Tage Alter Musik – Programmheft 2011

in Verbindung gebracht werden wollten. Immerhin experimentierten seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts selbst ausländische Komponisten in italienischen Diensten mit Musik für populäre Festivitäten wie Karneval oder Calendimaggio (das traditionelle Frühlingsfest im Mai). Zu dieser Zeit waren die diversen typisierten Figuren der Handwerker, Bauern, Vagabunden, Zigeuner und der sogenannten «Lanzi» (Deutsch sprechende Söldner) bereits fest etabliert. In ihren Gesängen verbindet sich häufig der internationale polyphone Stil mit spezifischen «Frottola»- Schreibweisen. Dieses Bestreben nach einer Stilsynthese blieb nicht ohne Folgen, denn nicht wenige von jenseits der Alpen zugereiste sattelfeste Kontrapunktiker sollten sich in Italien gerade mit Werken «im Volkston» einen Namen machen. (Es scheint übrigens, dass sich die Komponisten weniger gegen namentliche Signaturen sträubten, sobald sie speziell für den mündlichen Vortrag bestimmte Dichtungen wie Oden, Capitoli oder Strambotti berühmter Humanisten, der «poetae laureati» ihrer Zeit, vertonten. Diese Formen schlugen in der Kultur der Renaissance eine Brücke zwischen Poesie und Dramatik, Sittlichkeit und formaler Kunstübung, Hof und Bühne.) Mit der Gründung der ersten Schauspielertruppen und der wachsenden Beliebtheit, der sich das professionelle Improvisationstheater zwischen der Mitte des 16. und dem Ende des 17. Jahrhunderts erfreute, stieg auch die Produktion von idiomatischer Vokalmusik («alla padovana», «alla veneziana» etc.) sprunghaft an. Solche Stücke in «künstlichem» Dialekt verraten oft eine direkte Abhängigkeit von typischen Themen und Situationen der Commedia dell’Arte. Ganz zu schweigen von jüngeren Entwicklungen wie den «Commedie Madrigalesche», bei denen der Aufbau der Texte bei gleichzeitiger Milderung ihrer Inhalte von dem inneren Konflikt zeugt, den dramatischen Ausdruck mit der musikalischen Struktur und den metrischen Konventionen des Madrigals zu vereinen. Die musikalische Landschaft Italiens im 16. Jahrhundert ist voll von Texten, die ganz bewusst realistische Inhalte aufgreifen. Unter diesen «Canzoni Villanesche» waren die Moresca und die Villanella alla Napoletana die bedeutendsten. Ihre Texte sind - selbst wo sie merklich geglättet und der intellektuellen höfischen Sphäre angepasst wirken - äußerst effektvoll. Insbesondere im Fall der Moresca begegnet man auch häufig der parodistischen Verwendung idiomatischer Ausdrücke, die sich mitunter zum phantastischen, levantinisch-neapolitanischen Kauderwelsch steigert. Die Stücke, die das Ensemble Lucidariumheute präsentiert, sind genuine «Mini-Farcen» in atemberaubendem Erzähltempo; manchmal ungehobelt, doch theatralisch immer auf den Punkt gebracht. Die ersten Sammlungen dieser Musik entstanden im Neapel der 1530er Jahre. Ihre Autoren waren zunächst Lokalmatadore wie Vincenzo Fontana, Tommaso Maio, Tommaso Cimmello oder Gian Domenico da Nola, und ihre Entwicklung dürfte von entsprechenden Vorgängen in Norditalien nicht allzu verschieden verlaufen sein. Rasant breitete sich das neue Genre über die gesamte Apenninenhalbinsel aus und bald schon sollten es auch Großmeister wie Adrian Willaert oder Orlando di Lasso und angesehene Madrigalisten wie Francesco Corteccia oder Filippo Azzaiolo mit Hingabe pflegen. Mit der Moresca drangen auch traditionell im Süden anzutreffende Instrumente wie die «chitarra battente» oder der «colascione» in den Norden des Landes vor und wurden zum musikalischen Standardinventar der Commedia dell’Arte. Ausnahmslos erfahrene Tänzer und Musiker, glänzende Improvisationskünstler in Worten, Versen und Tönen, mussten die Darsteller zudem diverse italienische Dialekte imitieren können, fundierte Poetikkenntnisse besitzen und auf allen Stilebenen zuhause