Tage Alter Musik – Programmheft 2009

T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2009 rung wegen seiner Bemühungen zur Stärkung seiner eigenen Herrschaft, während er gleichzeitig einen nahezu ununterbrochenen Konflikt mit dem Papsttum austrug. Während seiner Lebenszeit blühte die musikali- sche und intellektuelle Kultur in Frankreich, und die vielen Handschriften aus jener Zeit bezeugen dieses reiche künstlerische Klima. Heu Fortuna ist ein Panorama säkularer Musik, die in Handschriften enthalten ist, die zu Lebzeiten Philipps und in den Krisenjahren nach seinem Tode kopiert wurden und ein breites Spektrum sowohl zeitgenössischer als auch älterer Kompositionen, die zu der Zeit noch bekannt waren, bieten, darunter Lie- der der Trouvères, Motetten der Ars antiqua wie der Ars nova, Estampies und spätere instrumentale Intabulationen von Werken aus der Zeit. Der Chansonnier Cangé ( Paris, Bibliothèque Nationale, fr.845) wurde während der frühen Lebensjahre Philipps zwischen 1270 und 1280 kopiert und enthält nahezu 400 Lieder. „ Chanterai por mon coraige, “ Guiot de Dijon (um 1215-1225) zugeschrieben, ist für die Stimme einer Frau geschrieben, die singt, um nicht mutlos zu werden, während sie darauf wartet, dass der Mann, den sie liebt, von einemKreuzzug zurückkehrt. ImGegensatz dazu steht der anonyme Text von „ Amis, quelx est li mieuz vaillanz“ ein jeu parti . Die Musik ist eine Kontrafaktur von „ Quan vei la lauzetta mover“ des dem 12. Jahrhundert angehörenden Troubadours Bernart de Ventadorn. Sowohl Blondel de Nesles’ “ A l’entrant d’esté” als auch Gillebert de Berne- velles “Au noviau temps que yvers se debrise ” sind Lieder zum Thema „fin’amors“, in denen beide Dichter ausgiebig Gebrauch von Naturmeta- phern machen. Blondel de Nesles, geboren etwa 1150, gehörte zur ersten Generation von Trouvères und war am Hof der Champagne aktiv. Gille- bert de Berneville wirkte in Arras in der Mitte des 13. Jahrhunderts. Das anonyme “ Apris ai qu’en chantant plour ” ist ein chanson à refrain – der Re- frain am Ende jeder Strophe “ Chascuns dit que je foloi, mais nuns le sait mieuz de moi” bedeutet übersetzt: “Jeder sagt, dass ich verrückt bin, aber keiner weiß es besser als ich.” Etwa im späten 13. Jahrhundert erscheinen polyphone Rondeaux in eini- gen Quellen. Sowohl das anonyme „ Hélas! tant vi de male eure “ als auch Jehan de Lescurels „A vous, douce debonaire“ sind höfische Liebestexte in dreistimmigem Satz. „ A vous, douce debonaire“ erscheint sowohl in ein- stimmiger als auch in dieser dreistimmigen Version in derselben Hand- schrift, die alle überlebenden Werke des Komponisten enthält, aber be- sonders berühmt ist für den interpolierten Roman de Fauvel (Paris, B.N., f. fr. 146). Eine der Interpolationen in der Fauvel -Handschrift, „ Tribum que / Quoniam secta / Merito hec patimur,“ ist eine isorhythmische Motette von dem Kom- ponisten und Theoretiker des frühen 14. Jahrhunderts, Philippe de Vitry (1291-1361). Wie bei Fauvel ist der Text der Motette eine Allegorie, die Vor- kommnisse am französischen Hof zwischen 1315 und 1317 kritisiert: „Die wilde Fortuna fürchtete nicht, sich schnell gegen den Stamm zu wenden, der nicht von einer schamlosen Erhebung zurückschreckte, als sie den herrschenden Führer des Stammes nicht davor bewahrte …, als ewiges öf- fentliches Beispiel eingesetzt zu werden.