Tage Alter Musik – Programmheft 2009

Timothy Brights Treatise of Melancholy [Abhandlung über die Melancholie] (1586) erreichte drei Auflagen, was das weitreichende Interesse an diesem Thema verdeutlicht. Die wichtigste Untersuchung war ein riesiges enzy- klopädisches Werk von Robert Burton, The Anatomy of Melancholy , ge- druckt 1621. Burton, Vikar an St. Thomas in Oxford, lebte wie ein Einsied- ler im Christ Church College, wo er Mathematik, Theologie, Astrologie, Magie, Medizin und Altphilologie studierte. Er definiert Melancholie als ein ‘innerliches Sehnen’, ‘eine Gewohnheit, eine ernsthaftes Leiden, eine chronische oder ununterbrochene Krankheit’ (an ‘inward languor’, ‘an habit, a serious ailment, a chronick or continuate disease’) und ‘eine Art Senilität ohne Fieber, die gewöhnlich begleitet wird von Furcht und Trau- rigkeit ohne jeden offensichtlichen Anlass’ (‘a kind of dotage without a fever, having for his ordinary companions fear & sadness, without any ap- parent occasion’). Diese seltsamen Definitionen beschreiben in der Tat unser modernes Leiden ganz gut. Unter den Gründen für Melancholie, wie sie durch Burton in der Anatomy kodifiziert wurden, sind stimmungsmäßige Unausgeglichenheit (zu viel schwarze Galle), die sündhafte Natur des Menschen, der bösartige Ein- fluss des Saturn, nicht genügend (oder zuviel) Sex, nicht genügend (oder zuviel) Alkohol etc. Einige moderne Autoren, die in Übereinstimmung mit Dr. Bright Verdauungsstörungen für die Hauptursache hielten, schrie- ben sie der schrecklichen Elizabethanischen Kost zu. Burton zählte auch viele Heilmittel auf, unter denen man auch einige der Gründe finden kann: Trunk, lustige Gesellschaft, Zauber, Änderung des Lebensweise, Musik (‚ein souveränes Heilmittel’ [‘a sovereign remedie’]), abführende Medizinen (wie Tabak), Liebe, und Tod. Unsere Erforschung dieser schwächenden Krankheit und ihrer möglichen Heilungsweisen stellt aus- zugsweise Lesungen aus Burtons großem Werk in den Mittelpunkt. Die Musik in unserem Programm entstammt sowohl höfischen als auch volkstümlichen Quellen. Der wohlinformierte Städter der Shakespeare- Zeit konnte an den Bücherständen auf dem Kirchhof von St. Paul’s nach den neuesten Lautenliedern von Campion, Ferrabosco und Dowland su- chen ebenso wie nach gelehrten Büchern, Gedichtsammlungen (wahr- scheinlich in Raubdrucken), volkstümlicher Literatur und Skandalblät- tern und Broadsides, jenen einblättrigen Barometern des Volksge- schmacks und der Volkskultur der Elizabethanischen Epoche. Auch auf den Straßen für einen Penny pro Seite verhökert, konnten Broadsides The- men behandeln, die vom soziologischen Kommentar (The poore man payes for all) , über moralistische Lehrtexte (Saint Bernard’s Vision, The Shaking of the Sheets) bis zu reinem Klatsch und Lokalnachrichten reichten. Thomas Ravenscrofts Pammelia (1609), Deuteromelia (1609), Melismata (1611), und A Brief Discourse (1614), die gefüllt waren mit einfachen Zirkelkanons (ro- unds) und mehrstimmigen Liedern (part-songs) mit und ohne Instrumen- talbegleitung, geben uns Einblick in die Art von Musik, wie sie im städti- schen Haushalt oder in der Kneipe zur feuchtfröhlichen Abendunterhal- tung gepflegt wurde. Der dump wird gewöhnlich beschrieben als langsa- mes, trauriges Lied oder eine derartige Melodie, und obwohl sie auch ziemlich süß klingen können, behält der Begriff seine melancholische Konnotation auch in unserer Zeit. Wir hoffen, dass unsere Musik, dieses ‘sovereign remedie’, in der Tat alle ‘melancholick humours’ vertreiben wird. © Grant Herreid und Karen Hansen T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2009 25 Leerer Beutel Die Geschich- te des Leeren Beutels reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Der Leere Beutel in seiner heutigen Gestalt stammt aus dem 16. Jahrhundert. Er diente der freien Reichsstadt als Getreidevorratsspeicher, mit dem man sich gegen Notzeiten wie Mißernten und Kriege und gegen die immer häufiger verhängten bayerischen Getreidesperren ab- zusichern versuchte. Die vom Eingang an der Giebel- seite in die Halle führende Treppe ist ein Werk des Bildhauers und Steinmetzes Michael Dietlmaier (1606/07), der auch die Engelkon- sole an der Südostecke des Reichs- saals sowie die Treppenbrüstung imAlten Rathaus geschaffen hat. P ROGRAMM A Melancholy Dream Bar’ra Faustus’ Dream B ROADSIDE B ALLAD My Lady Carey’s Dumpe A NONYM Melancholy T EXT : J OHN F LETCHER Nach der Melodie The Black Almaine (1579-1625) A Cause: Poverty Power Manes Doumpe (Poor Man’s Dump) A NONYM White sand and grey sand/ T HOMAS R AVENSCROFT Who liveth so merry (1590?-1625) The Poore Man Pays for All B ROADSIDE B ALLAD Nach der Melodie Oil of Barley A Remedy : Drinking in Merry Company Trudge away quickly T HOMAS R AVENSCROFT Martin said to his man T HOMAS R AVENSCROFT Another Cause: Love’s Melancholy A Dompe J OHN J OHNSON (1544?-1595) So tired are all my thoughts T HOMAS C AMPION (1567-1620) The Willow Song A NONYM Yet Another Cause: Man’s Sinful Nature St. Bernard’s Vision B ROADSIDE B ALLAD (Ein Diskurs zwischen Seele und Körper eines Verdammten, der gerade gestorben ist, die sich gegenseitig ihre Fehler vorwerfen; mit einer Rede der Teufel in der Hölle) Nach der Melodie Fortune My Foe The Shaking o’ the Sheets B ROADSIDE B ALLAD PAUSE Another Remedy: O Metaphysical Tobacco Philip’s Dumpe A NONYM Tobacco T OBIAS H UME (gest. 1645) Yet another Remedy: Witchcraft Queen Marees Dumpe A NONYM Thrice toss these oaken ashes T HOMAS C AMPION The Second Witches’ Dance A NONYM A Last Recourse Like Hermit poore A LFONSO F ERRABOSCO (1572-1628) Last Will and Testament A NTHONY H OLBORNE (1565-1602) Come, Heavy Sleepe J OHN D OWLAND (1562-1626) A USFÜHRENDE E X U MBRIS Lucy Fitz Gibbon Gesang Karen Hansen Violine, Viola da Gamba, Blockflöte, Gesang Grant Herreid Gesang, Laute, Blockflöte, Viola da Gamba Paul Shipper Gesang, Cister, Laute, Blockflöte Tom Zajac Renaissanceflöte, Dudelsack, Flöte und Handtrommel, Gesang

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