Tage Alter Musik – Programmheft 2010

Mai 2010 Preis: 4,00 € Musik vomMittelalter bis zur Romantik 21.-24. Mai 2010

3 Vorwort Zum 26. Mal Liebe Musikfreunde, die TAGE ALTER MUSIK REGENSBURG finden in diesem Jahr zum 26. Mal statt. In den vier Tagen des Festivals können wir Ihnen wieder anregende Begegnungen mit Musik vom Mittelalter bis zur Romantik präsentieren. Hervorragende internationale Orchester, Ensembles und Solisten der Alten Musik aus ganz Europa und Übersee werden die historischen Kirchen und Säle unserer Stadt mit musikalischem Leben erfüllen. Auch die alljährlich stattfindende große Ausstellung im historischen Salzstadel von Nachbauten historischer Musikinstrumente, von Noten, Büchern, Ton- und Bildträgern wird mit über 60 Ausstellern wieder ein großer Anziehungspunkt des Festivals sein. Wir möchten an dieser Stelle allen Förderern und Unterstützern des Festivals danken, ohne deren Hilfe die TAGE ALTER MUSIK nicht möglich wären. Besonders wollen wir an dieser Stelle der SPARKASSE REGENSBURG danken, dem offiziellen Hauptsponsor des Festivals. Nicht zuletzt gilt unser Dank allen langjährigen treuen Musikfreunden, die alljährlich in großer Zahl das Festival besuchen. Wir begrüßen alle Freunde der Alten Musik in Regensburg und wünschen erlebnisreiche Tage. Ihr Tage Alter Musik-Team Ludwig Hartmann, Stephan Schmid, Paul Holzgartner Grußwort Ein Festival von internationalem Ruf Die Stadt Regensburg freut sich, mittlerweile zum 26. Mal Schauplatz eines Festivals von internationalem Ruf zu sein. Die Tage Alter Musik begeistern jedes Jahr aufs Neue nicht nur das Regensburger Publikum, sondern auch viele Gäste von außerhalb, denn 50 Prozent der Zuschauer kommen mittlerweile von auswärts zu den Tagen Alter Musik in unsere Stadt. Als im Jahr 1984 die drei Regensburger Studenten Stephan Schmid, Ludwig Hartmann und Christof Hartmann die ersten Tage Alter Musik ins Leben riefen, ahnte noch niemand, welchen großartigen Erfolg dieses Musikfest haben würde. Von Anfangs fünf Konzerten stieg die Anzahl auf mittlerweile vierzehn, die Besucherzahl nahm von Jahr zu Jahr zu und dementsprechend wuchs auch das Medieninteresse. Weit über 100 der Konzerte wurden bisher von in- und ausländischen Rundfunksendern übertragen. Deutsche Tageszeitungen, internationale Fachzeitschriften, Rundfunksender und Fernsehstationen sind beim Festival vor Ort. Für die Fernsehstationen ist die Dokumentation in zweifacher Hinsicht lohnenswert. Das Festival bietet nicht nur Genuss für die Ohren, sondern auch für die Augen. Unsere Welterbestadt ist der ideale Rahmen für die Tage Alter Musik. Gerade die Symbiose aus historischen Räumen und historischer Aufführungspraxis zieht die Besucher in ihren Bann. Vom gotischen Historischen Reichssaal bis zum klassizistischen Neuhaussaal: die prächtigen Räumlichkeiten beschränken sich ebenso wenig auf eine Epoche wie die darin gespielte Alte Musik, die alle Epochen vomMittelalter bis zur Romantik umfasst. Weit über die Stadtgrenzen hinaus zu einer Institution im kulturellen Kalender geworden, erwartet uns mit den Tagen Alter Musik ein Fest, das sich durch seine Einzigartigkeit und seine lebendige Ästhetik auszeichnet. Es ist mir eine Ehre, die mitwirkenden Musiker aus Deutschland und der ganzen Welt in Regensburg begrüßen zu dürfen und so wünsche ich allen Zuhörern, ob von nah oder von fern, einmalige Stunden in unseren historischen Stätten bei klassischer Musik! Hans Schaidinger Oberbürgermeister der Stadt Regensburg Grußwort Unbezahlbares Engagement der Organisatoren Am Pfingstwochenende begibt sich Regensburg alljährlich auf eine musikalische Zeitreise zurück in die Epochen vom Mittelalter bis zur Romantik. Schon zum 26. Mal erklingen heuer die Tage Alter Musik in einigen der vielen beeindruckenden historischen Bauten der Domstadt. Die Kombination von Alter Musik und authentischen Aufführungsorten ermöglicht dem Publikum einen stimmungsvollen Einblick in die Musikgeschichte. DenAuftakt machen traditionell die Regensburger Domspatzen, die hier ein echtes Heimspiel haben. Anschließend präsentieren zahlreiche Ensembles aus ganz Europa sowie dieses Jahr sogar aus Brasilien ein gewohnt abwechslungsreiches Programm. Bei 14 Konzerten innerhalb von nur vier Tagen haben die Besucherinnen und Besucher die sprichwörtliche Qual der Wahl - im besten Sinn! Für Fachkundige lohnt sich außerdem ein Rundgang über die große internationale Verkaufsausstellung mit Nachbauten alter Instrumente. Damit bieten Musik- und Rahmenprogramm die besten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Musikfestival. Wir verdanken das traditionsreiche Musikerlebnis dem unbezahlbaren Engagement der Organisatoren sowie der Unterstützung von Sponsoren und Spendern, zu denen sich auch der Freistaat Bayern zählen darf. Allen Förderern gilt mein besonderer Dank für ihren wertvollen Beitrag zum kulturellen Angebot in Bayern! Den Beteiligten wünsche ich gelungene Tage Alter Musik in Regensburg und den Besucherinnen und Besuchern Musikgenuss vom Feinsten. Dr. Wolfgang Heubisch Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010

TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 Werke von Franz Schubert und Ludwig van Beethoven 4 Oben: Die Regensburger Domspatzen im Jahr 2009 in der Alten Kapelle Foto: Hanno Meier Unten: Akademie für Alte Musik Berlin Foto: Matthias Heyde Freitag, 21. Mai 2010, 20.00 Uhr Basilika St. Emmeram , Emmeramsplatz Monika Mauch, Sopran Ulrike Mayer, Alt Michael Mogl, Tenor Benjamin Appl, Bass Leitung: Domkapellmeister Roland Büchner Regensburger Domspatzen Akademie für Alte Musik Berlin

Hauptaufgabe derRegensburger Domspatzen , die auf eine über 1000-jährige Tradition zurückblicken können, ist der liturgische Dienst im Regensburger Dom. Auch die Konzerttätigkeit der Regensburger Domspatzen brachte dem Chor unter der Leitung von Roland Büchner im In- und Ausland beste Kritiken und höchstes Lob ein. Jüngste Konzerthöhepunkte waren im Mai 2004 die Aufführung des Oratoriums „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn im Rahmen der Tage Alter Musik (mit der Akademie für Alte Musik Berlin) und im Frühjahr 2005 die Johannes-Passion von J. S. Bach (mit dem L’Orfeo Barockorchester). Glanzvolle Höhepunkte im Herbst 2005 waren die Konzerte in Rom in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI.: zum einen ein Galakonzert mit den Münchner Philharmonikern (Leitung: Christian Thielemann) in der Audienzhalle Paul VI. vor 7000 Zuhörern, zum anderen die CD-Präsentation „Konzert für Papst Benedikt XVI.“ in der Sixtinischen Kapelle. Diese CD zählt mit über 50.000 verkauften Exemplaren zu den Bestsellern im klassischen Bereich. Im Frühjahr 2006 sangen die Regensburger Domspatzen die Matthäus-Passion von J. S. Bach (mit Concerto Köln) in Regensburg und München. 