Tage Alter Musik – Programmheft 2008

nehmen zu lassen, reizte mich nur noch mehr. Das Entzücken, das sie an den Freuden des Kar- nevals fanden, brachte mich besonders auf. Ich konnte nicht begreifen (und kann es auch jetzt noch nicht), welches Vergnügen man an den Be- lustigungen haben kann, die man in Rom wie in Paris die ,fetten Tage‘ nennt! ... In der Tat sehr fett, das heißt voll Überfluss; voll Überfluss an Schmutz, an Schminke und Puder, an unfläti- gen Anzüglichkeiten, an groben Beleidigungen, an Freudenmädchen, an trunkenen Polizeispit- zeln, an unanständigen Masken, an Trotteln, die bewundern, an Müßiggängern, die sich lang- weilen. In Rom, wo sich die guten Traditionen des Altertums erhalten haben, pflegte man noch vor kurzem den ,fetten Tagen‘ ein Menschenop- fer zu bringen.“ Die Ouverture charactéristique „Le carnaval ro- main“ komponierte er dann mit einigem Ab- stand, nämlich 1843/1844. In der Wiener Zeitung „Zuschauer“ war am 3. Dezember 1845 zu lesen: „Das dritte und letzte Konzert des Herrn Hek- tor Berlioz, [am 29. November, im k. k. priv. Theater an der Wien], hat mit entschiedenem Beifall und Anerkennung seines eigenthumli- chen, vielleicht uns noch fremdartigen, aber doch unbestritten großen Talentes Statt gefun- den. … Die Ouvertüre zum „Carnaval von Rom“ erregte Enthusiasmus und mußte unter wahrem Beifallsturme, nachdem der Vorhang schon gefallen war, auf allgemeines Verlangen wiederholt werden.“ Berlioz war bald schon bekannt für die Riesenor- chester, die er zur Aufführung seiner Werke verlang- te. Fürst Metternich soll Berlioz einmal gefragt haben: „Sie sind es wohl, Herr Berlioz, der Musik- stücke für fünfhundert Musiker komponiert?“ Wor- auf er antwortete: „Nicht immer, Durchlaucht, mit- unter auch für vierhundertfünfzig.“ Dass es auch anders ging, schreibt Berlioz in einem Brief an Girard: „... Hechingen ... Sehr rasch orientierte er [Taeglichsbeck, Komponist in Hechingen, bei dem Berlioz zu Gast war] mich über die musikalischen Kräfte, die uns zur Verfügung standen. Das waren im ganzen acht Violinen, darunter drei sehr schwache, drei Brat- schen, zwei Violoncelli, zwei Kontrabässe. [...] Ich sehe Sie lachen, mein lieber Girard, und sehe die Frage auf Ihren Lippen, was ich mit einem so kleinen Orchester habe ausrichten können. Nun, mit Geduld und gutem Willen haben wir, nach- dem gewisse Stellen eingerichtet und zuge- schnitten worden waren, mit fünf Proben in drei Tagen die „Ouvertüre zu König Lear“, den „Pil- germarsch“, den Ball aus der „Phantastischen Symphonie“ und verschiedene andere Frag- mente einstudiert, die ihren Größenverhältnis- sen nach in den Rahmen passten, der ihnen be- stimmt war. Und alles ist sehr gut gegangen, mit Präzision und sogar mit Schwung“ In seinen Memoiren berichtet Berlioz: „Als ich einige Jahre später die Ouvertüre Carnaval romain geschrieben hatte, deren Alle- gro als Thema denselben Saltarello hat, den [der Dirigent] Hebeneck nie ins richtige Tempo hatte bringen können, befand er sich an dem Abend der Erstaufführung dieser Ouvertüre im Saal Herz. Er hatte gehört, dass der Dienst der Natio- nalgarde einen Teil meiner Musiker inAnspruch genommen hatte und dass wir in der Probe am Vormittag ohne Blasinstrumente gespielt hatten. ,Gut‘, hatte er sich gesagt, ,heute Abend wird in seinem Konzert irgendeine Katastrophe stattfin- den, das muss ich mir ansehen!‘ In der Tat, als ich in den Orchesterraum kam, umringten mich alle Künstler, die die Partien der Blasinstrumen- te zu spielen hatten, erschrocken bei dem Ge- danken, eine Ouvertüre, die ihnen gänzlich un- bekannt war, vor Publikum zu spielen. ,Haben Sie keine Angst‘, sagte ich zu ihnen, ,die Stim- men sind richtig [soll heißen: korrekt abge- schrieben, was seinerzeit durchaus nicht die Regel war], Sie sind talentvolle Leute, sehen Sie so oft wie möglich auf meinen Taktstock, und es wird gut gehen.‘ Es wurde kein einziger Fehler gemacht. Ich gab demAllegro die wirbelnde Be- wegung der Tänzer jenseits des Tibers; das Pub- likum rief: ,Da capo!‘ Wir begannen die Ouver- türe von neuem; sie wurde das zweite Mal noch besser wiedergegeben; und als ich in das Foyer zurückkehrte, wo sich Habeneck in einiger Ent- täuschung befand, warf ich ihm im Vorbeigehen diese vier Worte zu: ,So macht man das!