Tage Alter Musik – Programmheft 2010

ne Anlage eindeutig davon ab: die erste Episode in B-Dur mit einem „cantabile“-Thema, das in d-Moll in der dritten Episode wiederkehrt, und die zweite mit einem verwandten Motiv, dessen Harmonik auf einer Quintfall-Kadenz beruht. Als einer der hervorragendsten langsamen Sonaten-Sätze Bachs ist das Adagio der g-Moll-Sonate anzusehen: Über einem ostinato-ähnlichen Bass und einer ruhigen Bewegung im CembaloDiskant erhebt sich die hochexpressive, weitausgreifende Gamben-Melodie, die den klar gegliederten Unterbau so stark verschleiert, dass sie fast improvisatorisch wirkt. Diese klare Unterscheidung der drei Stimmen wird im zweiten Teil nun allmählich aufgehoben: Zunächst tauschen Diskant und Gambe ihre Rollen und nähern sich in der Melodieführung einander an; dann übernimmt zwar wieder das Cembalo die Führung, aber beide Stimmen stehen nun im Imitationsverhältnis, in das schließlich auch der Bass miteinbezogen wird. Auf diese Weise werden die Stimmen, die klar voneinander differenziert waren, zueinander in Beziehung gesetzt: ein „Integrationsprozess“, welcher der einzelnen Stimme zwar viel von ihrer Individualität nimmt, dem gesamten Stimmenkomplex aber schließlich jene Einheitlichkeit verleiht, die für Bachs Stil typisch ist. © Hans-Günter Klein Jean-Henri d’Anglebert Unter den vielen Cembalo-Schülern von Jacques Champion de Chambonnières war als Hofclavecinist in Paris Jean-Henri d’Anglebert besonders erfolgreich. Geboren 1629 in Paris und gestorben ebenda am 23. April 1691, lebte und wirkte er ausschließlich im Bereich des französischen Königshofes unter Ludwig XIV. Zunächst diente er zwar als Organist dem Herzog von Orleans, 1664 jedoch konnte er bereits die Nachfolge seines Lehrers als „Ordinaire de la Musique de la Chambre“ des Sonnenkönigs übernehmen. Dieses Amt vererbte er gar 1674 seinem ältesten Sohn Jean-Baptiste Henri. Die Spielpraxis d’Angleberts lässt sich ablesen an den 1689 im Selbstverlag herausgegebenen „Pièces de clavecin... avec la manière de les jouer“. Darunter befindet sich ein ,Tombeau de Mr. de Chambonnières’, also ein Stück zu Ehren seines Lehrers. Ebenfalls enthalten sind vier Cembalosuiten, von denen die g-Moll-Suite im Konzert erklingt. Zwischen den Suiten stehen Bearbeitungen von ,Airs de Monsieur de Lully’. Auch Orgelwerke, zum Beispiel ein ,Quatuor Sur le Kyrie à trois Sujets tirés du plain chant’, bieten diese Melange an. Für pädagogische Zwecke und die Praxis außerhalb des tonangebenden Hofes fügte d’Anglebert eine Abhandlung über die Arten der Begleitung, und der Bezifferung des Basses, der subtilen Ausführung von Verzierungen an. Dieses Buch spiegelt somit authentisch den Stil und die Realisierungsmöglichkeiten einer vornehm divertierenden höfischen Kammermusik Pariser Provenienz wider, die von Chambonnières mitgeprägt worden war. Carl Friedrich Abel und das Drexel-Manuskript Als einer der letzten Gambenvirtuosen wurde Carl Friedrich Abel (1723-1787) von seinen Zeitgenossen als Solist und Komponist gleichermaßen gefeiert. Zunächst Mitglied der Dresdner Hofkapelle, musste er wegen des Siebenjährigen Krieges Dresden verlassen. Über Zwischenstationen in Süddeutschland (darunter auch als Gast im Haus der Familie Goethe in Frankfurt) und Paris kam er 1759 nach London. Zusammen mit Johann Christian Bach kreierte er 1764 in London mit den BachAbel-Concerts die erste Reihe von Abonnementkonzerten der Musikgeschichte. Hier trat er immer wieder auch solistisch mit kammermusikalischen Werken oder aber in Stücken für Gambe solo hervor. Das Drexel-Manuskript, das aus dem Musikfundus der Bibliothek seines Freundes Thomas Gainsborough stammt, ist