2007 bestritten die Regensburger Domspatzen zusammen mit Concerto Köln das Eröffnungskonzert der Tage Alter Musik mit der Es-Dur Messe von Franz Schubert und 2008 sangen sie den „Elias“ von Mendelssohn mit der Akademie für Alte Musik Berlin. Im Frühjahr 2008 begleiteten die Regensburger Domspatzen Bischof Gerhard LudwigMüller auf seiner Pastoralreise nach Südafrika. Anlässlich des 85. Geburtstages von Domkapellmeister em. Georg Ratzinger brachten die Regensburger Domspatzen zusammen mit dem L’Orfeo Barockorchester am 17. Januar 2009 Mozarts c-Moll-Messe in der Sixtinischen Kapelle inAnwesenheit von Papst Benedikt XVI. zurAufführung. Mit diesemWerk eröffneten sie auch im vergangenen Jahr die Tage Alter Musik. Roland Büchner , geboren 1954 in Karlstadt/Main, studierte zunächst an der Fachakademie für kath. Kirchenmusik und Musikerziehung Regensburg und ging dann an die Musikhochschule München. Dort schloss er sein Studium mit der künstlerischen Staatsprüfung im Fach „Kath. Kirchenmusik“ und dem Diplom im Konzertfach Orgel ab. Seine Lehrer waren u.a. Franz Lehrndorfer, Gerhard Weinberger, Diethard Hellmann und Godehard Joppich. Von 1976 bis 1987 war Roland Büchner als Stiftskapellmeister in Altötting tätig und zugleich an der dortigen Berufsfachschule für Musik als Lehrer für Gregorianik und Chorleitung. Von 1987 bis 1994 leitete Roland Büchner den Konzertchor der Fachakademie für kath. Kirchenmusik und Musikerziehung Regensburg (jetzt: Hochschule für kath. Kirchenmusik und Musikpädagogik) und war an diesem Institut hauptberuflich Dozent für Chorleitung und Orgel. 1994 wurde er zum Domkapellmeister und Leiter der Regensburger Domspatzen als Nachfolger von Georg Ratzinger berufen, wo er an der Spitze der Institution mit den Bereichen Chor, Musikgymnasium und Internat steht und diese als Domkapellmeister und Stiftungsvorstandsvorsitzender leitet. Für seine Verdienste um die Regensburger Domspatzen erhielt Domkapellmeister Roland Büchner 2004 den Kulturpreis der Stadt Regensburg und im Jahr 2005 aus den Händen von Bischof Gerhard Ludwig Müller die St.-Wolfgangs-Medaille, die höchste Auszeichnung für Laien im Bistum Regensburg. Unter Domkapellmeister Roland Büchner konzertierte der Chor bereits dreimal in Japan (1998, 2000 und 2004) und unternahm Auslandstourneen nach Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn, Schottland, auf die Philippinen und nach Südafrika. DieAkademie für Alte Musik Berlinfeierte 2007 ihr 25-jähriges Jubiläum und kann dabei auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückblicken. Abseits des herrschenden Kulturbetriebs 1982 in Ost-Berlin gegründet, gehört die Akademie für Alte Musik Berlin inzwischen zur Weltspitze der Kammerorchester. Das Ensemble gastiert regelmäßig in den musikalischen Zentren Europas wie Wien, Paris, Amsterdam, Zürich, London und Brüssel. Tourneen führten bislang in fast alle europäischen Länder sowie nach Asien, Nord- und Südamerika. Bereits seit der Wiedereröffnung des Hauses 1984 gestaltet das Ensemble eine eigene Konzertreihe im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Schon seit 1994 ist die Akademie für Alte Musik Berlin regelmäßiger Gast an der Berliner Staatsoper Unter den Linden sowie bei den Innsbrucker Festwochen. Eine intensive künstlerische Zusammenarbeit verbindet das Ensemble v.a. mit den Dirigenten René Jacobs, Marcus Creed und Daniel Reuss, demRIAS Kammerchor, dem Vocalconsort Berlin, dem Countertenor Andreas Scholl, der Sopranistin Cecilia Bartoli sowie der Choreografin Sasha Waltz. Mit der Purcell-Oper Dido & Aeneas feierte die Akademie für Alte Musik Berlin einen weiteren internationalen Erfolg. Die Koproduktion mit dem Tanzensemble Sasha Waltz & Guests wurde inzwischen u.a. nach Amsterdam, London und Brüssel eingeladen und wird regelmäßig an der Berliner Staatsoper aufgeführt. Im September 2006 eröffnete furios dasRadialsystem Vein neues Haus für das Zusammenspiel aller Künste, in dem die Kooperation der beiden Ensembles ihre fruchtbare Fortsetzung findet. Davon zeugt auch die Produktion „Medea“, eine Choreografie von Sasha Waltz zur Oper „Medeamaterial“ von Pascal Dusapin, die 2007 ihre Premiere hatte und von Presse und Publikum gleichermaßen umjubelt wurde. Neue Wege beschreitet das Orchester auch mit dem choreografischen Konzert „Vier Elemente – Vier Jahreszeiten“, mit dem die Akademie für Alte Musik Berlin auf internationalen Bühnen ihren Ruf als kreatives und innovatives Ensemble weiter festigt. Weit über eine Million verkaufte Tonträger bürgen für den Weltruhm des Ausnahmeensembles. Die seit 1994 exklusiv für harmonia mundi france produziertenAufnahmen wurdenmit allen internationalen Schallplattenpreisen ausgezeichnet, u.a. dem Grammy, dem Diapason d’Or, dem Cannes Classical Award, dem Gramophone Award oder dem Edison-Award. Im März 2006 erhielt die Akademie den Telemann-Preis der Stadt Magdeburg. 2009 wurde die Akademie für Alte Musik Berlin mit dem Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik für die DVD-Produktion der Purcell-Oper Dido & Aeneas mit Sasha Waltz & Guests ausgezeichnet und erhielt außerdem den MIDEM Classical Award 2010 und den Choc de l’année für seine Einspielung von Telemanns Brockes-Passion. Das Berliner Ausnahmeorchester ist bei den Tagen Alter Musik immer hochwillkommen und gastiert nach 1988 (noch zu DDR-Zeiten) 1991,1994, 1999, 2002, 2004 und 2008 heuer zum8. Mal bei den TagenAlter Musik. Monika Mauch, geboren in Geislingen an der Steige, Baden-Württemberg, begann ihre Gesangstudien am Institut für Alte Musik der Musikhochschule Trossingen bei dem Bass-Bariton Richard Wistreich, gefolgt von einem Studienjahr in Paris bei Jill Feldman. Ihre sängerische Karriere begann mit Scheidt- und Schütz-CDs in Philippe Pierlot’s Ricercar Ensemble gemeinsam mit dem Bläserensemble La Fenice unter Jean Tubéry, mit mittelalterlicher Musik im Ensemble Ordo Virtutum unter der Leitung von Stefan Morent, mit dem Taverner Consort unter Andrew Parrott und mit Red Byrd (John Potter und Richard Wistreich). In den folgenden zehn Jahren ihrer musikalischen Laufbahn galt Monika Mauchs Leidenschaft sowohl der Arbeit mit größeren Ensembles, Kammermusik und Vokalgruppen, als auch ihrer Solokarriere. Ihre Arbeit mit Cantus Coelln zumBeispiel glänzt inAufnahmen wie demAltbachischenArchiv oder Bachs hmoll Messe bei Harmonia Mundi France. Ebenso zeigte sie ihre Qualitäten unlängst in Konzerten und Aufnahmen von Carissimi, Buxthehude und Biber mit La Capella Ducale und Musica Fiata unter der Leitung von Roland TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 5 Monika Mauch Ulrike Mayer Michael Mogl Benjamin Appl Roland Büchner

