Tage Alter Musik – Programmheft 2008

M arcabru ist der geheimnis- volle Name des berühmte- sten Troubadours der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Marcabrus Stücke sind nur Spezialisten wie seinem Landsmann Brice Duisit zugänglich, die intensiv die okzita- ne Sprache des Mittelalters und mittelalterliche Fiedeltechniken studiert haben. Brice Duisit versetzt sich in die Rolle dieser legendären Figur und stellt sich der „Heraus- forderung“, die Musik des großen „Marcabru“ zu rekreieren, für die er ein Klang-Vokabular gefunden und arrangiert hat, das eine er- staunliche Intensität, eine unmittel- bare Energie verströmt. Duisits de- klamatorischer Sprechgesang ent- deckt so im Provenzalischen eine melodische Geschmeidigkeit, die das klingende Mittelalter Frank- reichs frisch erblühen lässt. Brice Duisit spielt auf einem Instrument von Christian Rault. Marcabru (...1130-1142) Über das Leben des Troubadours Marcabru besitzen wir nur wenig Auskünfte. Seine kurze Lebensge- schichte lehrt uns, dass er aus der Gascogne stammte und einer der ersten Dichter war, an den man sich erinnert. Er sei der Sohn einer armen Frau, wie es in einem seiner Lieder lautet: „Macabru, Sohn von der Dame Brune, wurde bei einem sol- chen Mond geboren, dass er weiß wie Liebe sich verhält! Hört zu! Niemals liebte er Eine und niemals wurde er von Einer geliebt“... Er wurde groß gezogen und aus demHaus des Le- hensherren Audric del Vilar hin- ausgeworfen, dann wurde er Gaukler und erfand armselige Reime und Chansons, in denen er Schlechtes über die Frauen und die Liebe spricht. Und weil er Schlech- tes über die Herzöge der Guyenne erzählte, brachten sie ihn um Hab und Gut. Wenn wir keine voll be- friedigenden Auskünfte über die Herkunft unseres Dichters finden können, da wir nun die relative Wahrhaftigkeit der Vitas (Lebens- geschichten) kennen, ist es ganz an- ders beim Lesen seines Werkes. Tatsächlich, mit seinen zweiund- vierzig Texten, in denen Namen berühmter Persönlichkeiten im Überfluss vorhanden sind und sich Andeutungen auf anerkannte poli- tische Situationen anhäufen, ist es uns möglich, Marcabrus Tätigkeits- periode zwischen 1130 und 1142 zu datieren. Sein hoher Grad an Wis- sen bezeugt die Erziehung, die er erhielt. Vielleicht war er ein Geistli- cher oder ein Sekretär irgendeines Lehensherren, aber durch seinen Aufenthalt in Spanien und die vie- len Andeutungen, die er auf den Krieg der „Zurückeroberung“ in seinen Gedichten macht, ist er allem Anschein nach auch ein Sol- dat gewesen: diese letzte Vermu- tung spricht für die Autorität, mit der er sich den größten Herrschaf- ten des Jahrhunderts zuwendet, und verleiht ihm eine bevorzugte Rolle in seinen Kontakten mit der Jugend, die sich im Mittelpunkt seines literarischen Werkes befin- det. In diesem Sinn sind die ge- schriebenen Reime unseres Dicht- ers zu verstehen, die den Nicht- Einsatz der Prinzen in den Kämp- fen, welche mit den Kreuzzügen in Verbindung stehen, behandeln. Nun, geistliche Karriere? Oder mi- litärische? Wir können es nicht sagen, aber das war die übliche Auswahl, vor der die Söhne des Feudaladels am Ende ihrer Erzie- hung standen. Marcabru wäre dann nicht ein Sohn der Armut (wie seine Lebensgeschichte es vermu- ten lässt), sondern eines Verwand- ten des Lehensherren Audric del Vilar, der ihn aufgenommen und, wie es üblich war, einem Lehrer in Obhut gegeben hatte. Was aber am meisten bei Marcabru stört, hat nur wenig mit seinen politischen Über- zeugungen zu tun: es ist eher die Tatsache, dass wir es mit einem außergewöhnlichen Dichter zu tun haben, einem Troubadour, der sei- nen Platz im Pantheon der größten Sänger des Fin’Amor nicht wirk- lich findet. Trotz eines einwandfrei- en virtuosen Stils, der höchstes Kompositionsniveau offenbart, hebt sich seine trockene und schroffe Art über die Liebe zu reden scharf hervor gegenüber der- jenigen der klassischen Trouba- dours. So sagt er: „derjenige, der sein Leben auf das Begehren nach Frauen ausrichtet, führt sich selbst in die Ver- dammnis...“, „und die Frauen paaren sich mit verächtlichen Personen und daraus werden Mischlinge geboren, die das Pretz (die Werte, die den Grad des Adels bestimmen) senken“, „ich sehe auch, dass jeder eine Liebschaft pflegt und seinen Ehepartner einen solchen Hut tragen lässt, dass man sie „Hörnertragende“ nennt!“, „die Väter haben ihren Söhnen und die Söhne ihren Vätern gegenüber versagt“, „man sagt, ich sei Zensor des Nichts und ein verrückter Sittenprediger! Aber sobald das Feuer zwischen dem Liebhaber und der Liebhaberin bren- nen wird, wird es zu spät sein und nie- mand wird sich darüber beklagen, dass ich nichts darüber gesagt hatte!“, „Denn Liebe spielt auf ihre Art mit demjenigen, den sie in ihrer Macht hält, so stark, dass der Weiseste faul wird, die Zeit vertrödelt und gähnt und lässt sich dabei von seinen Sinnen treiben, die Weisheit bleibt dann allein zu Hause...“ Es ist tatsächlich schwierig, Marcab- rus herbe Worte zu verstehen, wenn man in ihm nicht einen ver- bitterten, streitsüchtigen Menschen sieht: das zu oberflächliche Lesen seines Werkes lässt dies üblicher- weise vermuten. Das hat ihn unter die „Narren Gottes“ eingeordnet und ihn auf das Niveau der herme- tischen frauenfeindlichen Dichter versetzt. Jedoch ist das Werk Macabrus ganz anders. Es ist sogar sehr zusam- menhängend und gerade das macht es zunächst schwer zugäng- lich. Denn jedes seiner Gedichte dient nur einen einzigen Gedan- ken. Wenn man diese Texte unab- hängig von ihrem ursprünglichen Kontext betrachtet, dann verlieren sie ihren Sinn und ihren Inhalt und werden dadurch unzugänglich und unverständlich. Um in die Poesie Macabrus einzudringen und seine Worte dann ins Licht zu brin- gen, muss man verstehen, was ihn motiviert hat. Dazu muss man zu- erst in die Vergangenheit zurück- kehren, zum Anfang des XII. Jahr- hunderts. Der Anfang des XII. Jahrhunderts sieht das Kommen der literarischen Bewegung, die üblicherweise „höfi- T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG Brice Duisit, Gesang, Fidel (Frankreich) M AI 2008 Montag, 12. Mai 2008, 11.00 Uhr (Matinee), Leerer Beutel , Bertholdstraße Mittelalterliche Chansons und Balladen des „Marcabru“ (um 1130 – 1142), des berühmtesten Troubadours der Provence – „Si cum Marcabrus Declina…“ 40 Brice Duisit Foto: Robin Davis

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