sein. Die Comici dell’Arte waren hochprofessionelle Akteure und wurden im Geist einer illustren Theatertradition erzogen, die zu Vorstellungen bei Hof und an öffentlichen Orten urbaner Zentren gleichermaßen befähigte. Sie unterhielten den Adel mit aufwendigen Intermedien und das einfache Volk mit spektakulären «Performances» (wie man heute sagen würde) «di piazza». Und wenngleich sie sich bei Hofe besser aufgehoben gefühlt haben mochten - immerhin bedeutete Protektion durch eine zahlungskräftige Herrschaft gesicherten Lebensunterhalt -, waren ihnen doch die virtuosen Verkaufsstrategien der Quacksalber und medizinischen Scharlatane auf Jahrmärkten nicht fremd. Flink und wendig, besaßen sie das physische Know-How, die Archetypen der Commedia mit ihrer jedermann vertrauten Psychologie und ihren sattsam bekannten Reaktionsmustern heraufzubeschwören: «lo Zanni», «il Dottore», «il Magnifico», «I’Amorosa» und wie sie alle hießen. Zwar wehrten sich die Comici dell’Arte von Anfang an vehement gegen jeden Vergleich mit der Welt halbseidener Schmierenkomödianten, doch waren sie durchaus dazu aufgelegt, ihr gesellschaftliches Umfeld scharf unter die Lupe zu nehmen. Hellwach auf alle Vorgänge um sie reagierend, gingen sie dabei aber nur selten über das «Berufsethos der Maske» hinaus und übten stets (alles in allem genommen) eine eher milde Form der Sozialkritik. Selbst wenn sie sich, wie ihr berühmter Vorläufer Angelo Beolco alias «Il Ruzante», zu echtem Mitgefühl mit den Schwachen und Bedeutungslosen der Gesellschaft hinreißen ließen, verletzten sie niemals die Konventionen einer nicht-offensiven Satire. Eine gewisse Sorge um Gunst und Protektion oder jedenfalls das merkliche Bemühen, allen politischen Mächten gegenüber möglichst neutral zu bleiben, sollte während der zwei Jahrhunderte, in denen die Commedia dell’Arte ihre Blütezeit erlebte, immer bestehen bleiben; auch noch, seit die Vorstellungen aus dem exklusiven Rahmen des höfischen Milieus herausgetreten waren und vor der zahlenden Kundschaft einer breiten Öffentlichkeit gezeigt wurden. Was kam zuerst? Musik oder Bewegung? Sprache oder Gesang? Gestik als elementarste Grundlage überhaupt? Ganz ohne Zweifel: eine Kombination all dessen. Die ältesten bekannten Dokumente einer solchen «fraternal compagnia» (so nannten sich diese Schauspielervereinigungen unter Hinweis auf die sie ihrem Ideal nach verbindende brüderliche Liebe), 1545 von Maffio di Padova gegründet, verraten nichts über die Anforderungsprofile der Mitglieder oder die ungeschriebenen Gesetze ihrer Zunft. Stattdessen sprechen sie ausschließlich von Einnahmen undAusgaben. Es ist vielleicht wiederum kein Zufall, dass die erste ausführliche Beschreibung einer improvisierten italienischen Komödie von 1568 datiert, als TAGEALTERMUSIKREGENSBURG JUNI2011 29 Groteske Figuren von Jacques Callot Minoritenkirche Das Regensburger Minoritenkloster wurde im Jahre 1226, im Todesjahr des hl. Franziskus gegründet. Aufgrund reicher Stiftungen konnte um die Jahrhundertmitte mit dem Neubau einer großen Ordenskirche, der Minoritenkirche, begonnen werden. Im ersten Jahrhundert seines Bestehens wirkten drei berühmte Mönche in diesem Kloster: der gelehrte Mystiker David von Augsburg (um 1240), der geistliche Dichter Lamprecht (gegen 1300) und der berühmte Volksprediger Berthold von Regensburg (gest. 1272). Die Minoritenkirche ist die größte Kirche des Franziskanerordens in Süddeutschland. Das frühgotische flachgedeckte Langhaus wurde um 1260/70 erbaut, der gewölbte Chor im 14. Jahrhundert. Die Wandmalereien des 14. bis 16. Jahrhunderts wurden in den letzten Jahrzehnten freigelegt. Vor der Stelle, wo sich der Hochaltar befand, wurde das Grab Bertholds eingelassen. Jacques Callot: Der Lautenspieler aus der ‘Gobbi’-Serie

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