Wilson, in den interessanten Barock- und Renaissance-Programmen des Ensemble Weser Renaissance, geleitet von Manfred Cordes, in San Francisco mit Double Band unter René Jacobs, gefolgt von Konzerten mit Collegium Vocale Gent unter Philippe Herreweghe und der Rheinischen Kantorei unter Hermann Max. Sie arbeitet auch regelmäßig mit dem von Bruce Dickey und Charles Toet geleiteten Concerto Palatino. Sie wirkte bei zahlreichen CD-Produktionen mit. Besonders hervorzuheben sind die Bachkantateneinspielungen mit Montreal Baroque unter Eric Milnes. Neueste Produktionen sind: „Musical banquet“, Lautenlieder mit Monika Mauch und Nigel North beim Label ECM und Händel „Neun deutsche Arien“, Carus Verlag mit L’Arpa Festante. Die aus Stuttgart stammende Mezzosopranistin Ulrike Mayer studierte bei Thomas Quasthoff an der Hochschule für Musik Detmold und bei Klesie Kelly an der Hochschule für Musik Köln. Bereits während ihres Studiums wurde sie an das Theater Magdeburg engagiert, dessen Ensemble sie bis 2009 angehörte. Die junge Sängerin gastierte an der Deutschen Oper Berlin, am Staatstheater Mainz und dem Anhaltischen Theater Dessau und folgte Einladungen nach Schloss Elmau, zum Kurt-Weill-Fest Dessau, zum Mannheimer Mozartsommer, den Schwetzinger Festspielen und der Ruhrtriennale. Ihr umfangreiches Lied- und Oratorienrepertoire führte sie zu Konzerten nach Spanien, Russland, Albanien und Litauen und ließ sie mit verschiedenen renommierten Orchestern zusammenarbeiten. Sie sang bei der Wiedereröffnung der Dresdner Frauenkirche und 2006 debutierte sie an der Opèra de Bastille in Paris. Der 23-jährige TenorMichael Mogl erhielt seine erste musikalische Ausbildung bei den Regensburger Domspatzen. Sowohl als Knaben- wie auch als Männerstimme war er bei zahlreichen Auftritten solistisch tätig. Seit Herbst 2007 studiert er bei Prof. Christoph Prégardien an der Musikhochschule Köln. Er kann bereits eine rege Konzerttätigkeit im In- und Ausland vorweisen. Sein Repertoire umfasst Werke von Händels Messias über das Requiem von Mozart bis hin zu den Arien der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach und der Markuspassion von Reinhard Keiser. 2006 war der junge Tenor Stipendiat des Richard-Wagner-Verbandes und erhielt im Jahr 2007 einen Förderpreis der KaiUwe-von-Hassel-Stiftung. Im Frühjahr 2009 ist eine CD-Einspielung von Georg Joseph Voglers Requiem zusammen mit dem Orpheus Chor München und der Neuen Hofkapelle München bei Oehms classics erschienen. Der BaritonBenjamin Applbekam seine musikalische Grundausbildung bei den Regensburger Domspatzen. Derzeit ist er Student in der Klasse von Prof. Edith Wiens sowie in der Liedklasse von Prof. Helmut Deutsch an der Hochschule für Musik und Theater München und an der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Ende 2009 schloss er ein paralleles Studium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Diplom ab. Seit März 2007 ist Benjamin Appl Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Orchestern und Ensembles erarbeitete sich Benjamin Appl als Solist ein umfangreiches Konzertrepertoire. So war er z.B. mit Händels Messiah in Paris, mit BachsWeihnachtsoratoriumbei den Internationalen Haller Bach-Tagen, mit Bach-Kantaten bei den Züricher Bach-Tagen sowie mit Haydns Schöpfung in der Wieskirche zu hören. Im Juli und August 2010 ist Benjamin Appl im Rahmen des Steans Institute for Young Artists zu Gast beim Ravinia Festival in Chicago. Opernerfahrung sammelte der lyrische Bariton als Ernesto in Haydns Oper Die Welt auf dem Mond sowie als Minister in Johann Strauß‘ Wiener Blut . Im Juni 2009 übernahm er die Rolle des Schaunard in PuccinisLa Bohèmemit dem Münchner Rundfunkorchester unter dem Dirigat von Ulf Schirmer, unter dessen musikalischer Leitung Benjamin Appl auch im Februar 2010 in der Oper Tri sestri von Peter Eötvös den Baron Tusenbach sang. In der gleichen Rolle debutiert Benjamin Appl im Juli 2011 an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden Berlin. Zum Programm: Die Kirchenmusik beschäftigte Franz Schubert ein Leben lang. Zu Lebzeiten des Komponisten erfuhr seine Kirchenmusik eine vergleichsweise weite Verbreitung, danach gerieten vor allem seine kleineren Werke in Vergessenheit – jedoch sehr zu Unrecht. Im ersten Teil des Konzerts erklingen zwei Werke für Solosopran und Orchester, das Offertorium Totus in corde langueo (1815) und das Salve Regina A-Dur (1819) sowie zwei Chorwerke mit Orchesterbegleitung, das Magnificat C-Dur (1816) und das Stabat mater gMoll (1815). Im 18. Jahrhundert wurden in Österreich zweierlei Arten von Offertoriumsvertonungen unterschieden: Werke mit liturgisch gebundenem und Werke mit liturgisch freiem Text. Bei letzteren handelt es sich um geistliche Lieder oder zur Andacht geeignete Stücke wie Salve-Regina-Vertonungen, die mit „Offertorium“ tituliert wurden und so „omni tempore“ an dessen Stelle im Gottesdienst gesungen werden konnten. Es kam in der Folge zu einer unüberschaubaren Anzahl von Kompositionen, welche die ebenso willkürlichen wie verwirrenden Bezeichnungen „Offertorium“, „Graduale“ oder „Motetto“ trugen. Insgesamt sind fünf als Offertorien bezeichnete Werke von Schubert bekannt: darunter das Salve-Regina A-Dur D 676 für Solosopran und Streicher und „Totus in corde langueo C-Dur D 136, ebenfalls für Solosopran, konzertierende Klarinette, zwei Querflöten, zwei Hörner und Streicher. Die Sopranpartie hat Schubert vermutlich für die Sängerin Therese Grob geschrieben. Die Komposition ist hinsichtlich der von den Ausführenden verlangten Virtuosität Opernarien durchaus vergleichbar. Schuberts Magnificat beendet den ersten Teil des Konzerts. Bereits die Besetzung des Werkes deutet auf einen festlichen Anlass hin: zu dem vierstimmigen Chor treten vier Vokalsolisten, das Orchester umfasst neben Streichern und Orgel auch Oboen, Fagotte, Pauken und Trompeten. Das Werk ist in drei Teilen konzipiert, deren beide äußere aufeinander Bezug nehmen und einen lyrischen Mittelteil umrahmen. Dieser ist den Vokalsolisten vorbehalten und wird vom Orchesterpart in ebenfalls reduzierter Weise begleitet. Die Solo-Oboe beginnt diesen Mittelteil und tritt in Dialog mit dem Solosopran, dessen Partie den ungewöhnlich hohen Spitzenton b’’ verlangt. Ebenso wie bei anderen Kirchenkompositionen aus dieser Zeit wird diese Partie mit Schuberts angeblicher Jugendliebe Therese Grob in Verbindung gebracht, deren „schöne Sopranstimme“ als „bis zum hohen d reichend“ beschrieben wird. Den Abschluss des Werkes bildet die mehrfache Wiederholung des „Gloria-patri“-Textes. Schubert greift hier auf den ersten Hauptteil des Werkes zurück, steigert dessen Wirkung aber noch durch ein Übereinander von Chor und Vokalsolisten. Dabei erzielt er gerade gegen Ende desMagnificatmit sehr eigenen harmonischen Wendungen eine dramatische Steigerung. Ludwig van Beethovenkomponierte seine Messe C-Dur für vier Solostimmen, Chor und Orchester op. 86 zum Namenstag der Fürstin Esterházy. Das Werk wurde am 13. September 1807 in Eisenstadt aufgeführt und – abgelehnt. Zu neuartig, zu rigoros die Konventionen verleugnend präsentierte sich die Messe. Aber hätte Beethoven unter das künstlerische Niveau der gleichzeitig entstandenen c-Moll-Symphonie zurückgehen sollen? Beethoven konnte den in der Gattung angelegten Widerspruch zwischen tradierter Überlieferung und liturgischer Gebrauchsfunktion einerseits und erreichtem kompositionstechnischen Standard andererseits nur im Sinne einer neuen Synthese auflösen, und er war sich der Neuartigkeit seiner Vertonung durchaus bewusst: „Von meiner Messe ... glaube ich, daß ich den Text behandelt habe wie er noch wenig behandelt worden.