Tage Alter Musik – Programmheft 2007

der Einflüsse - vor allem der italienischen Vokal- musik - weiterentwickeln, bleibt dabei aber stets bemüht für jeden Text die passende Form neu zu erfinden. Die Kantate Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt BWV 18 erklang zum ersten Mal am 19. Februar 1713 in Weimar. Wir dürfen annehmen, dass es die erste Kirchenkantate war, die Bach in der Schlosskapelle aufführen ließ. Er hatte den Posten bereits 1708 angetreten und wünschte sich, mit der Kantatenkomposition beauftragt zu werden, was ab 1714 dann auch der Fall war. Bevor er jedoch zum Concertmeister ernannt wurde, wollte er sein Können mit dieser kurzen Komposition zum Sonntag Sexagesimae beweisen. Später, im ersten Jahr als Kantor in Leipzig überarbeitete er mehrere Kantaten aus der Weimarerzeit, darunter auch diese und er- hellte ihren Instrumentalklang, indem er zwei Blockflöten hinzufügte. Diese neue Version wurde am 13. Februar 1724 uraufgeführt. Für die ursprüngliche Version verwendete er den Text eines Spezialisten des Genres, des Hambur- ger Pfarrers Erdmann Neumeister, das Rezitativ Nr. 2 ist Jesaja entnommen und die Worte des Schlusschorals stammen von Lazarus Spengler. Der Text preist das Wort Gottes, das wahre Brot des Christen. Die Besetzung ist mit drei Solisten und einem vierstimmigen Vokalensemble, Con- tinuo und drei Violen ganz und gar untypisch. Zwischen einer erstaunlichen Sinfonia und dem vierstimmigen Schlusschor stehen nur drei Nummern, davon eine einzige Arie, in der Bachs Hinwendung zur dramatischen Aus- druckskraft der Oper bereits deutlich wird. Höhepunkt und Zentrum der Kantate ist das große Tenor- und Bassrezitativ, das immer wie- der von einer Litanei des Soprans unterbrochen wird. Ausdrucksstarke Figuralismen heben be- sondere Worte hervor: „Verfolgung“ ertönt z.B. über einem wahrhaft teuflischen Tritonus, es folgt eine wilde Basslinie, wenn das feierlich ge- sungene Gebet Mord und Gotteslästerung, Zorn und Gewalt der Feinde der Christen ver- urteilt. Die Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit BWV 106 geht auf das Jahr 1708 zurück. Sie trägt den Untertitel Actus tra- gicus und war für eine Trauerfeier be- stimmt. Der Text besteht hauptsächlich aus Elementen des Alten Testaments und einigen Choralversen. Es ist eine Medita- tion über den Tod Christi, gekreuzigt zwi- schen zwei Dieben, und parallel dazu über unseren eigenen Tod, Menschen einer Menschheit von Dieben. Die Instru- mentierung ist mit zwei Blockflöten, zwei Gamben und Continuo auf ein Minimum beschränkt; sie wirkt archaisch und schafft eine intime und meditative Stim- mung. Auf eine Sinfonia (Sonatina) folgt ein er- ster Teil, in dem Chor und Arien in einem deli- katen Mosaik von Symmetrien und Gegensät- zen kombiniert sind, bis zum Choral Ich hab’ mein’ Sach’ Gott heimgestellt . Der zweite Teil be- ginnt mit einer Arie von Alt und Bass, begleitet von zwei Gamben, und erzählt von Christi Lei- den und Tod. Es folgt ein Arioso für Bass mit den Christusworten Heute wirst Du mit mir im Paradies sein , eine Art lange Psalmodie, die den Christen die Hoffnung zurückgibt. Das folgende Altsolo knüpft an das Arioso, das Christi Tod vorausging an und in einem bedächtigen cantus firmus erklingt das Lied des Simeon Mit Fried’ und Freud’ . Der Schlusschor lobt erst den Herrn im Choral In dich hab’ ich gehoffet und in einem jubelnden fugierten Amen überwindet der gläu- bige Christ den Tod in der Vereinigung mit Christus. Von der Kantate Nach dir, Herr, verlanget mich BWV 150 kennt man weder das genaue Entste- hungsdatum (1708 oder 1709) noch den Anlass, wofür sie bestimmt war. Man glaubt sogar, dass es das Werk eines (sehr begabten) Schülers war, der unter Bachs Anleitung arbeitete. Er schrieb die Kantate in erster Linie für ein Vokalensem- ble mit einer relativ einfachen, aber äußerst dif- ferenzierten Instrumentalbegleitung (zwei Vio- linen, Bass und Continuo). Der Text entstammt dem 25. Psalm, Klagen der Menschen in Not und Bitte um göttlichen Beistand. Die vorherr- schende Tonart ist h-Moll: sie wurde damals eher selten verwendet und nur für den Aus- druck höchster Not. Hier steht sie einerseits für die Not und Verzweiflung und andererseits für das innige Gebet, das durch die intensiven chro- matisch absteigenden Bewegungen des ersten Chores unterstrichen wird. Die Schlussciaconna malt die allgegenwärtige Hilfe Gottes und den himmlischen Segen. Die Kantate Christ lag in Todesbanden BWV 4 entstand wahrscheinlich zur Bewerbung Bachs um die Stelle als Organist der Kirche Divi Blasii zu Mühlhausen. Die Organistenprobe fand am Ostersonntag statt und erforderte u.a. auch die Darbietung einer Vokalkomposition. Maßgebli- che Quelle der Komposition ist ein originaler Stimmensatz, den Bach 1724 in Leipzig neu an- fertigen ließ; ältere Materialien haben sich nicht erhalten. DemWerk liegen als Choralkompositi- on „per omnes versus“ alle Strophen des gleich- namigen Osterliedes von Martin Luther (1524) zugrunde. Bach bietet in den acht Sätzen jeweils verschiedene, die wechselnden Textinhalte berücksichtigende Bearbeitungsformen der Choralmelodie. Auch die einleitende Sinfonia nimmt auf den cantus firmus Bezug. Der ur- sprüngliche Schlusssatz ist nicht überliefert, denn Bach setzte 1724 einen neuen vierstimmi- gen Choralsatz Leipziger Stils ans Ende des Werkes. T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2007 42 Alte Kapelle Die Anfänge der Stiftskirche Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Urkundlich fassbar wird die Alte Ka- pelle im Jahre 875 durch eine Schenkungsurkun- de König Ludwigs des Deutschen, der an dieser Stelle eine Pfalzkapelle errichten ließ. Der heilig- gesprochene Kaiser Heinrich II. ersetzte die Anla- ge im frühen 11. Jahrhundert durch einen Neu- bau, der sich bis heute erhalten hat. Nur die Ost- teile wurden 1441/52 durch einen sehr viel größe- ren spätgotischen Chor ersetzt. Der Innenraum überrascht durch eine unerwartet prächtige Ausstattung im Stil des Rokoko. Ab 1747 arbeiteten hier der Wessobrunner Stukka- teur Anton Landes, die Augsburger Maler Chri- stoph Thomas Scheffler und Gottfried Bernhard Götz sowie der Regensburger Altarbauer und Bildschnitzer Simon Sorg. Aus ihremZusammen- wirken entstand eine Dekoration, deren rau- schender Glanz seinesgleichen sucht und dem Bau einen würdigen Platz in der Reihe der süd- deutschen Rokokokirchen sichert. Historische Ansicht von Weimar

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