Tage Alter Musik – Programmheft 2008

T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2008 ordinariums. Die zweite bekannt gewordene Messe aus jener Zeit ist die Messe von Tournai, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstand, jedoch von mehreren Autoren angefertigt wurde und dadurch stilistisch unein- heitlich ist. Als Ordinarium bezeichnet man die Teile der Messe, die nicht variiert werden - im Gegensatz zum Proprium, das sich dem Kirchenjahr entsprechend wandelt. Das Messordinarium besteht aus fünf Sätzen, die Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus (Benedictus) und Agnus Dei genannt wer- den. In einigen Fällen - so auch in der Messe von Machaut - wird der Zyklus mit dem Satz Ite missa est abgeschlossen. Bei der Vertonung der einzelnen Teile verwendet Machaut die in der Ars nova üblichen Gattun- gen: Kyrie, Sanctus, Agnus Dei und Ite missa est werden als Motettensatz und die Teile Gloria und Credo als Kantilenensatz angelegt. Der Kantile- nensatz greift auf keine Choralmelodie zurück und dient vor allem zur Vertonung textreicher Teile, wobei die verzierte Oberstimme frei erfun- den ist und die drei unselbstständigen Unterstimmen diese begleiten. Im Motettensatz sind die Stimmen vielmehr gleichberechtigt, wobei der Tenor in geistlichen Werken eine Choralmelodie führt. Das Kyrie unterteilt sich in die drei Sätze Kyrie eleison, Christe eleison und Kyrie eleison, wobei jeder einzelne Satz wiederum dreimal gesungen wird. Die Zahl 3 hat, ausgehend von der Dreifaltigkeit Gottes, in der Christenheit schon immer eine große Bedeutung gehabt und spiegelt sich somit auch im liturgischen Ablauf der Messe wider. Auf jeweils der letz- ten Silbe der Worte Kyrie und Christe werden ausgedehnte Melismen, also mehrere Töne pro Silbe, gesungen, so dass die sinngerechte Fortset- zung eleison erst kurz vor Schluss des Abschnitts erscheint. Diese langen Melismen befinden sich auch am Ende der Sätze Gloria und Credo auf demWort Amen, sowie in den letzten drei Sätzen Sanctus, Agnus Dei und Ite missa est. Ein wesentliches und für die Ars nova typisches Stilmerkmal in den Motettensätzen ist die sogenannte Isorhythmie. Zunächst glich man die Oberstimmen in ihrer Strukturierung dem vorgegebenen Tenor an, so dass es zu stets gleichen Periodenlängen kam. Diese Form der Ge- staltung nannte man Isoperiodik (gr.: iso = gleich). Anschließend wurden sogar die Notenwerte innerhalb der einzelnen Perioden beibehalten und so entstand die isorhythmische Motette, die in ihrer Rationalität an Kom- positionstechniken des 20. Jahrhunderts erinnert. Im Zuge der Entwicklung kam es zu einer Vielzahl von rhythmischen Va- riationen und so zeigt auch die Messe de Nostre Dame viele melodische Verzierungen, wobei jedoch das rhythmische Grundgerüst in jedem Ab- schnitt, auch talea genannt, gleich bleibt. Im Gloria und Credo verzichtet Machaut zu Gunsten des Textes auf kunstvolle kompositorische Kon- struktionen und lässt die durch sparsame Melismen verzierte Oberstim- me (Triplum) deutlich hervortreten. Zwischen einzelnen Textabschnitten stehen einige untextierte Noten, die darauf schließen lassen, dass die Sän- ger in den beiden tiefen Stimmen durch Instrumente gestützt wurden. Die Architektur der Kathedrale zu Reims könnte diese These rechtfertigen, denn man wusste, dass sich die hohen Töne im Kirchenraum leichter orten ließen und da man einen umfassenden Raumklang anstrebte, wäre es naheliegend, die tiefen Töne zu stützen. Eine besondere Satztechnik zeigt das Ende des Gloria: Hier findet man eine sogenannte Hoquetuspartie. Das französische Wort Hoquetus hat man als Schluckauf gedeutet, weil es dem Charakter dieser Musik am nächsten kommt. Bei zwei Gesangsstimmen singt die eine immer dann wenn die andere pausiert, so dass dies im schnellen Tempo (wenn auch entfernt) an einen Schluckauf erinnert. Dieser auffällige Effekt war schon um 1200 in der Notre-Dame-Epoche genutzt worden, um besonders wich- tige Stellen einer Komposition zu markieren. Machaut verwendet diese ausdruckvolle Technik oft in seinen weltlichen Motetten am Ende einzel- ner Formteile. Um die Messe in einen liturgischen Kontext zu stellen, er- klingen in der heutigen Aufführung zwischen den einzelnen Ordinari- umsteilen auch die gregorianischen Propriumsteile eines Marienhocham- tes und thematisch verwandte mehrstimmige Motetten anonymer Zeitge- nossen Machauts. 39 A USFÜHRENDE USFÜHRENDE D IABOLUS I N M USICA Raphaël Boulay Tenor Olivier Germond Tenor Jean-François Delmas Bariton Jean-Paul Rigaud Bariton Jean-Luc Rayon Bariton-Bass Christophe Grapperon Bariton-Bass Emmanuel Vistorky Bariton-Bass Philippe Roche Bass P ROGRAMM G UILLAUME DE M ACHAUT (1300-1377): M ESSE DE N OSTRE D AME Introitus: Rorate celi de super Kyrie eleison (Machaut) Gloria in excelsis Deo (Machaut) Graduale: Qui sedes Domine Alleluja: Ostende nobis Domine Sequenz: Ave Maria gratia plena Credo in unum Deum (Machaut) Motette (Philippe Royllart): Rex Karole/Leticie/Virgo prius Offertorium: Ave Maria gratia plena Motette (Anonym): A vous Vierge/ Ad te Virgo/ Regnum Mundi Präfation: Vere dignum et justum est Sanctus (Machaut) Agnus Dei (Machaut) Communio: Ecce Virgo concipiet Motette (Anonym): Zolomina/Nazarea/Ave Maria Ite missa est Diabolus in Musica wir unterstützt vom Regionalrat der “Région Cent- re”, vom französichen Kunstministerium, der Stadt Tours, ADAMI, und dem Conseil Général d’Indre-et-Loire.

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