“ Kein machtvoller Kyrie-Ruf, sondern ein schlichter, lyrisch entfalteter Bittgesang eröffnet die Messe: „innige Ergebung, wahre Innigkeit religiösen Gefühls ... Sanftheit“ charakterisierte Beethoven diesen Satz. Die auch in den anderen Teilen der Messe wiederkehrende Begleitfigur in den Violinen wird im Sinne des symphonischen Prinzips absichtsvoll als satzverbindendes Element verwendet. Im Fortissimo, zu den heftig auf- und abfahrenden Skalen der Streicher, zu den Trompetensignalen und dem mächtigen Paukenwirbel, lobpreist der Chor Gott („Gloria in excelsis Deo“), um sogleich im denkbar schärfsten Gegensatz hierzu das verinnerlichte „Et in terra pax“ anzustimmen. Das „Gratias agimus tibi“ trägt der Solo-Tenor im Wechsel mit dem Chor vor. Trompeten und Pauken akzentuieren nachdrücklich die Textstelle „Deus Pater omnipotens“. Schmerzerfüllt und in engen Tonstufen, ganz aus dem Wortausdruck heraus, gestaltet Beethoven das „Qui tollis peccata mundi“. Die „Miserere nobis“-Einwürfe des Chores werden bis zur Leidenschaftlichkeit gesteigert. Nach vorangegangenem f-Moll erklingt im strahlenden C-Dur das „Quoniam tu solus sanctus“, dem sich wiederum die machtvolle „Cum sancto spiritu“-Fuge anschließt. Nach stockendem, zaghaftem Beginn richtet sich das „Credo in unum Deum“, in akkordischem Chorsatz und eingebettet in strahlenden Bläserglanz, zu imposanter Größe auf, Glaubensgewissheit symbolisierend. Vom konTAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 6

TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 7 templativen, schmerzlichen Gestus der drei Teile Menschwerdung, Kreuzigung und Grablegung Christi („Et incarnatus est“, „Crucifixus“, „Et sepultus est“) bis zur hymnischen Verkündung des „Et resurrexit“ und der an Händel gemahnenden „Et vitam venturi saeculi“-Fuge offenbart sich Beethovens einzigartiger Gestaltungsreichtum. Nicht solenne Klangpracht im Sanctus zu entfalten, lag in der Absicht des Komponisten; er zeichnet vielmehr eine zurückhaltende, fast pastorale Stimmung und betont damit die demutsvolle Gebärde des Menschen vor der Größe Gottes. Erst in den polyphon verarbeiteten Abschnitten „Pleni sunt coeli et terra“ und „Osanna in excelsis“ wird Gotteslob emphatisch mitgeteilt, während im „Benedictus“ wieder lyrische Stimmungen im Wechsel von Solistenquartett und Chor Raum greifen. Im „Agnus Dei“ verleiht Beethoven der zentralen Aussage des Satzes, der Bitte um Frieden, tiefe Eindringlichkeit. Jedes Wort, „Agnus Dei“, „Miserere nobis“, dringt ins Bewusstsein des Hörers ein, als verzweifelter Aufschrei und lastende Qual, als grelle Dissonanz und beinahe flehentliche Gebärde, martialisch und verinnerlicht ... In den letzten Takten, „Andante con moto, tempo del Kyrie“ überschrieben, greift Beethoven auf den liedhaften Anfang des Kyrie zurück und stellt mit diesem Kunstgriff ein weiteres Mal die zyklische Einheit dieser Komposition her. © Hans-Günter Ottenberg AAUSFÜHRENDE AKADEMIE FÜRALTEMUSIKBERLIN Georg Kallweit (Konzertmeister), Kerstin Erben, Edburg Forck, Thomas Graewe, Barbara Halfter Violine I Dörte Wetzel, Erik Dorset, Stephan Mai, Uta Peters, Gabriele Steinfeld Violine II Clemens Nuszbaumer, Sabine Fehlandt, Annette Geiger, Stephan Sieben Viola Jan Freiheit, Barbara Kernig, Nicholas Selo Violoncello Michael Neuhaus, Mirjam Wittulski Kontrabass Christoph Huntgeburth, Antje Schurrock Querflöte Xenia Löffler, Michael Bosch Oboe Ernst Schlader, Annette Thomas Klarinette Christian Beuse, Eckhard Lenzing Fagott Christian Dallmann, Miroslav Rovensky Horn Wolfgang Gaisböck, Sebastian Kuhn Trompete Sebastian Krause, Stefan Gruner, Fernando Günther Posaune Heiner Herzog Pauken Raphael Alpermann Orgel Basilika St. Emmeram Aus einer kleinen, möglicherweise spätantiken Georgskapelle entstand die karolingische Basilika um das Grab des westfränkischen Wanderbischofs Emmeram, der im Jahr 652 bei Regensburg getötet wurde. Am Grab Emmerams, des ersten bayerischen Nationalpatrons, ließen sich Benediktinermönche nieder und gründeten eines der ältesten Klöster in Bayern. An eine Ringkrypta mit dem Grab des Heiligen schloss sich noch im 8. Jahrhundert eine dreischiffige Basilika an, die um 1050 ein mächtiges Westquerhaus mit Dionysiuschor erhielt. Die weitläufige Klosterkirche birgt neben zahlreichen Grabstätten von Seligen auch die Grabstätte von Bischof Wolfgang, die sog. Wolgangskrypta. Wolfgang hatte in St. Emmeram die klösterliche Gemeinschaft reformiert und sie 974 von einer bis dahin geltenden Personalunion mit dem Bischofsamt befreit. 1731-33 erfolgte eine barocke Modernisierung durch Michael Prunner. Durch die Gebrüder Asam erhielt die Klosterkirche ihr festliches Aussehen mit Stukkaturen, Figuren und Malereien. Seit der Säkularisation im Jahr 1803 besteht die Kirche als Pfarrkirche fort, die Klostergebäude kamen 1812 an die Fürsten Thurn und Taxis. PROGRAMM FRANZSCHUBERT Salve Regina A-Dur (1797-1828) für Solosopran und Streicher D 676 (1819) Stabat Mater g-Moll für Chor und Orchester D 175 (1815) Offertorium: Totus in corde langueo op. 46 für Solosopran und Orchester D 136 (1815) Magnificat C-Dur für Chor und Orchester D 486 (1816) PAUSE LUDWIG VANBEETHOVEN Große Messe C-Dur op. 86 für Soli, Chor (1770-1827) und Orchester (1807) I. Kyrie Andante con moto assai vivace quasi Allegretto ma non troppo II. Gloria Gloria in excelsis Deo, Allegro con brio Qui tollis peccata mundi, Andante mosso Quoniam tu solus sanctus, Allegro ma non troppo III. Credo Credo in unum Deum, Allegro con brio Et incarnatus est, Adagio Et resurrexit tertia die, Allegro ma non troppo Et vitam venturi, Vivace IV. Sanctus Sanctus, Sanctus, Sanctus, Adagio Pleni sunt coeli – OsannaAllegro Benedictus qui venit, Allegro ma non troppo Osanna, Allegro V. Agnus Dei Agnus Dei, Poco Andante Dona nobis pacem, Allegro ma non troppo – Andante con moto, tempo del Kyrie Wir danken der Meisterwerkstätte für Orgelbau, Josef Maier, 88138 Hergensweiler für die freundliche Bereitstellung der Truhenorgel. Dieses Konzert wird in Verbindung mit dem Verein „Freunde des Regensburger Domchors e.V.” durchgeführt. Die Regensburger Domspatzen werden in besonderer Weise von der LigaBank Regensburg unterstützt. Dieses Konzert findet auch schon am Donnerstag, dem 20. Mai in der Basilika St. Emmeram als Vorpremiere statt.

