Tage Alter Musik – Programmheft 2010

ell noch nicht endgültig. Im gesamten Manuskript zeichnet sich ganz klar ein Instrumentalstil ab, wie wir ihn gewöhnlich der Geige oder höchstens noch dem Violoncello zuschreiben würden. Dennoch habe ich beim Spielen festgestellt, wie unglaublich gut dieser Stil der Gambe entspricht. Abel benutzt sehr häufig Stricharten wie spiccato oder picchettato, die für die galante und klassische Violinliteratur typisch sind. Die innige Gesanglichkeit der Adagios und der beiden Arien zeigt uns, wie sehr für Abel die menschliche Stimme (für die er tatsächlich wenige oder gar keine Werke schrieb) eine durchgängige und tiefgreifende Inspirationsquelle war. Besonders bemerkenswert ist schließlich, wie, bei aller Ausgewogenheit der Form, bei aller Leichtigkeit und Unterhaltsamkeit, die die Virtuosität hervorruft, diese immer nur als zusätzliche, nicht unabdingbare Eigenschaft des Musikers gezeigt wird. © Paolo Pandolfo Marin Marais: Le Labyrinthe Ludwig XIV. von Frankreich liebte seine Gärten so sehr, dass er selbst es übernahm, sie seinen Gästen zu zeigen. Ihr Anblick rief bei den Besuchern häufig Erstaunen hervor, weshalb er es für angebracht erachtete, eine Anleitung zum Besuch der Gärten von Versailles zu verfassen. Er muss dem wohl eine gewisse Bedeutung beigemessen haben, denn es existieren immerhin sechs aufeinanderfolgende Versionen, bei denen die ständig wechselnden Perspektiven des Betrachters wichtiger sind als etwa die methodische Beschreibung einer reichen Sammlung. Es wäre daher auch verfehlt anzunehmen, die Gärten von Versailles unterlägen einer rationalen Anordnung, einer kompositorischen Klarheit oder klassischen Intention à la francaise. Es handelt sich vielmehr tatsächlich um ein Labyrinth, in dem an jeder Ecke und bei jeder Überraschung eine Geschichte ihren Anfang nimmt. Zwischen Lully und Rameau, im Schatten der ganz großen Musiker des Jahrhunderts, wie Francois Couperin, zu dem er distanziert-höfliche Beziehungen unterhielt, oder Richard Delalande, wie er selbst früher Mitglied im Chor von Saint Germain-l’Auxerrois, hat seinen PlatzMarin Marais , Meister eines schnell ungebräuchlich gewordenen Instruments, verglichen etwa mit den Werken für Orgel und Cembalo, die man zu keiner Zeit zu spielen aufgehört hat. Marais hätte also durchaus unbeachtet bleiben oder nur unter einigen leidenschaftlichen Anhängern der Viola da gamba, dank ihres Interesses an der Barockmusik, Bedeutung erlangen können. Aber nichts dergleichen. Von Marais sind zwar, außer vier völlig in Vergessenheit geratenen Opern im Stile Lullys und einem verschollenen Te Deum, ausschließlich Stücke für Viola da gamba erhalten. Jedoch: was für Meisterwerke! Etwa sechshundert Stücke für Viola da gamba solo, weitere hundert für zwei und drei Violen, und deren Veröffentlichung, ein Buch nach dem anderen, erstreckt sich über das ganze Leben des Komponisten. Eine in diesem Genre einzigartige Schaffenskraft. Marin Marais teilt in seinen Avertissements (Anmerkungen) seine Meinung dazu mit, welchen Gebrauch man von seinen Stücken machen könne: „Um den unterschiedlichen Geschmäckern des Publikums bezüglich der Viola Genüge zu tun, hielt ich es für angebracht, dieses vierte Buch zu dreiteilen und dabei die Stücke so zu differenzieren, dass jeder das seiner Neigung Entsprechende finden kann.“ So gesehen stellt der enorme Fundus der fünf Bücher eine Art Labyrinth dar, innerhalb dessen der Interpret sich frei bewegen kann und so, seiner eigenen Sensibilität folgend, kreativ seinen persönlichen Weg erspürt. Marin Marais kannte das Labyrinth von Versailles. Er hatte sein Diplom als Hofinterpret der Viola da gamba am ersten Tag des August 1679 erhalten. Mit dreiundzwanzig Jahren war er so zum Nachfolger des verstorbenen Gabriel Caignet geworden. Vielleicht erklang seine Viola sogar im Labyrinth; ein kleines, hinter Laubwerk verstecktes Konzert zur Erbauung der Höflinge und Besucher. Marais hatte also noch die letzten großen AusTAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 12 PROGRAMM JOHANNSEBASTIANBACH Sonate für Viola da gamba und Cembalo (1685-1750) g-Moll, BWV 1029 Vivace – Adagio – Allegro JEAN -HENRI D ’ANGLEBERT Suite g-Moll für Cembalo solo (1629-1691) Prélude non mesuré – Allemande – Courante – 2ème Courante - Passacaille CARLFRIEDRICHABEL Aus dem „Drexel“-Manuskript: (1723-1787) Stücke für Viola da gamba solo nach Ansage MARINMARAIS Prélude (1656-1728) (aus dem3. Buch der Pièces de Viole, Paris 1711) Le Labyrinthe aus der „Suite d’un Etranger“ (aus dem4. Buch der Pièces de Viole, Paris 1717) Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Detmar Hungerberg, 42499 Hückeswagen für die freundliche Bereitstellung des Cembalos. CD “Le Labyrinthe & autres histoires” von P. Pandolfo (mit M. Meyerson)

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