Tage Alter Musik – Programmheft 2010

Der Traversflötist Manuel Granatiero wurde 1976 in Neapel geboren. Er begann schon sehr frühzeitig Flöte zu spielen und besuchte die „Accademia di alto perfezionamento” in Pescara. Mit 12 Jahren gewann er 1988 den Concorso Nazionale Bracciolini. Er studierte u. a. auch bei Irena Grafenauer am Salzburger Mozarteum. 1998 begann er barocke und klassische Traversflöte zu spielen und studierte ab 1999 am Brüsseler Konservatorium bei Barthold Kuijken, Marc Hantai and Frank Theuns. Seine Studien schloss er 2004 mit Auszeichnung ab und spielt seitdem in vielen europäischen Barockorchestern (Academia Montis Regalis, Complesso Barocco, Al Ayre Español, Ricercar Consort, Harmony of Nations u. a.). Er wirkte bei zahlreichen CD-Produktionen mit. 2005 wurde er Preisträger beim Musica–Antiqua–Wettbewerb in Brügge. Zum Programm: Mit seinem opus 3, der Sammlung L’Estro Armonico, begründeteAntonio Vivaldi seinen Namen in Europa; bald wurde die Sammlung vom Londoner Verleger John Walsh unter dem Titel Vivaldis most Celebrated Concertos in Paris bei Le Clerc veröffentlicht. 1714 sagte der berühmte Flötist Quantz: „In Pirna bekam ich zu dieser Zeit die Vivaldischen Violinkonzerte zum erstenmal zu sehen. Sie machten, als eine damals gantz neue Art von musikalischen Stükken, bey mir einen nicht geringen Eindruck. Ich unterliess nicht, mir davon einen ziemlichen Vorrath zu sammeln. Die prächtigen Ritornelli des Vivaldi haben mir, in den künftigen Zeiten, zu einem guten Muster gedienet.“ Was die Kommentatoren des 18. Jahrhunderts am opus 3 verblüffte, bedarf kaum der Erläuterung, denn sie wirken genauso auf uns: die ausladende, dem „Winter“ derVier Jahreszeiten erstaunlich ähnliche Eröffnung des gMoll Concerto , mit dem das Programm von Gli Incogniti beginnt. Unter den Instrumenten, die Johann Sebastian Bachmit Solopartien in Konzerten bedacht hat, nimmt die Violine eine herausragende Stellung ein. Wie für die Kompositionstechnik des Konzerts allgemein, so hat vermutlich auch für die Bevorzugung der Violine das Vorbild des sieben Jahre älteren Venezianers Antonio Vivaldi eine Rolle gespielt, der, selbst einer der herausragenden Violinisten seiner Zeit, die Möglichkeiten des Instruments sowohl nach der virtuosen als auch nach der kantablen Seite umfassend ausschöpfte und Maßstäbe setzte für die künftige Geschichte des Violinkonzerts. Von Bach sind neben einer Reihe von Werken, in denen die Violine zusammen mit anderen Instrumenten konzertiert (es sind die Brandenburgischen Konzerte 1, 2, 4 und 5, das Konzert für Oboe und Violine c-Moll und das Tripelkonzert für Flöte, Violine und Cembalo a-Moll), sechs Konzerte Bachs belegt, in denen die Soli einer oder mehreren Violinen zufallen: vier Konzerte für eine Violine sowie je ein Konzert für zwei und für drei Violinen. Von diesen sechs Violinkonzerten im engeren Sinne sind jedoch drei in ihrer ursprünglichen Gestalt verlorengegangen; wir kennen sie nur aus Umarbeitungen zu Kantatensätzen und zu Cembalokonzerten (BWV 1052, 1056 und 1064), die Bach in seiner Leipziger Zeit vornahm. Diese Umarbeitungen gestatten mehr oder weniger deutliche Rückschlüsse auf die Violinkonzert-Vorlagen, so dass heute auch die verlorenen Konzerte in d-Moll und in g-Moll in Rekonstruktionen zu hören sind. In der Violinfassung überliefert sind nur die zwei Konzerte für eine Violine und Streicher (BWV 1041 und 1042) und ein Konzert für zwei Violinen und Streicher (BWV 1043). Das Violinkonzert a-Moll BWV 1041 prägt in seinem Anfangssatz den Grundtypus der Konzertform aus, der sich auf demWechsel von Tutti-Ritornellen und Solo-Episoden aufbaut. Neben dem Ritornell stellt Bach noch zwei deutlich unterschiedene Solothemen auf und gewinnt dadurch Material für eine außerordentlich reiche und differenzierte Formanlage. In