Tage Alter Musik – Programmheft 2010

dieses Opus Ultimum aufeinander zuzugehen. – Ein sehr gutes Grundgefühl beim Beginn eines großen Gesellschaftsspieles. Selbst das Wissen um Bachs grundsätzliche Zuweisung an ein Tasteninstrument konnte uns nicht daran hindern, eine weitere Version eines Arrangements vorzustellen und dabei strukturelle Gegebenheiten zu unterstreichen und der innewohnenden Dramaturgie der aufeinanderfolgenden Kontrapunkte nachzuspüren. Der Klang der Orgel war unser inneres Leitbild. Die einzelnen Stimmengruppen vertreten die Register, wobei es besonders reizvoll ist, die Zungenstimmen, also unsere Doppelrohrblattinstrumente, zu registrieren, im Kontext zu den Streicherstimmen, die solistisch oder auch chorisch eingesetzt werden. In besonderen Fällen übernimmt die Posaune den TenorPart. Der Grund für den Einsatz dieses Instrumentes ist nicht nur die Erfahrung des Vertiefens und Erweiterns des Klangspektrums, sondern auch die Möglichkeit, den Tenorpart in einer Linie und Farbe durchzuführen. Umlegungen der Stimmführung gerade in den Mittelstimmen in der Kunst der Fuge sind instrumentenspezifisch bedingt und störend, und wären zum Beispiel in einer reinen Streichquartettfassung nicht zu umgehen. Cembalo und Orgel kommen in unserer Version solistisch zum Einsatz. Deine Frage nach der Leitung des Ganzen, die keinen Dirigenten vorsieht, beantwortet sich fast von selbst. In Hingabe an seinen Part wird jeder in das polyphone Gewebe der Komposition hineingezogen. Je freier man sich dabei fühlen kann, umso deutlicher erschließt sich dem Spieler dieser pulsierende und atmende Organismus, der in Form einer Handschrift und einer Druckgrafik auf uns gekommen ist. Die Einwirkung eines Kraftfeldes von „außen“ wirkt sich auf die ablaufenden interaktiven Prozesse zwischen den Musikern eventuell hemmend aus. Also, wir bleiben unter uns und wünschen uns gutes Gelingen. Dein Stephan [Biographische Informationen zur Akademie für Alte Musik Berlin: siehe Eröffnungskonzert, Seite 4] Johann Sebastian Bach: Die Kunst der Fuge BWV 1080 Am 1. Juni 1751, ein knappes Jahr nach dem Tod von Johann Sebastian Bach, war in den „Leipziger Zeitungen“ folgende Anzeige zu lesen: „Es wird hiermit zu wissen gemacht, daß von der Kunst der Fuga in 24 Exempeln, entworfen durch Joh. Seb. Bach, ehemahligen Capellmeister und MusicDirector zu Leipzig, in den meisten und vornehmsten Buchhandlungen Teutschlands Avertissements zu haben. Es wird auf dieses Werk in den vornehmsten Buchhandlungen, wie auch in Leipzig bey der Frau Wittbe Bachin [Anna Magdalena Bach], in Halle bey dem Hrn. Music-Director [Wilhelm Friedemann] Bach, in Berlin bey dem Königl. Cammer-Musicus [Carl Philipp Emanuel] Bach, und in Naumburg bey dem Organist Altnikol 5 thl. Pränumeration angenommen, weil das Werk auf die 70 Platten beträgt, und also viele Unkosten dazu erfordert werden.“ Die Notiz markiert den vorläufigen Schlusspunkt unter die Entstehungsgeschichte von Bachs letztem großen Werk, der Kunst der Fuge. Die Anfänge dieses umfangreichen Kompositionszyklus reichen in die frühen 1740er Jahre zurück, als Bach den zweiten Teil des Wohltemperierten Claviers sowie die ClavierÜbung vollendet hatte. In beiden Sammlungen präsentierte Bach eine enorme Vielfalt kontrapunktischer Techniken. Die Beschäftigung mit der Kontrapunktik sollte sich nun in der Kunst der Fuge noch mehr spezialisieren: Wurden in den vorher entstandenen Werken verschiedene Fugenarten an ganz unterschiedlichen Themen vorgestellt, so bestand der Grundgedanke des neuen Werks darin, sämtliche nur denkbare kontrapunktischen Möglichkeiten an einem einzigen musikalischen Motiv auszuloten. Sorgfältig formte Bach ein Thema in d-Moll, das aufgrund seiner melodischen, harmonischen und rhythmischen Führung zur Demonstration möglichst vieler satztechnischer Prinzipien geeignet war. Um 1742 schloss Bach die erste Fassung seiner Kunst der Fuge ab (die allerdings noch nicht diesen Titel trug). Die autographe Reinschrift umfasst 14 Sätze, die nach steigendem Schwierigkeitsgrad und zunehmender motivischer Komplexität angeordnet sind. Die zwölf Fugen erhalten die Bezeichnung contrapunctus, darüber hinaus wurden zwei Kanons eingefügt. Trotz der Vollendung dieser ersten Werkfassung blieb Bach weiterhin von den nahezu unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten seines Themas fasziniert. Zwischen 1742 und 1746 arbeitete er etliche Stücke um und komponierte noch je zwei Fugen und Kanons hinzu. Die nunmehr 18 Sätze brachte Bach in eine neue Reihenfolge und wählte dazu den Titel Kunst der Fuge. In der neuen Ordnung gleicht die Sammlung einem praktischen Lehrbuch zur Fugenkomposition in fünf Kapiteln: 1. Einfache Fugen (Contrapunctus 1–4): Das Hauptthema erscheint in Normalgestalt und Umkehrung. 2. Gegenfugen (Contrapunctus 5–7): Normal- und Umkehrform des Hauptthemas werden miteinander kombiniert. 3. Fugen mit mehreren Themen (Contrapunctus 8–11): Das Hauptthema wird mit Gegenthemen konfrontiert, die zunächst jeweils einzeln, danach gemeinsam durchgeführt werden. 4. Spiegelfugen (Contrapunctus inversus 12 und 13): Das Hauptthema erklingt zunächst in der Originalgestalt (forma recta) und anschließend in der notengetreuen Umkehrung (forma inversa – alle aufwärts gerichteten Intervalle richten sich im gleichenAbstand abwärts und umgekehrt). 5. Kanons: Vier Kanons mit unterschiedlichem Intervallabstand. TAGEALTERMUSIKREGENSBURG MAI2010 19 Neuhaussaal Der Bau des Stadttheaters mit dem Neuhaussaal wurde unmittelbar nach der Säkularisation vom neuen Stadtherrn, dem Kurfürsten und Erzkanzler Carl von Dalberg, in Auftrag gegeben. Der Architekt d'Herigoyen schuf das Stadttheater im Jahr 1804. Nach einem Brand wurde es 1849 in etwas veränderter Form wiederaufgebaut. Ein Mittelteil mit Dreiecksgiebel und seitliche Balkone zeichnen den Bau aus, der eine reiche Theatergeschichte schreibt. Der klassizistische Neuhaussaal kann auf eine reiche Konzert- und Ballgeschichte zurückblicken. Stephan Mai Bernhard Forck J. S. Bach (Ölgemälde von E. G. Haußmann, 1746)

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