Das Vokal- und Instrumentalensemble La Morra wurde an der Schola Cantorum Basiliensis (Basel, Schweiz) gegründet und gab sein internationales Debüt im Jahr 2000. Der Name des Ensembles ist einer Komposition Heinrich Isaacs entlehnt. Spezialisiert auf Musik des Spätmittelalters und der Renaissance, ist das Ensemble seitdem auf vielen bedeutenden Festivals wie dem belgischen Festival van Vlaanderen, dem niederländischen Holland Festival und Netwerk Oude Muziek, bei den Schweizer Freunden Alter Musik in Basel, den Rencontres de Musique Médiévale du Thoronet in Frankreich und Il Canto delle Pietre in Norditalien aufgetreten und hat zahlreiche Konzerte in ganz Europa gegeben. La Morra hat mehrere CDs veröffentlicht, die von der internationalen Presse mit viel Aufmerksamkeit bedacht worden sind. Seit 2005 arbeitet La Morra eng mit dem Label Ramée zusammen. Zum Programm: Gotische Kunst kennt im Überfluss bildliche Darstellungen von göttliche Personen der westlichen Christenheit umgebenden musizierenden Engeln (besonders in den Szenen von Geburt und Anbetung). Es wurde darauf hingewiesen, dass solche „Engelkonzerte“ nicht nur wertvolle Informationen über die Kunstwerke selbst, sondern auch über zeitgenössische musikalische Praktiken enthalten können. Gelegentlich legt der Maler ein wirkliches Notenblatt in Engelshände, wie es der als „Master of the Embroidered Foliage“ bekannte flämische Künstler des späten 15. Jahrhunderts tat. In den beiden ihm zugeschriebenen „Madonna und Kind“- Gemälden (dem sogenannten „Polizzi Generosa Triptychon“ in Sizilien und einem gegenwärtig in der Sammlung von R. J. Grog, Paris, befindlichen Gemälde) hält einer der musizierenden Engel eine Handschrift einer polyphonen AntiphonAve regina celorumvon Walter Frye. Selten ist ein Stück polyphoner Musik in der bildenden Kunst der Zeit zu sehen, und es erheben sich viele Fragen über die Identifikation desAve regina celorumin mehreren Gemälden, die demselben Künstler zugeschrieben werden können. Warum wählte er gerade dieses Stück? Beruhte seine Wahl auf ästhetischen Kriterien? Wurde das Stück derart hochgeschätzt, dass man es für „engelsmusikwürdig“ hielt? Oder war es die Kunst der polyphonen Komposition selbst? „Es ist sehr überraschend, dass es keine vor über vierzig Jahren geschriebene Komposition gibt, die von den Gelehrten für aufführungswürdig gehalten wird. Zu dieser Zeit floriert, ich weiß nicht, ob aufgrund des Vorzugs irgendeines himmlischen Einflusses oder des Eifers ständiger Anwendung, zusätzlich zu vielen Sängern, die ganz wundervoll singen, eine unendliche Anzahl von Komponisten (…). Das Werk fast aller dieser Männer verströmt eine solche Süße, dass sie meiner Meinung nach als sehr würdig angesehen werden sollten nicht nur für Menschen und Helden, sondern sogar für die unsterblichen Götter. Ich höre oder studiere sie sicher nie, ohne mich hinterher erfrischter und weiser zu fühlen .“ (Johannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti , Neapel, 1477). Das starke Urteil, das der große flämische Musiktheoretiker gegen „alte Musik“ formulierte, ruft Widerspruch hervor. Aber was Tinctoris uns wirklich zu sagen versucht, ist, dass er Zeuge eines stilistischen Fortschritts in der Kunstmusik seiner Zeit wurde. Heute würden wir das einen Übergang vomMittelalter zur Renaissance nennen. An anderem Ort ( Proportionale musices , ca. 1472-5) nannte Tinctoris einen Engländer, John Dunstaple, „Quelle und Ursprung einer neuen Kunst“ in der Musik (novae artis fons et origo ). Während des 15. Jahrhunderts schwappte die englische Art polyphonen Komponierens über den Kontinent und beeinflusste unter anderen Du Fay und Binchois. In der Arbeit seiner eigenen Generation sah Tinctoris diese „neue Kunst“ einen perfekten „Reifegrad“ erreichen. Es betrifft das Werk des Josquin des Prez – perfekt ausgewogen, dem Wort zugeTAGEALTERMUSIKREGENSBURG La Morra (Schweiz) MAI2010 Freitag, 21. Mai 2010, 22.45 Uhr (Nachtkonzert) Minoritenkirche , Dachauplatz 8 Concentus Angelorum – Geistliche Polyphonie Nordeuropas von 1400 bis 1500 Leitung: Corina Marti & Michal Gondko La Morra

wandt und einen „woh l k l ingenden“ Kontrapunkt nutzend –, in dem die musikalische R e n a i s s a n c e wahrlich höchste Vollkommenheit erreichte. Für Henricus Glareanus, den Schweizer Musiktheoretiker des 16. J a h r hund e r t s , war Josquins Musik „vollkommene Kunst“ ( ars perfecta ). Mit Dunstaple und Josquin als Anfangs- und Endstationen der mus i ka l i s chen Reise feiert unser Programm diese faszinierende Entwicklung in der Geschichte der e u r o p ä i s c h e n Kunstmusik. Die Komponisten Dunstaple, Du Fay, Binchois, Ockeghem und Josquin brauchen keine Einführung – anders als einige ihrer Zeitgenossen, deren Werke in diesem Programm erklingen. Ein geheimnisvoller polnischer Komponist namens Nicolaus de Radom richtete seinen Blick deutlich auf Stilarten, die während des frühen 15. Jahrhunderts in Italien gepflegt wurden, aber er gehört auch zu den frühesten Komponisten, von denen man weiß, dass sie die nordwesteuropäische Technik polyphoner Improvisation anwandten, denFauxbourdon (sieheMagnificat ). Wenig ist bekannt über Johannes Tourout, Cantor des Heiligen Römischen Reiches unter Kaiser Friedrich III., obwohl sein Wirken große Anerkennung verdient. Von seinen Werken wurdeO gloriosa regina mundi das bekannteste. Das Sanctus aus einer namenlosen Messe, die traditionell Ockeghem zugeschrieben wird, stammt vermutlich von Tourout. Walter Frye, ein jüngerer Zeitgenosse Dunstaples, scheint hauptsächlich in seiner Heimat England gearbeitet zu haben, doch einige seiner exzellenten Werke – besonders Ave regina celorum – erfreuten sich eines wohlverdienten Erfolgs auf dem europäischen Festland. Dies gilt auch für Ecce video celos apertos, das von einem holländischen Zeitgenossen Josquins namens Nicolaus Craen stammt. Zum Schluss repräsentieren anonyme Stücke aus dem Buxheimer Orgelbuch die Kunst deutscher Instrumentalmusik (besonders Spieler von Tasteninstrumenten), die an