dem Andante-Satz, der die Mitte des Werkes bildet, dialogisiert ein ostinatoartig eingesetztes Bassmotiv mit kantablen Melodiephrasen des Soloinstruments, während die drei oberen Stimmen des Streicher Ripienos sich auf begleitende Funktion zurückziehen. Die Gliederung des Satzes in deutlich abgegrenzte zweitaktige Einheiten ruft den Eindruck von Ruhe und Geordnetheit hervor. Beschlossen wird das Werk von einem Satz des Typus „konzertante Fuge“. Die in Form von Fugendurchführungen gebildeten Ritornelle kontrastieren wirkungsvoll mit den solistischen Abschnitten, in denen die Solovioline ihre virtuosen Möglichkeiten ausspielen kann. Das virtuose Element tritt besonders glänzend am Schluss der letzten Episode in Erscheinung, wo Bach die sogenannte Bariolage-Technik einführt, die aus einem raschen und klanglich frappierenden Wechsel zwischen leeren Saiten und gegriffenen Tönen besteht. Antonio VivaldisKonzert „La Notte“ entstammt seiner Sammlung opus 10, die sechs Flötenkonzerte umfasst. Hier weicht Vivaldi von der von ihm modellhaft ausgearbeiteten dreisätzigen Form (schnell – langsam – schnell) der übrigen fünf Konzerte ab und fügt programmatische Bezeichnungen ein: das zweite Presto ist mit Fantasmi (Träume), das letzte Largo mit Il Sonno (Der Schlaf) charakterisiert. In beiden Fällen erweist sich Vivaldi als ein großartiger, fantasievoller Zeichner von Seelenlandschaften, entwirft aufregende Traumbilder, lässt die Ruhe und Entspannung des Schlafes plastisch Klang werden. Der erste Teil des Konzerts schließt mitVivaldis Concerto C-Dur RV 114 . Die Bibliothek des Pariser Conservatoire besitzt eine handschriftliche Sammlung von zwölf Vivaldi-Konzerten für Streicher ohne Solisten. Dieser „symphonische“ Typus des Konzerts war zu Beginn des 18. Jahrhunderts durchaus üblich, wurde aber nach der Zeit um 1710 zur Seltenheit: Die rund 40 erhaltenen Beiträge von Vivaldi haben wenige Gegenstücke im Schaffen der Zeitgenossen. Das Konzert C-Dur RV 114, das fünfte der in Paris aufbewahrten Sammlung, enthältunmissverständliche Elemente des französischen Stils: Zu beachten sind die saccadé-Rhythmen des ersten Satzes und die Wahl einer Chaconne für das Finale. Vielleicht stellte Vivaldi die Sammlung für einen französischen Kunden zusammen; die Beziehung zu Frankreich könnte sich allerdings sogar über denselben Ottoboni herstellen lassen, der das Amt des Protektors für französische Angelegenheiten beim Heiligen Stuhl innehatte und daher diese Art subtiler Anspielung dankbar aufgenommen haben dürfte. TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 15 St.-OswaldKirche Die gotische Kirche des 1318 erstmals erwähnten „Spitals auf Turnau“ wurde von Friedrich Auer und Karl Prager gestiftet und in der Folgezeit vom reichen Patriziergeschlecht der Auer reich beschenkt. Sie ist dem hl. Oswald, dem Patron der Pilger und Reisenden, besonders aber der Kreuzfahrer, geweiht und steht an der Einmündung des Vitusbacharmes in die Donau, am sogenannten Weißgerbergraben, dem ehemaligen Graben der frühmittelalterlichen Stadtmauer (um 920 von Herzog Arnulf von Baiern errichtet). Hier waren Gerber ansässig, die das feine, weiße Leder herstellten. 1553 wurde St. Oswald vom Rat der Stadt an die protestantische Kirche übergeben, 1708 barockisiert. Dabei entstand eine für Bayern einmalige „Bilderpredigt“ an Decke und Emporen: „Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit“. 1750 errichtete hier der Regensburger Orgelbauer Franz Jakob Späth seine heute einzig erhaltene Barockorgel (a = 468 Hz), eine von maximal fünf original erhaltenen Barockorgeln Bayerns. Die letzte Restaurierung von Kirche und Orgel, bei der die Orgelmodernisierung von 1958 rückgängig gemacht wurde, war am 6. 10. 1991 abgeschlossen. Manuel Granatiero

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