sehr wahrscheinlich die einzige Sammlung von Gambenstücken Carl Friedrich Abels, die anscheinend nicht in didaktischer Absicht geschrieben wurde, sondern zum persönlichen Gebrauch bestimmt war. Vielleicht war sie auch Gainsborough zugedacht, der ein hervorragender Gambist war und dem Abel brüderlich verbunden war. Der Austausch von Werken kam zwischen diesen beiden häufig vor. In diesem Manuskript (dessen genaue Datierung nicht möglich ist, das aber aus den Londoner Jahren zwischen 1752 und 1782 stammt) finden sich formal, offensichtlich nicht geordnet, 29 Stücke für Gambe solo. Diese sind möglicherweise eine Transkription der genialen öffentlichen Improvisationen Carl Friedrich Abels. [Von diesen 29 Stücken habe ich 28 eingespielt und dabei nur eine äußerst kurze Skizze von sechs Takten Länge ausgelassen (Nr. 16 im Manuskript), die mir eher als Keimzelle für eine Improvisation gedacht zu sein schien. Diese ruht also weiterhin auf dem Papier.] Das Manuskript beginnt mit 21 Stücken in D-Dur, dann folgen fünf in d-Moll, ein Stück in D-Dur, und schließlich zwei einzelne Werke in A-Dur, die isoliert erscheinen und das Manuskript dennoch mit ihrem sowohl galanten als auch etwas populären Charakter gut abschließen. Die Form der Stücke ist unterschiedlich: Es gibt Präludien in einem eindeutig improvisatorischen Stil, deren Niederschrift nur eine Annäherung darstellt, und andere, die sehr viel strukturierter, aber immer noch „präludierend“ sind. In den Adagios werfen die kurzen und eleganten Abschnitte im Improvisationsstil ein Licht auf die Kunst Abels, mit der er es verstand, sein Publikum zu ergreifen. Außerdem finden sich geschlossene Formen vom Typus AABB, in Rondoform mit Da capo, und schließlich zwei Arien, eine davon mit Variationen. Eine große Mehrheit der Stücke scheint einen tänzerischen Grundrhythmus zu haben. Im Manuskript findet sich schließlich auch eine Fuge, in der Abel großes Können beim formalen Aufbau beweist, wobei er die „Beschränkungen“ der Viola da gamba geschickt nutzt (Ich muss bekennen, dass die anderen Beispiele, die mir im gesamten Gambenrepertoire bekannt sind, weit weniger gelungen sind!). Man muss sich daran erinnern, dass der Musikhistoriker Charles Burney besonderen Nachdruck darauf legt, wie viel Abel von Johann Sebastian Bach gelernt hat und ihn als großen Kenner der Musiktheorie bezeichnet („Unter der Führung seines Meisters Sebastian Bach hatte er Kenntnisse in der Harmonielehre, in der Modulation und über Fugen und Kanons erworben“). Ich musste sehr häufig auf meine Erfahrung und meinen gesunden Menschenverstand zurückgreifen, um die zahllosen Notationsfehler zu korrigieren, mit denen das Manuskript übersät ist. Daher sind einige Lösungen eventuTAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 11 Reichssaal Regensburg war seit den Karolingern bevorzugter Ort für die Abhaltung von Reichstagen. Im Mittelalter zählte man 45 Reichstage in Regensburg. 1541 war der Reichssaal Ort des berühmten Religionsgesprächs zwischen Melanchthon und Dr. Eck. Von den Reichstagen sind besonders der von 1623, bei dem Bayern die Kurwürde erhielt, und der von 1630, als Wallenstein von der Mehrheit der katholischen Fürsten abgesetzt wurde, zu nennen. Von 1663 bis 1806 war der Reichssaal Tagungsort des „Immerwährenden Reichstags“. Er ist als erstes deutsches Parlament anzusehen. Der um 1360 gebaute Reichssaal darf in seinen Dimensionen und seinemAlter für Deutschland als einzigartig gelten. Hervorzuheben ist die mächtige Holzdecke, an deren Unterseite man die Relieffigur des thronenden Petrus (des Stadtpatrons) erkennt. Carl Friedrich Abel

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