vielen Orten im Europa des Spätmittelalters und der Frührenaissance bewundert wurden. Doch die Frage, ob FryesAve regina celorumaus Bewunderung (für das Stück selbst oder für die Kunst der Polyphonie ganz allgemein) in die Hände eines Engels gelegt wurde, bleibt weiterhin unbeantwortet. Der Grund könnte trivial gewesen sein: Ave regina celorum war sehr populär im Brügge des späten 15. Jahrhunderts , wo der „Master of the Embroidered Foliage“ gearbeitet haben soll; das Stück wurde dort auf öffentlichen Plätzen gespielt (in der Tat verbreitete es sich bis in so weit von England entfernte Gegenden wie Tirol, Italien, Ungarn, Böhmen und Schlesien). Wie dem auch sei: Zweifellos konnten die nordeuropäischen Komponisten des 15. Jahrhunderts in ihre Werke eine ganze Menge himmlischer Harmonie einfließen lassen. Lassen Sie sich von ihrer Musik, gemalt mit den Farben unserer Stimmen und Instrumente, für einen Augenblick in eine Welt mitnehmen, wo es keine globale Erwärmung mit ihren Konsequenzen gibt, keine terroristische Bedrohung, keine Rezession und... keine „Authentizitätsprobleme“ der Alten Musik! © Michal Gondko TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 9 PROGRAMM JOHNDUNSTAPLE Beata dei genitrix (1390-1453) GUILLAUMEDUFAY GLORIA ‘spiritus et alme’ (?1390-1474) GILLES DEBINCH DITBINCHOIS Jamais tant que je vous revoye (ca. 1400-1460) NICOLAUS DERADOM Magnificat anima mea dominum (1. Hälfte des 15. Jh.) ANONYM Preambulum / Pulcherrima / (Buxheimer Orgelbuch, ca. 1460) Redeuntes WALTERFRYE Salve virgo mater pya (vor 1475) O florens rosa Ave regina celorum ANONYM Preambulum / Rorate caeli / (Buxheimer Orgelbuch, ca. 1460) Redeuntes JOHANNESTOUROUT O gloriosa regina mundi (um 1430) JOHANNESOCKEGHEM SANCTUS ‘sine nomine’ (ca. 1410-1497) oderTOUROUT NICOLAUSCRAEN Ecce video celos apertos (ca. 1440/50 - nach 1507) JOSQUIN (LEBLOITTE ) DESPREZ Salve regina (ca. 1450/55 - 1521) AUSFÜHRENDE LAMORRA Eve Kopli, Hanna Järveläinen, Dan Dunkelblum, Giovanni Cantarini Gesang Corina Marti Blockflöten, Clavisimbalum Michal Gondko Lauten Tore Eketorp Viola d’arco Elizabeth Rumsey Viola d’arco Engelskonzert, Jan van Eyck, um 1390-1441

Grandios, draufgängerisch und beim nächsten Strich ganz zart besaitet, mit intensivem Strich und federndem Schritt ging es durch Allemande, Gigue, Chaconne...“, so lautet nur eine der vielen euphorischen Kritiken über das Gambenspiel eines der herausragenden Vertreter dieses Instruments. Zum ersten Mal gastiert der italienische MeistergambistPaolo Pandolfo bei den Tagen Alter Musik. Seit 20 Jahren ist er Professor für Gambe an der Schola Cantorum Basiliensis in der Nachfolge Jordi Savalls. Beim spanischen CD-Label Glossa erschien eine Reihe von Aufnahmen, die beste Kritiken erhielten und mit zahlreichen Preisen dekoriert wurden. Die jüngste Aufnahme mit Abels „Drexel-Manuskript“ erhielt 2009 den renommierten französischen Diapason D’Or und ist für den BBC Music Magazine Award als beste CD-Einspielung des Jahres 2010 nominiert. Die aus Chicago stammende CembalistinMitzi Meyerson gastiert schon zum dritten Mal bei den Tagen Alter Musik. Sie studierte in Chicago und am Oberlin-Konservatorium. Danach übersiedelte sie nach London und gründete zusammen mit der Geigerin Monica Huggett und der Gambistin Sarah Cunningham das Trio Sonnerie. Mit diesem Ensemble hat sie weltweit zahlreiche Konzerte gegeben und für das Label ASV Gaudeamus mehrere CDs eingespielt. Sie ist eine vielgefragte DuoPartnerin, spielt in mehreren Ensembles und gibt zahlreiche Solorecitals. An der Berliner Universität der Künste hat sie eine Professur inne. Sie hat bei nahezu 50 CD-Produktionen mitgewirkt, u. a. als Continuo-Cembalistin bei Europa Galante mit Fabio Biondi (opus 111), und sie hat viele Solo-Alben mit Cembalowerken von Buxtehde, Duphly, Forqueray (Gesamtwerk), Johann Caspar Ferdinand Fischer (Gesamtwerk) eingespielt. Für die Aufnahme der kompletten Cembalosuiten von Georg Böhm und die Doppel-CD „Musique de salon“ mit Werken von Claude-Bénigne Balbastre erhielt sie den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Ihre jüngste Veröffentlichung erschien 2009 mit der Gesamteinspielung von Gottlieb Muffats „Componimenti Musicali“ für das CD-Label Glossa. Zum Programm: J. S. Bachs Gambensonaten J. S. Bach hatte während seiner Weimarer Zeit Konzerte Vivaldis kennengelernt und sich Stil und Form der neuen Gattung in den Transkriptionen für Cembalo bzw. Orgel angeeignet. Aber erst in Köthen bot sich ihm die Gelegenheit, selbst Konzerte zu komponieren. Doch damit nicht genug: Schon in Weimar hatte Bach gelegentlich die Möglichkeit erprobt, die Konzertform auf andere Gattungen zu übertragen, und war hierbei zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Nun setzt er diese Technik in einem viel größeren Ausmaß, als dies in Weimar der Fall war, fort. Ein hervorragendes Beispiel dafür liefert die Gamben-Sonate in g-Moll BWV 1029. Sie ist nach dem Vorbild des italienischen Solo-Konzerts dreisätzig angelegt (schnell – langsam – schnell) wie nur wenige andere Sonaten Bachs, folgen doch die meisten – auch die anderen beiden Gamben-Sonaten (G-Dur BWV 1027 und DDur 1028) – dem traditionellen viersätzigen Aufbau mit einem langsamen Satz zu Beginn. Aber auch in den beiden Ecksätzen der g-MollSonate folgt Bach dem konzertanten Prinzip. Schon das Thema des ersten Satzes erinnert mit seiner vorwärtsdrängenden Verve und seiner typisch italienischen Anlage an Vivaldi. Die Konzertform tritt besonders deutlich im letzten Satz zutage: Die „Tutti-Ritornelle“ sind fugisch angelegt und basieren ausschließlich auf dem Hauptthema, die „Solo-Episoden“ heben sich durch kontrastierende Thematik und homophoTAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 10 Paolo Pandolfo, Viola da gamba (Basel) Musik des 17. und 18. Jahrhunderts für Viola da gamba und Cembalo Mitzi Meyerson, Cembalo (Berlin) Samstag, 22. Mai 2010, 11.00 Uhr (Matinee) Reichssaal , Rathausplatz Mitzi Meyerson Paolo Pandolfo Foto: Evy Ottermans

