Tage Alter Musik – Programmheft 2007

Dresden, 1790 in Frankfurt oder 1791 in Wien. Die g-Moll- und die C-Dur-Symphonie wurden schnell zu „Klassikern“, und im Gegensatz zu vielen anderen Werken Mozarts verschwanden sie nie aus dem Repertoire. Die g-Moll-Symphonie galt allgemein als eine sei- ner bedeutendsten tragischen, in Moll stehenden Kompositionen, gleichrangig neben dem gleichermaßen „romantischen“ Klavierkonzert d-Moll KV 466, dem Klavierkonzert c-Moll KV 491 und dem Streichquin- tett g-Moll KV 516. Von KV 466 und KV 516 unterscheidet es sich durch die nicht nachlassende Intensität des Finales, das bis zum Schlussakkord in Moll verharrt. Schon 1805 sprach man von einem „wahren Meister- werk“ und 1809 von einer Symphonie, die alle anderen Symphonien in den Schatten stellt. Zu ihren besonderen Qualitäten gehört die außeror- dentlich idiomatische Behandlung der Holzbläser, gepaart mit der harmo- nischen Kühnheit, die vor allem zu Beginn der Durchführung des ersten und des letzten Satzes auffällt. Kirchenmusikalische Werke spielen imŒuvre Franz Schuberts eine wich- tigere Rolle, als gemeinhin angenommen wird. Mit einer lateinischen Messe (der in F-Dur) stellte sich der Siebzehnjährige 1814 erstmals als Komponist eines größeren Werkes der Öffentlichkeit vor, die sechste in Es- Dur beendete er kurz vor seinem Tod. Außerdem schrieb Schubert zwei deutsche Messen und 25 kleinere kirchenmusikalische Werke. Mit Aus- nahme derjenigen in Es-Dur und der „Deutschen Messe“ aus dem Jahr 1827 erklangen alle Messen Schuberts bereits zu seinen Lebzeiten. Die Es- Dur-Messe wurde einem Wunsch des Komponisten gemäß in der Alser- vorstädter Pfarrkirche aufgeführt, und zwar am 4. Oktober 1829 unter der Leitung seines Bruders Ferdinand. Skizzen belegen, dass Schubert sie bereits in den ersten Monaten des Jah- res 1828 begonnen hatte. Schuberts Beschäftigung mit der Messkomposi- tion verlief im Spannungsfeld eigener Erfahrungen und der historischen Situation. Er entstammte einem sehr religiösen Elternhaus. 1808, im Alter von 11 Jahren, wurde er Sopranist in der Hofkapelle und damit zugleich Schüler des kaiserlichen Hofkonvikts in Wien, wo er bis 1813 blieb. Das Konvikt wurde von den Piaristen geleitet; neben gründlicher musikali- scher Schulung stand eine strenge, religiös geprägte Erziehung, Ausdruck der Restauration: Das Institut trat 1802 an die Stelle des Jesuitenseminars, das Joseph I. im Zuge seiner „Revolution von oben“ aufgelöst hatte. Schubert selbst empfand es als Gefängnis. Durch Mitschüler lernte er auf- klärerische Ansichten kennen, so dass er in vollem Bewusstsein des politi- schen und geistigen Klimas der Epoche aufwuchs, das geprägt war so- wohl vom Fortleben aufklärerischer Strömungen als auch der staatlichen und kirchlichen Restauration, die sie mit aller Macht zu unterdrücken suchte. Schubert nahm Stellung: Er vertonte Texte politisch missliebiger Dichter, und auch sein freier Umgang mit dem Text des Missale Romanum, des verbindlichen Messtextes, wird häufig als Protest gewertet. Eine solche Deutung mag zu weit gehen - oft scheinen musikalische Gründe für Aus- lassungen und Abweichungen ausschlaggebend gewesen zu sein. Diese Praxis wurde erst später regelrecht verboten. Gleichwohl kann man an- nehmen, dass Schubert durchaus seinen persönlichem Glauben aus- drücken wollte. Eine Auslassung zieht sich durch alle seine lateinischen Messen: Stets fehlt das „Credo in unam Sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam“. Gegenüber der Amtskirche und ihren Vertretern empfand Schubert eine tiefe Abnei- gung. Über seine Vorstellung von Andacht und Frömmigkeit äußert Schu- bert sich Ende Juli 1825 in einem Brief an seine Eltern. Bei einem Konzert habe „man sich sehr über meine Frömmigkeit [gewundert], die ich in einer Hymne an die hl. Jungfrau ausgedrückt habe, und, wie es scheint, alle Gemüther ergreift und zur Andacht stimmt. Ich glaube, das kommt daher, weil ich mich zur Andacht nie forcire, und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie dergleichen Hymnen oder Gebete componire, dann aber ist sie auch ge- wöhnlich die rechte und wahre Andacht.“ Hans Jaskulsky nennt drei wichtige Komponenten der Entwicklung von Schuberts lateinischen Messen, die zeitlich aufeinander folgen, sich aber gleichwohl durchdringen: Zunächst die Kirchenmusik, wie Schubert sie bereits als Kind kennen lernte; sodann Einflüsse der (Kirchen-) Musik Jo- seph und Michael Haydns, Mozarts und Beethovens. Zuletzt die kirchen- musikalische Restauration mit ihren „historisierenden und archaisierenden Bestrebungen“ , etwa der Maxime, sich an Kompositionsweisen des 16. und 17. Jahrhunderts (Werke von Palestrina, Allegri und Benevoli) zu orientie- ren. Die Messen der Wiener Klassik wurden abgelehnt. Kirchliche Musik sollte durch Einfachheit erhaben wirken, eine Forderung, die sich wieder- um mit den Ansichten der Romantiker deckte. In diesem Sinne objektivierend wirken etwa ausführliche Fugenteile (Schubert begann kurz vor seinem Tod noch einmal mit gründlichem Kontrapunktunterricht), breit ausgeführte kanonische Sätze, chorische Antiphonie, Doppelchörigkeit, psalmodierende Chorpartien und archai- sierend wirkende harmonische und melodische Wendungen (z. B. das häufige Auftreten plagaler Kadenzen in der Es-Dur-Messe). Daneben griff Schubert die Figuren der (barocken) musikalischen Rheto- rik auf, wie sie in Wien lebendig geblieben waren, und erhielt damit ein Bindeglied zwischen Tradition und subjektiver Äußerung. „Einfacher“, liedhaft-homophoner Chorsatz zielt auf „Rührung“ als dem subjektiven Moment der Andacht, die somit eingebettet erscheint in die Gewissheit fester Formen. Die Es-Dur-Messe fand allerdings keineswegs einhellige Zustimmung. Schuberts kompositorische Meisterschaft wurde nicht durchgängig ge- würdigt, seine Intentionen erreichten nicht jeden Hörer. Zwar hieß es in der „Wiener Theaterzeitung“ vom 22. Oktober 1829 über die Messe: „Sie ist [Schuberts] letzte und größte, und, wie viele Kenner behaupten, auch seine schönste.“ Die zahlreichen Schwierigkeiten, die sie Sängern und Instru- mentalisten bereitet, werden ausführlich erwähnt und deren Bewältigung im Konzert gelobt. Die „Leipziger Allgemeine Musikzeitung“ dagegen meldete von der T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2007 8

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