Pisan, zu finden sind, ist nie eindeutig angegeben. Man könnte ein Werk wie „Deuil angoisseux“ einwandfrei als die Klage über den Tod Christi in- terpretieren oder eben als die Wehklage einer jungen Witwe, wie Christi- ne de Pisan selbst eine war. In der Praxis des täglichen Lebens am spätmittelalterlichen Hof fand je- doch die absichtliche Zusammenmischung der geistlichen und profanen Welten tatsächlich oft statt. In einem Schauspiel, das für den versammel- ten Adel während des ‘ Banquet du Voeu ’ (1454) veranstaltet wurde, ließ zum Beispiel Philip der Gute, Herzog von Burgund, folgende Szene auf- führen: Ein gigantischer Ogre, der als Türke verkleidet war, bedroht eine weiß-gekleidete demoiselle, die, wie es später bekannt gemacht wird, „Re- ligion“ heißt. Diese schwach verhüllte Metapher für die damalige Besat- zung von Konstantinopel durch die Sarazenen diente Philipp als Grund- lage für seinen Aufruf zu einem zukünftigen Kreuzzug. Die Eide, die er daraufhin seinen Gästen abverlangt, werden, in grandioser Traditions- form, „aux dames et au faisan“ abgelegt (zu den Damen und zum Fasan). Der Auftrag ist ein geistlicher, aber die Eide werden abgelegt im Namen einer profanen Ikone. „A Rose of Such Virtue“ erforscht die Symbolik in den Chansons des späten Mittelalters. Die Menschen dieses Zeitalters waren sehr angepasst an die Widersprüchlichkeit ihrer Zeit. Das mittelalterliche Leben war auf der einen Seite durch Pest, Krieg und Armut, von einem ungeheuren existen- ziellen Chaos geprägt und auf der anderen Seite von der Raffinesse und Anmut des ritterlichen Ideals. Zur Jungfrau Maria zu beten und da- nach das Schwert im Namen einer weltlichen Frau zu ergreifen, war vielleicht gar nicht so un- heimlich in dieser stürmi- schen Epoche. Wir hof- fen, dass unsere Interpre- tationen dieser außerge- wöhnlichen Musik einen kleinen Einblick in die Leidenschaften dieser Ära vermitteln. Vive Ma Dame ! © Sylvia Rhyne, Eric Redlinger T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2007 39 Runtingersaal Das Runtingerhaus wurde um 1260 von dem Probst auf Tunau erbaut. 1367 folgten als Eigentü- mer die Runtinger, die durch den Fernhandel zu unermesslichem Reichtum gelangten. Das soge- nannte Runtingerbuch, Ge- schäftsaufzeichnungen dieser wohlhabenden Handelsfamilie, ist das größte Kaufmannsbuch des deutschen Mittelalters. Das Runtingerhaus ist eines der stattlichsten und schönsten goti- schen Gebäude Regensburgs. Der gotische Kern des Gebäudes ist an den unterschiedlichen Fen- sterarkaden, am Treppengiebel, an den Rippengewölben, der Bohlenkammer und Malereire- sten deutlich erkennbar. Der Festsaal beeindruckt durch seine ungewöhnlich großen Ausmaße: er ist 14 Meter lang und 13 Meter breit. P ROGRAMM A NONYM Novo profusi gaudio (England) G UILLAUME D UFAY Tant est mignonne ma pense (ca. 1397-1474) A NONYM / Se mon cuer M ELLON C HANSONIER G ILLES B INCHOIS Pour prison (ca. 1400-1460) E STIENNE G ROSSIN Va t’ent souspir (um 1420) G UILLAUME D UFAY Vergine bella A NONYM Of a rose singe we (England) A NONYM Soyes loyal (Oxford Can. Misc. 213) G ILLES B INCHOIS Seule esgaree R OBERT M ORTON Le souvenir de vous me tue (ca. 1430-1476) G UILLAUME D UFAY J’atendray tant G ILLES B INCHOIS Dueil angoisseux G UILLAUME D UFAY Se la face ay pale A NONYM There is no rose of such virtue (England)

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