Tage Alter Musik – Programmheft 2008

M it Le Concert Français gastiert erstmals eines der besten Barockorchester Frank- reichs bei den Tagen Alter Musik. Unter der Lei- tung seines Gründers, des Cembalisten Pierre Hantaï, spielen die Franzosen Johann Sebastian Bachs Orchestersuiten I, II, III und das 2. Bran- denburgischen Konzert. Die jüngst beim Label Mirare erschienene CD-Veröffentlichung der Bachschen Orchestersuiten mit dem Concert Français hat hervorragende Kritiken erhalten. Zum Programm: Ouverture (Suite) Eine der erfolgreichsten musikalischen Gattun- gen, die die deutschen Komponisten importier- ten und entwickelten, war die der „Ouverture“, deren Ursprünge im französischen ballet de tour und in der Oper zu finden sind. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts bezeichnete das Wort „Ou- verture“ in Frankreich jegliches Instrumental- stück, das einer Oper, einem Ballett, bisweilen aber auch einem einzelnen Akt besagter Büh- nenwerke vorangestellt wurde. Hauptsächlich aber war es die Disziplin des Jean-Baptiste Lully, seines Zeichens surintendant de la musi- que unter König Ludwig XIV., aus der das cha- rakteristische Schema entstand. Dieses besteht nun aus einer langsamen Einleitung im punk- tierten Rhythmus, dem ein rascherer, oft kontra- punktischer Teil folgt; dieser wiederum macht einem dritten Abschnitt Platz, der seinerseits zumindest teilweise, wenn nicht ganz auf das Material der Einleitung zurückgreift. Dieses Schema sollte für beinahe ein Jahrhundert gene- rell ein ehernes Gesetz werden. Tatsächlich schrieb der schweizerische Philosoph, Musiker und Enzyklopädist Jean-Jacques Rousseau noch 1768: „Diejenigen Ouvertüren der frantzösi- schen Opera sind fast allesamt nach denen des Lully gebildet.“ Zum Ende des 17. Jahrhunderts und in der er- sten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Be- griff der „Ouverture“ erweitert: Jetzt bezeichne- te er nicht mehr bloß die Ouvertüre selbst, son- dern auch die anschließende Folge orchestraler Tanzsätze. Diese Ouvertüren-Suiten kamen im Frankreich der Lully-Zeit in Mode, wurden aber erst durch das Werk seiner Schüler und Nach- folger kultiviert und verbreitet. Zu nennen sind hier vor allem Georg Muffat (1653-1704) und Jo- hann Sigismund Kusser (1660-1727), zwei Schüler von Lully in Paris – sowie Johann Kas- par Ferdinand Fischer (ca. 1670-1746). Diese Komponisten, aber auch andere Kollegen wie Johann Joseph Fux (1660-1741) assimilierten den Orchesterstil des Lully und setzten eigene Akzente. Ihre „Ouvertüren“, deren viele im Druck erschienen, wurden wieder zum Modell der nächsten Komponistengeneration – Johann Sebastian Bach, Händel, Graupner, Stölzel und andere führten die Form zu ihrem stilistischen Höhepunkt. Obwohl lediglich vier Orchestersuiten von Bach erhalten sind, spiegelt sich darin keinesfalls die ganze Faszination, die für ihn von dieser Gat- tung ausging. Auch im Rahmen seiner Kantaten und in verschiedenen Klavierwerken ist sie immer wieder zu finden. Ihre genaue Datierung ist nicht möglich. Früher ging man davon aus, sie seien durchweg in den Jahren 1717 bis 1723, mithin während Bachs Köthener Zeit entstan- den. Heute gilt es hingegen als wahrscheinlich, dass vieles aus den Leipziger Jahren (1723-1750) stammt und vielleicht sogar auf Bachs Pflichten als Musikdirektor des dortigen Collegium Mu- sicum