ne Anlage eindeutig davon ab: die erste Episode in B-Dur mit einem „cantabile“-Thema, das in d-Moll in der dritten Episode wiederkehrt, und die zweite mit einem verwandten Motiv, dessen Harmonik auf einer Quintfall-Kadenz beruht. Als einer der hervorragendsten langsamen Sonaten-Sätze Bachs ist das Adagio der g-Moll-Sonate anzusehen: Über einem ostinato-ähnlichen Bass und einer ruhigen Bewegung im CembaloDiskant erhebt sich die hochexpressive, weitausgreifende Gamben-Melodie, die den klar gegliederten Unterbau so stark verschleiert, dass sie fast improvisatorisch wirkt. Diese klare Unterscheidung der drei Stimmen wird im zweiten Teil nun allmählich aufgehoben: Zunächst tauschen Diskant und Gambe ihre Rollen und nähern sich in der Melodieführung einander an; dann übernimmt zwar wieder das Cembalo die Führung, aber beide Stimmen stehen nun im Imitationsverhältnis, in das schließlich auch der Bass miteinbezogen wird. Auf diese Weise werden die Stimmen, die klar voneinander differenziert waren, zueinander in Beziehung gesetzt: ein „Integrationsprozess“, welcher der einzelnen Stimme zwar viel von ihrer Individualität nimmt, dem gesamten Stimmenkomplex aber schließlich jene Einheitlichkeit verleiht, die für Bachs Stil typisch ist. © Hans-Günter Klein Jean-Henri d’Anglebert Unter den vielen Cembalo-Schülern von Jacques Champion de Chambonnières war als Hofclavecinist in Paris Jean-Henri d’Anglebert besonders erfolgreich. Geboren 1629 in Paris und gestorben ebenda am 23. April 1691, lebte und wirkte er ausschließlich im Bereich des französischen Königshofes unter Ludwig XIV. Zunächst diente er zwar als Organist dem Herzog von Orleans, 1664 jedoch konnte er bereits die Nachfolge seines Lehrers als „Ordinaire de la Musique de la Chambre“ des Sonnenkönigs übernehmen. Dieses Amt vererbte er gar 1674 seinem ältesten Sohn Jean-Baptiste Henri. Die Spielpraxis d’Angleberts lässt sich ablesen an den 1689 im Selbstverlag herausgegebenen „Pièces de clavecin... avec la manière de les jouer“. Darunter befindet sich ein ,Tombeau de Mr. de Chambonnières’, also ein Stück zu Ehren seines Lehrers. Ebenfalls enthalten sind vier Cembalosuiten, von denen die g-Moll-Suite im Konzert erklingt. Zwischen den Suiten stehen Bearbeitungen von ,Airs de Monsieur de Lully’. Auch Orgelwerke, zum Beispiel ein ,Quatuor Sur le Kyrie à trois Sujets tirés du plain chant’, bieten diese Melange an. Für pädagogische Zwecke und die Praxis außerhalb des tonangebenden Hofes fügte d’Anglebert eine Abhandlung über die Arten der Begleitung, und der Bezifferung des Basses, der subtilen Ausführung von Verzierungen an. Dieses Buch spiegelt somit authentisch den Stil und die Realisierungsmöglichkeiten einer vornehm divertierenden höfischen Kammermusik Pariser Provenienz wider, die von Chambonnières mitgeprägt worden war. Carl Friedrich Abel und das Drexel-Manuskript Als einer der letzten Gambenvirtuosen wurde Carl Friedrich Abel (1723-1787) von seinen Zeitgenossen als Solist und Komponist gleichermaßen gefeiert. Zunächst Mitglied der Dresdner Hofkapelle, musste er wegen des Siebenjährigen Krieges Dresden verlassen. Über Zwischenstationen in Süddeutschland (darunter auch als Gast im Haus der Familie Goethe in Frankfurt) und Paris kam er 1759 nach London. Zusammen mit Johann Christian Bach kreierte er 1764 in London mit den BachAbel-Concerts die erste Reihe von Abonnementkonzerten der Musikgeschichte. Hier trat er immer wieder auch solistisch mit kammermusikalischen Werken oder aber in Stücken für Gambe solo hervor. Das Drexel-Manuskript, das aus dem Musikfundus der Bibliothek seines Freundes Thomas Gainsborough stammt, ist sehr wahrscheinlich die einzige Sammlung von Gambenstücken Carl Friedrich Abels, die anscheinend nicht in didaktischer Absicht geschrieben wurde, sondern zum persönlichen Gebrauch bestimmt war. Vielleicht war sie auch Gainsborough zugedacht, der ein hervorragender Gambist war und dem Abel brüderlich verbunden war. Der Austausch von Werken kam zwischen diesen beiden häufig vor. In diesem Manuskript (dessen genaue Datierung nicht möglich ist, das aber aus den Londoner Jahren zwischen 1752 und 1782 stammt) finden sich formal, offensichtlich nicht geordnet, 29 Stücke für Gambe solo. Diese sind möglicherweise eine Transkription der genialen öffentlichen Improvisationen Carl Friedrich Abels. [Von diesen 29 Stücken habe ich 28 eingespielt und dabei nur eine äußerst kurze Skizze von sechs Takten Länge ausgelassen (Nr. 16 im Manuskript), die mir eher als Keimzelle für eine Improvisation gedacht zu sein schien. Diese ruht also weiterhin auf dem Papier.] Das Manuskript beginnt mit 21 Stücken in D-Dur, dann folgen fünf in d-Moll, ein Stück in D-Dur, und schließlich zwei einzelne Werke in A-Dur, die isoliert erscheinen und das Manuskript dennoch mit ihrem sowohl galanten als auch etwas populären Charakter gut abschließen. Die Form der Stücke ist unterschiedlich: Es gibt Präludien in einem eindeutig improvisatorischen Stil, deren Niederschrift nur eine Annäherung darstellt, und andere, die sehr viel strukturierter, aber immer noch „präludierend“ sind. In den Adagios werfen die kurzen und eleganten Abschnitte im Improvisationsstil ein Licht auf die Kunst Abels, mit der er es verstand, sein Publikum zu ergreifen. Außerdem finden sich geschlossene Formen vom Typus AABB, in Rondoform mit Da capo, und schließlich zwei Arien, eine davon mit Variationen. Eine große Mehrheit der Stücke scheint einen tänzerischen Grundrhythmus zu haben. Im Manuskript findet sich schließlich auch eine Fuge, in der Abel großes Können beim formalen Aufbau beweist, wobei er die „Beschränkungen“ der Viola da gamba geschickt nutzt (Ich muss bekennen, dass die anderen Beispiele, die mir im gesamten Gambenrepertoire bekannt sind, weit weniger gelungen sind!). Man muss sich daran erinnern, dass der Musikhistoriker Charles Burney besonderen Nachdruck darauf legt, wie viel Abel von Johann Sebastian Bach gelernt hat und ihn als großen Kenner der Musiktheorie bezeichnet („Unter der Führung seines Meisters Sebastian Bach hatte er Kenntnisse in der Harmonielehre, in der Modulation und über Fugen und Kanons erworben“). Ich musste sehr häufig auf meine Erfahrung und meinen gesunden Menschenverstand zurückgreifen, um die zahllosen Notationsfehler zu korrigieren, mit denen das Manuskript übersät ist. Daher sind einige Lösungen eventuTAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 11 Reichssaal Regensburg war seit den Karolingern bevorzugter Ort für die Abhaltung von Reichstagen. Im Mittelalter zählte man 45 Reichstage in Regensburg. 