Tage Alter Musik – Programmheft 2009

treten in grandios auskomponierte Dialoge. Bleibt nur mehr zu sagen: die Nacht ist nicht so dunkel, wie man denkt! Der Kosmopolit Georg Muffat (1653-1704) vermochte es auf geniale Art undWeise, zwei völlig konträre und verfeindete Auffassungen von Musik zusammenzuführen: die pompöse Strenge und Kraft der Franzosen mit dem lebensfreudigen Feuer und der Freiheit der Italiener. Muffat studier- te in Frankreich (bei Lully) und in Italien (bei Pasquini und Corelli), wirk- te hauptsächlich in Salzburg und Passau, fühlte sich als Deutscher. In den 1690er Jahren stellte Muffat aus früher komponierten Werken (vor allem aus der Sonatensammlung Armonico Tributo) einen Zyklus von 12 Con- certi grossi zusammen. Im Vorwort der Druckversion dieser Concerti von 1701 (eigentlich: „Auserlesene mit Ernst und Lust gemengte Instrumental Music”) beschreibt Muffat verschiedene Varianten von Ensemblebeset- zungen. Der Interpret hat also – mit Muffats höchstpersönlicher Erlaub- nis! – verschiedene Möglichkeiten, das Werk an die Besetzung seines je- weiligen Ensembles anzupassen. Muffats Concerti grossi gehören ge- meinsam mit seinem „Apparatus Musico-Organisticus“ zum komposito- rischen Höhepunkt süddeutsch-österreichischer Barockmusik. Das Eröff- nungsstück unseres Programms, das Concerto grosso Nr. XII „Propitia sy- dera“ („Günstige Sterne“), beinhaltet eine monumentale Ciacona, in der sich Muffats musikalische Phantasie äußerst eindrucksvoll zeigt. Wie kaum ein anderer Komponist verstand es Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) in seiner Schreibweise höchste Virtuosität mit Publikums- wirksamkeit zu vereinen. Die Serenada à V („Nachtwächterserenade“ ge- nannt) ist ein Beispiel der großartigen Kompositionen Bibers für fünf- stimmiges, solistisch besetztes Streicherensemble. Jede Stimme wird hier absolut gleichberechtigt behandelt, benutzt gleiches motivisches Material und hat spieltechnisch gleich aufwändige Herausforderungen zu bewälti- gen. Der programmatische Aspekt dieser Komposition liegt in der Ciaco- na begründet. Hier tritt der Nachtwächter auf und verkündet zweimal den Schlag der Uhr, und zwar in österreichischem Dialekt. Der Gesang des Nachtwächters wird begleitet vom Pizzicato der Violinen und Violen, die das Schlagen des Uhrwerkes symbolisieren. Henry Purcell (1659-1695) hat mit seinen wenigen Opernkompositionen große identitätsstiftende Werke für das englische Volk geschaffen – idio- matisch englische Musik, die am Ende einer großen Tradition (Byrd, Blow, Gibbons, Phillips, Tomkins, Simpson) steht, aber bereits auch den Unter- bau für Händels Londoner Zeit legt. Purcell arbeitet mit viel Ironie und lässt in seiner Musik bereits im 17. Jahrhundert einen typisch britischen, schwarzen Humor zum Vorschein treten. Sehr reduziert, aber gehaltvoll, gewagt und experimentierfreudig behandelt er demnach auch in seiner Oper „The Fairy Queen“ das Thema Nacht. Es erklingen zwei Arien aus dieser Oper, die sich inhaltlich auf William Shakespeares ‚Sommernachts- traum’ beziehen. Auf den dämonischen und dunkel aufwühlenden Satz „Dance of the Followers of the Night“ folgt sofort die leichte, erlösende Air des zweiten Aktes. Die Musik von Antonio Vivaldi (1678-1741) ist keineswegs so gedacht, dass jeder einzelne Ton der Partitur detailliert von den Zuhörern wahrge- nommen werden soll. Sie setzt schnelle Tempi in halligen Räumen voraus. Der Effekt des verschwimmenden, glitzernden Gesamteindruckes ist ein ganz wesentlicher Bestandteil dieser Musik, man könnte fast von einem „auskomponierten Flimmern“ sprechen. Das Spiel mit den verschieden- sten Kombinationen von Klangfarben, unterschiedlichsten und raffinier- ten rhythmischen Übereinanderschichtungen, emotionalen Melodiedich- tungen und genauesten Anweisungen lassen die Musik Vivaldis zur spannenden Herausforderung für den Interpreten werden. Das Concerto „La Notte“ für Flöte, Fagott, 2 Violinen und Basso continuo zeigt die vie- len Aspekte der Nacht – vom ruhigen, erholsamen Schlaf (fast identisch mit dem zweiten Satz des Herbstes aus den „Vier Jahreszeiten“) bis zur rasenden Nervosität im „Fantasmi“ („Träume“). Georg Philipp Telemann (1681-1767) war einer der bekanntesten und höchstgeschätzten Komponisten seiner Zeit. Aber auch über das Kompo- nieren hinaus war Telemann eine – wie man heute sagen würde – kultur- politisch höchst wichtige und angesehene Persönlichkeit. Er hinterließ ein ungeheuer umfangreiches Lebenswerk, bei dessen Betrachtung sich die Vermutung aufdrängt, dass er mit entschlossenem Tempo und ungeheu- rer Sicherheit an das Komponieren herangegangen sein musste. Telemann hat für jede nur erdenkliche Instrumentalbesetzung Werke geschaffen, in welchen die Idiome der verschiedenen Instrumente exakt getroffen und oft zu unglaublich klangmalerischen Kombinationen zusammengefügt werden. Telemann dazu im O-Ton: „Gieb jedem Instrument das, was es ley- den kann, so hat der Spieler Lust, du hast Vergnügen dran.“ Die neunsätzige Ouverture in B-Dur TWV 55:B 3 wird gemeinhin nach dem Namen ihres 7. Satzes „Le Sommeil“ (der Schlaf) benannt. Im zweiten Teil dieses Sat- zes, wo sich die Ruhe des Schlafes bereits völlig ausgebreitet hat, gibt es zwei kurze Stellen, die ein wenig aufhorchen lassen. Aufgrund der tiefen Lage zweier Tonfolgen, könnte man meinen, den Kontrabass und das Vio- loncello schnarchen zu hören. Neben den üblichen, standardisierten fran- zösischen Tanzsätzen dieser Ouverture zeigen die Charakterstücke La Dis- cretion (die Diskretion), La Grimace (die Überraschung), La Doute (der Zweifel) und Mercure (der Götterbote Mercur) Telemanns unverkennba- re Klang-sprache. © Marcus Hufnagl T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2009 9 P ROGRAMM G EORG M UFFAT Concerto grosso XII „Propitia (1670-1736) Sydera“ (Günstige Sterne) Sonata – Aria – Gavotta – Ciacona - Borea H EINRIC I GNAZ F RANZ B IBER Serenada à V („Nachtwächter- (1644-1704) serenade“) Serenade – Allamanda – Aria – Ciacona - Gavotta H ENRY P URCELL Szenen aus der Oper „The Fairy Queen“ Aria of the Secresy - Aria of the Sleep – Dance of the followers of the night - Air A NTONIO V IVALDI Konzert g-Moll „ La notte“ (1678-1741) für Blockflöte, Streicher und Basso continuo Largo – Fantasmi – Presto – Largo – Presto Il Sonno – Largo – Allegro Solistin: Mariella Cuchiero, Blockflöte G EORG P HILIPP T ELEMANN Ouverture „Le Sommeil“ (1681-1757) Ouverture - La Discretion – Menuett – Courante - La Grimace - La Doute - Le Sommeil - Mercure Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Herwil van Gelder, NL-9963 Warfhuizen, für die freundliche Bereitstellung des Cembalos. Ebenso danken wir der Universität Regensburg (Fachbereich Musikpäda- gogik) für die freundliche Bereitstellung der Truhenorgel. A USFÜHRENDE C APELLA I NCOGNITA Bernhard Schandl, Sigrid Vogel Violine I Ursula Kirchberger, Barbara Zidar Violine II Anna Zambal, Sara Mosetti Viola Johannes Dollfuss Violoncello Sebastian Zambal Violone Mariella Cuchiero Blockflöte Andrea Strassberger Oboe I, Blockflöte Young-Mi Park Oboe II Makiko Kurabayashi Fagott Marcus Hufnagl Cembalo, Orgel

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