zurückging. Das Collegium Musicum war eine große Studentenvereinigung, die kurz vor der Jahrhundertwende in Leipzig gegrün- det worden war. Telemann hatte das Ensemble während seiner dortigen Studienzeit im Jahre 1702 neu etabliert. Bachs erste Amtszeit als des- sen Leiter begann 1729; sie endete Mitte der 30er Jahre, und die zweite Amtsperiode begann 1739. Es ist wahrscheinlich, dass er zumindest einiges Suiten-Material zusammengestellt hat, um es mit den studentischen Musikern aufzuführen, zu denen er offenbar ein ausgesprochen gutes Verhältnis hatte. Ouverture Nr. 1 C-Dur BWV 1066 In ihrer Besetzung mit zwei Oboen und Fagott, Violinen, Viola und Basso continuo (d.h. Cem- balo; es gibt keine Violoncello- bzw. Kontrabass- Stimme) erinnert die Suite C-Dur deutlicher an eine echte französische Ouvertüre als ihre drei Geschwister. Die frühesten überlieferten Stim- men dieser Suite datieren von 1724, aus Bachs zweitem Jahr als Leipziger Thomaskantor. Zwar gibt dieses Datum nicht notwendigerweise die Entstehungszeit an; doch man findet einige Hinweise auf ein anderes Werk, das Bach da- mals komponiert hat: auf die Kantate Preise Jeru- salem den Herrn BWV 119, die Bach zur Wahl des Leipziger Stadtrates am 30. August 1723 ver- fasste. Der erste Satz dieser Kantate ist eine fran- zösische Ouvertüre – Bach hätte zu einem der- artigen Anlass kaum eine großartigere und passendere Form finden können. Sie ist wie die Suite in C-Dur komponiert. Interessanterweise gibt es in beiden Werken einige „militärische“ Klänge, die für die Hörer eine (möglicherweise lokale) Bedeutung gehabt haben dürften. In der Suite erscheinen sie in den oberen Streicherstim- men der zweiten Gavotte, während sie in der Kantate in verschiedenen Phrasen des Chores „Der Herr hat Guts an uns getan“ zu hören sind. Zu den vergleichsweise ungewöhnlichen Ele- menten der Suite gehören die „Forlane“ – ein lebhafter Tanz im Dreier-Metrum, den Bach in keiner anderen Suite verwendet hat (der aller- dings des öfteren bei Telemann vorkommt) – sowie die paarweise Anordnung der vier ande- ren Tänze: Gavotten, Menuette, Boureen und Passepieds. Bach gibt an, dass diese Sätze „al- ternativement” zu spielen sind, das heißt, nach dem jeweils zweiten Tanz eines Paares wird der erste wiederholt. Ouverture Nr. 3 D-Dur BWV 1068 Weil in der Suite Nr. 3 der berühmte, gleichwohl recht merkwürdig als „Air auf der G-Saite“ be- zeichnete langsame Satz enthalten ist, wurde das gesamte Werk populärer als all seine Ge- schwister. Das Werk ist mit drei Trompeten, Pauken, zwei Oboen, Fagott, Streicher und con- tinuo besetzt. In der volltönenden Ouvertüre (deren erster Teil übrigens auffallend deutlich an die erste von drei Orchester-„Capricen“ des Franzosen Michel de Lalande [1657-1726] erin- nert) wird das konzertante Prinzip ausführlich verwendet. In der h-Moll-Suite ist das konzer- tierende Instrument eine Traversflöte; hier nun T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG Le Concert Français (Frankreich) M AI 2008 Montag, 12. Mai 2008, 16.00 Uhr, Dreieinigkeitskirche , Gesandtenstraße Konzertmeister: Luis Otavio Santos Leitung: Pierre Hantaï Johann Sebastian Bach: Orchestersuiten I, II, III BWV 1066-1068 und Brandenburgisches Konzert Nr. 2 BWV 1047 44 Le Concert Français Foto: P. Villanova

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