1541 war der Reichssaal Ort des berühmten Religionsgesprächs zwischen Melanchthon und Dr. Eck. Von den Reichstagen sind besonders der von 1623, bei dem Bayern die Kurwürde erhielt, und der von 1630, als Wallenstein von der Mehrheit der katholischen Fürsten abgesetzt wurde, zu nennen. Von 1663 bis 1806 war der Reichssaal Tagungsort des „Immerwährenden Reichstags“. Er ist als erstes deutsches Parlament anzusehen. Der um 1360 gebaute Reichssaal darf in seinen Dimensionen und seinemAlter für Deutschland als einzigartig gelten. Hervorzuheben ist die mächtige Holzdecke, an deren Unterseite man die Relieffigur des thronenden Petrus (des Stadtpatrons) erkennt. Carl Friedrich Abel

ell noch nicht endgültig. Im gesamten Manuskript zeichnet sich ganz klar ein Instrumentalstil ab, wie wir ihn gewöhnlich der Geige oder höchstens noch dem Violoncello zuschreiben würden. Dennoch habe ich beim Spielen festgestellt, wie unglaublich gut dieser Stil der Gambe entspricht. Abel benutzt sehr häufig Stricharten wie spiccato oder picchettato, die für die galante und klassische Violinliteratur typisch sind. Die innige Gesanglichkeit der Adagios und der beiden Arien zeigt uns, wie sehr für Abel die menschliche Stimme (für die er tatsächlich wenige oder gar keine Werke schrieb) eine durchgängige und tiefgreifende Inspirationsquelle war. Besonders bemerkenswert ist schließlich, wie, bei aller Ausgewogenheit der Form, bei aller Leichtigkeit und Unterhaltsamkeit, die die Virtuosität hervorruft, diese immer nur als zusätzliche, nicht unabdingbare Eigenschaft des Musikers gezeigt wird. © Paolo Pandolfo Marin Marais: Le Labyrinthe Ludwig XIV. von Frankreich liebte seine Gärten so sehr, dass er selbst es übernahm, sie seinen Gästen zu zeigen. Ihr Anblick rief bei den Besuchern häufig Erstaunen hervor, weshalb er es für angebracht erachtete, eine Anleitung zum Besuch der Gärten von Versailles zu verfassen. Er muss dem wohl eine gewisse Bedeutung beigemessen haben, denn es existieren immerhin sechs aufeinanderfolgende Versionen, bei denen die ständig wechselnden Perspektiven des Betrachters wichtiger sind als etwa die methodische Beschreibung einer reichen Sammlung. Es wäre daher auch verfehlt anzunehmen, die Gärten von Versailles unterlägen einer rationalen Anordnung, einer kompositorischen Klarheit oder klassischen Intention à la francaise. Es handelt sich vielmehr tatsächlich um ein Labyrinth, in dem an jeder Ecke und bei jeder Überraschung eine Geschichte ihren Anfang nimmt. Zwischen Lully und Rameau, im Schatten der ganz großen Musiker des Jahrhunderts, wie Francois Couperin, zu dem er distanziert-höfliche Beziehungen unterhielt, oder Richard Delalande, wie er selbst früher Mitglied im Chor von Saint Germain-l’Auxerrois, hat seinen PlatzMarin Marais , Meister eines schnell ungebräuchlich gewordenen Instruments, verglichen etwa mit den Werken für Orgel und Cembalo, die man zu keiner Zeit zu spielen aufgehört hat. Marais hätte also durchaus unbeachtet bleiben oder nur unter einigen leidenschaftlichen Anhängern der Viola da gamba, dank ihres Interesses an der Barockmusik, Bedeutung erlangen können. Aber nichts dergleichen. Von Marais sind zwar, außer vier völlig in Vergessenheit geratenen Opern im Stile Lullys und einem verschollenen Te Deum, ausschließlich Stücke für Viola da gamba erhalten. Jedoch: was für Meisterwerke! Etwa sechshundert Stücke für Viola da gamba solo, weitere hundert für zwei und drei Violen, und deren Veröffentlichung, ein Buch nach dem anderen, erstreckt sich über das ganze Leben des Komponisten. Eine in diesem Genre einzigartige Schaffenskraft. Marin Marais teilt in seinen Avertissements (Anmerkungen) seine Meinung dazu mit, welchen Gebrauch man von seinen Stücken machen könne: „Um den unterschiedlichen Geschmäckern des Publikums bezüglich der Viola Genüge zu tun, hielt ich es für angebracht, dieses vierte Buch zu dreiteilen und dabei die Stücke so zu differenzieren, dass jeder das seiner Neigung Entsprechende finden kann.“ So gesehen stellt der enorme Fundus der fünf Bücher eine Art Labyrinth dar, innerhalb dessen der Interpret sich frei bewegen kann und so, seiner eigenen Sensibilität folgend, kreativ seinen persönlichen Weg erspürt. Marin Marais kannte das Labyrinth von Versailles. Er hatte sein Diplom als Hofinterpret der Viola da gamba am ersten Tag des August 1679 erhalten. Mit dreiundzwanzig Jahren war er so zum Nachfolger des verstorbenen Gabriel Caignet geworden. Vielleicht erklang seine Viola sogar im Labyrinth; ein kleines, hinter Laubwerk verstecktes Konzert zur Erbauung der Höflinge und Besucher. Marais hatte also noch die letzten großen AusTAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 12 PROGRAMM JOHANNSEBASTIANBACH Sonate für Viola da gamba und Cembalo (1685-1750) g-Moll, BWV 1029 Vivace – Adagio – Allegro JEAN -HENRI D ’ANGLEBERT Suite g-Moll für Cembalo solo (1629-1691) Prélude non mesuré – Allemande – Courante – 2ème Courante - Passacaille CARLFRIEDRICHABEL Aus dem „Drexel“-Manuskript: (1723-1787) Stücke für Viola da gamba solo nach Ansage MARINMARAIS Prélude (1656-1728) (aus dem3. Buch der Pièces de Viole, Paris 1711) Le Labyrinthe aus der „Suite d’un Etranger“ (aus dem4. Buch der Pièces de Viole, Paris 1717) Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Detmar Hungerberg, 42499 Hückeswagen für die freundliche Bereitstellung des Cembalos. CD “Le Labyrinthe & autres histoires” von P. Pandolfo (mit M. Meyerson)

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