“ „ Aman novi / Heu, Fortuna sub- dola / Heu me“ spricht von den Gefahren der Macht: die Motetus-Stimme verdammt Fortuna dafür, dass sie eine Person in höchste Höhen erhebt und sie dann absichtlich verlässt, damit sie fällt, während das Triplum ein Bild von jemandem malt, der nach zu viel Macht strebt, ihn mit Phaeton vergleicht und schließlich verkündet, dass „das Ende einer Laufbahn nicht notwendigerweise deren Anfang widerspiegelt.” Die späteste Handschrift in unserem Programm, der Robertsbridge- Codex (London Add. 28550, Mitte 14. Jahrhundert), enthält das früheste bekannte Beispiel einer Orgel-Tabulatur, darunter eine Intabulation von “ Tribum que / Quoniam secta / Merito hec patimur ” und zwei anderen Motet- ten. Der Codex enthält auch die beiden Estampies ( Retrove und ein Werk ohne Titel), die ebenfalls im heutigen Konzertprogramm erklingen wer- den. © Tobie Miller 39 A USFÜHRENDE L A R OTA Sarah Barnes Sopran Tobie Miller Flöte, Drehleier, Sopran Esteban LaRotta Laute, Harfe, Tenor Émilie Brûlé Fidel P ROGRAMM „H EU , F ORTUNA “ Chanterai por mon coraige vermutlich G UIOT DE Paris, Bibliothèque Nationale, fr. 845 D IJON (um 1215-25) (Chansonnier Cangé) Estampie „ Chanterai por mon coraige“ T OBIE M ILLER Ne m’oubliez mie / Domino A NONYM Montpellier, Bibliothèque Inter-Universitaire, Section Médecine, H196 Dieus! Comment porrai / O regina / Nobis Concedas A NONYM Montpellier, Bibliothèque Inter-Universitaire, Section Médecine, H196 A vous, douce debonaire (rondeau) J EHAN DE L ESCUREL Paris, Bibliothèque.Nationale., fr. 146 (gest. um.1304) (Roman de Fauvel) Amis, quelx est li mieuz vaillanz (jeu parti) A NONYM Paris, Bibliothèque Nationale, fr.845 (Chansonnier Cangé) Estampie ˝Chascuns dit que je foloi ˝ T OBIE M ILLER A l’entrant d’esté B LONDEL DE N ESLES Paris, Bibliothèque Nationale, fr.845 (um 1150) (Chansonnier Cangé) Estampie A NONYM British Library Add. 28550, f. 43 (Robertsbridge Codex) PAUSE Prendés i garde, s’on mi regarde A NONYM Rome, Vaticana, Fond. Christ. 1490 S’on me regarde / Prennés i garde / Hé! Mi Enfant A NONYM Montpellier, Bibliothèque Inter-Universitaire, Section Médecine, H196 Au noviau temps que yvers se debrise G ILLEBERT DE B ERNEVILLE Paris, Bibliothèque Nationale, fr.845 (um 1250) (Chansonnier Cangé) Helas! Tant vi de male… A NONYM Ms. Paris, Bibl. nat., Picardie 67 Apris ai qu’en chantant plour A NONYM Paris, Bibliothèque Nationale, fr.845 (Chansonnier Cangé) Quant voi la flor nouvelle A NONYM Paris, Bibliothèque Nationale, fr.845 (Chansonnier Cangé) Aman novi / Heu, Fortuna subdola / Heume vermutlich P HILIPPE DE Paris, Bibliothèque.Nationale., fr. 146 V ITRY (1291-1361) (Roman de Fauvel) Retrové (estampie) A NONYM London, British Library Add. 28550 (Robertsbridge Codex) Tribum que / Quoniam secta / P HILIPPE DE V ITRY Merito hec patimur (1291-1361) Paris, Bibliothèque.Nationale., fr. 146 (Roman de Fauvel) Tribum quem non abhorruit (intabulation) A NONYM British Library Add. 28550 (Robertsbridge Codex )

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