‘, auf die er sich hütete zu antworten. Nie habe ich lebhaf- ter als bei dieser Gelegenheit das Glück empfun- den, die Aufführung meiner Werke selbst zu lei- ten; meine Freude verdoppelte sich bei dem Ge- danken an die Qualen, die mich Habeneck [bei früheren Aufführungen Berliozscher Werke] hatte ausstehen lassen. – Arme Komponisten! Lernt euch selbst aufführen, und zwar gut auf- führen (mit oder ohne Wortspiel), denn der ge- fährlichste eurer Dolmetscher ist der Dirigent, vergesst das nicht.“ Franz Liszt: Der Tanz in der Dorfschenke (Me- phisto-Walzer) Mit Franz Liszt’s Tanz in der Dorfschenke, bes- ser bekannt als erster Mephisto-Walzer, steht eines der brillantesten Orchesterwerke Liszts auf dem Programm. Das Stück schildert die Ge- schehnisse um Faust, wie sie Nikolaus Lenau beschrieben hat. Faust und Mephisto betreten eine Dorfschenke, in der gerade eine Hochzeit gefeiert wird. Mephisto nimmt sich eine Geige von einem Bauern und spielt einen wilden Tanz. Faust und die Wirtstochter verschwinden zum Klang einer Nachtigall im nächtlichen Wald... Die Bezeichnung dieses Musikstücks täuscht, denn einem Walzer ähnelt es wahrlich nicht. Hier brodelt das Dämonische, das sich an keine menschliche Regeln hält, das alles Bekannte und Gewohnte auf den Kopf stellt. Man kann förm- lich Mephistos höllisches Lachen sehen, das dem Regeln gewohnten und Regeln erfinden- den Menschen gilt. Liszt zieht hier alle instru- mentalen Register und geht an die Grenzen der klanglichen Möglichkeiten. Lautstärke und Ex- pressivität stehen dabei auf der einen Seite, ge- wagte Harmonik, wie man sie vielleicht erst wieder Jahrzehnte später gehört hat, auf der an- deren. Diese Komposition lässt sich in ihrer Ra- dikalität leicht mit manchen Werken des zwan- zigsten Jahrhunderts messen. Franz Liszt: Totentanz Auch der „Totentanz“, eine Reihe von Variatio- nen über das „Dies Irae“-Motiv für Klavier und Orchester, 1838 begonnen und bis 1859 immer wieder revidiert, basiert auf einem ikonographi- schen und literarischen Programm. Die Inspira- tion dazu kam Liszt vermutlich 1838 vor dem Fresko „Der Triumph des Todes“ auf dem Campo Santo zu Pisa. Hans Holbeins „Toten- tanz“-Zyklus oder Goethes gleichnamiges Ge- dicht könnten ihn ebenfalls inspiriert haben. Das „Dies Irae“-Motiv wird in einer Reihe so wild-expressiver und diabolischer Variationen durchgespielt, dass man es stellenweise mit dem „Mephistopheles“-Satz der „Faust-Sym- phonie“ vergleichen möchte (sie ist Hector Ber- lioz gewidmet, der das Motiv bekanntlich eben- falls dem Hexensabbat seiner „Symphonie fan- tastique“ zu Grunde legte). Die ersten fünf Va- riationen basieren auf der gregorianischen Me- lodie und was Liszt als 6. Variation bezeichnet, ist in Tat und Wahrheit eine Reihe von sechs kurzen Variationen über ein zweites, möglicher- weise ebenfalls gregorianisches Motiv. Am Ende stellt die Coda einen Moment von herausragen- der Bedeutung dar, da Liszt dem Solisten hier ausdrücklich gestattete, frei zu improvisieren. Es bedurfte Hans von Bülows hartnäckiger Aus- dauer, dass dieses Werk sechs Jahre nach seiner Entstehung mit ihm am Klavier und Liszt am Pult am 6. April 1865 in Den Haag doch noch ur- T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2008 47 Velodrom Das Velodrom, erbaut in den Jahren 1897 bis 1898 als Radsportstätte, wurde für die meiste Zeit (von 1929 bis 1975) als Kino genutzt. Anfang der neunziger Jahre des vergange- nen Jahrhunderts, das Gebäude war inzwi- schen völlig marode, war sein Abbruch ei- gentlich bereits beschlossene Sache, als es in der Regensburger Bevölkerung wieder zu so großer Popularität gelangte, dass schließlich im Jahre 1996 doch der Verkauf, die Restaurierung sowie die zukünftige Nutzung des Gebäudes als Theaterspielort vom Regensburger Stadtrat beschlossen wurde. So diente das Velodrom dann nach seiner Sanierung (1997- 1998) als Ausweichort für das Theater Regensburg während der Sanierung seines Stammhauses am Bismarckplatz in der Zeit von 1998 bis 2001. Über seine ursprüngliche Aus- weichfunktion hinaus blieb das Velodrom auch nach 2001 als eine wichtige Spielstätte erhalten, nicht zuletzt wegen seiner be- sonders guten Sichtver- hältnisse.

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