Tage Alter Musik – Programmheft 2011

TAGEALTERMUSIKREGENSBURG JUNI2011 Kaiserin Maria (der Schwester Philipps II.) als Privatkaplan diente und den Chor des Konvents, in dem sie lebte, dirigierte – eine Anstellung, die ihm anscheinend eine Menge Zeit zum Komponieren und Veröffentlichen seiner eigenen Werke ließ. Obwohl es zunächst überraschend scheint, ist es keine Übertreibung zu sagen, dass wir in den Parodiemessen einige der herausragenden und in ihrer kompositorischen Originalität einzigartigen Werke Victorias sehen. Denn in vielerlei Hinsicht ist es eben gerade der Gegensatz zwischen dem Quellenmaterial in seinem originalen Kontext und Victorias Bearbeitung dieses Materials, der die Vorstellungskraft und die erfinderische Fähigkeit des Komponisten hervorhebt. Cristóbal de Morales’ Motette „Jubilate Deo“ wurde anlässlich des Friedensvertrags zwischen Karl V. und Franz I. im Jahre 1538 von Papst Paul III. in Auftrag gegeben. Die Motette basiert auf einem Cantus firmus aus dem Gregorianischen Choral-Introitus „Gaudeamus omnes in Domino“, der an einigen Feiertagen während des Kirchenjahrs zu singen war. Morales nimmt nur das erste Wort aus dem Choral, das im ersten Tenor achtmal während des ersten Teils der Motette wiederholt wird und zehnmal (viermal im Originaltempo und sechsmal mit halbierten Notenlängen) während des zweiten. Traurigerweise war der Friedensvertrag zwischen Spanien und Frankreich nur verhältnismäßig kurzlebig, im Gegensatz dazu hatte die Motette von Morales deutlich länger Bestand; Victoria veröffentlichte seine Parodie-Messe, die Missa „Gaudeamus“, erst im Jahre 1576. Morales’ Motette feierte einen Friedensvertrag. Die Inspiration für Clement Janequins bekanntes Chanson „La guerre“ lieferte hingegen der französische Sieg über die Habsburger in der Schlacht von Marignano im Jahre 1515. Dieses Chanson war bahnbrechend insofern, als es wahrscheinlich das erste Beispiel von programmatischer „Schlachtenmusik“ darstellt, wie sie um die Barockzeit geradezu klischeehaft geworden war (Monteverdis berühmte Opernszene „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ aus seinem achten Madrigalbuch liefert einen interessanten Vergleich, wie solche Musik ein Jahrhundert später komponiert wurde): Die Musik enthält ein Übermaß an darstellenden Tönen und Effekten, die die Geräusche der Schlacht nachahmen. „La guerre“ scheint – mit seinen feurigen wiederholten Akkorden und kurzen Motiven – auf den ersten Blick nicht gerade eine angemessene Vorlage für eine polyphone Messe zu sein, dies entkräftet Victoria aber mit seiner Missa „Pro Victoria“, die bemerkenswert erfolgreich war. Victoria überwindet viele der Herausforderungen des Chansons, indem er die neun Stimmen in zwei Chöre aufteilt, antiphonale Effekte benutzt und so eine reiche und klangvolle Polyphonie schafft. „Surge propera, amica mea“ entstand relativ früh in Palestrinas Karriere; er veröffentlichte es 1563 in seinem ersten Buch vierstimmiger Motetten, während er an der Kirche S. Maria Maggiore in Rom arbeitete (wo er auch seine frühe musikalische Ausbildung erhalten hatte). Viele Merkmale seines Stils sind hier schon sichtbar – wunderschön geformte melodische Linien, eine mühelos verständliche Handhabung der Textdeklamation, ein feiner Sinn für das Gleichgewicht zwischen den Teilen, perfekt in Tempo und Dissonanzbehandlung. Im „Sanctus“ und „Benedictus“ seiner Parodiemesse behält Victoria das Eröffnungs-Soggetto der Motette dem Pleni-sunt-caeli- Abschnitt vor und (mit zusätzlicher Verzierung) dem Benedictus. Nach Victoria muss Francisco Guerrero als prominentester spanischer Komponist von Kirchenmusik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angesehen werden. Erstmals 1570 in Venedig veröffentlicht, ist „Simile est regnum Caelorum“ die zweite von drei Vertonungen jenes Textes durch den Komponisten, und sie weist eine auffallend helle Klanglichkeit auf. Victorias Messvertonung, hier das „Agnus Dei“, nimmt Guerreros lyrische Melodielinien auf und erweitert sie noch. Im zweiten „Agnus Dei“ teilt Victoria die Stimmen in zwei Chöre auf, die sich im Verlauf des Satzes immer mehr verflechten und am Schluss in einem beeindruckenden achtstimmigen polyphonen Klanggeflecht gipfeln. Ein anderer Text über das himmlische Königreich ist vertont in Victorias bekannter Motette „O quam gloriosam“ – einem Stück, dessen Atmosphäre der von Guerreros Motette nicht gänzlich unähnlich ist. Victorias Motette jedoch sticht durch ihre motivische Fantasie und imitatorische Meisterschaft hervor. Die Stimmung von „O magnum mysterium“ ist insgesamt kontemplativer. In der abschließenden Motette „Laetatus sum“ zeigt Victoria eine ganz andersartige Auffassung von Raum – hier liegt es an der vielchörigen Klangopulenz (zwölf Stimmen in drei Chöre geteilt), dass die räumlichen Möglichkeiten des „Hauses des Herrn“ zu ihrem größten Vorteil genutzt werden. Dies nimmt die Entwicklung des frühen Barockstils vorweg, die in den folgenden Jahrzehnten stattfinden sollte. Der größte Teil dieser Motette ist antiphonal komponiert, kurze Phrasen werden von einem Chor zum anderen weitergereicht, aber dort, wo Abschnitte der Motette einen Höhepunkt erreichen, werden die drei Chöre in der äußerst klangprächtigen zwölfstimmigen Polyphonie vereint. 39 AUSFÜHRENDE STILEANTICO Helen Ashby, Kate Ashby, Rebecca Hickey, Amy Wood Sopran Emma Ashby, Eleanor Harries, Carris Jones Alt Jim Clements, Matthew Howard, Benedict Hymas Tenor James Arthur, Will Dawes, Oliver Hunt Bass PROGRAMM TOMÁSLUISDEVICTORIA O quam gloriosam (1548-1611) CRISTÓBALDEMORALES Jubilate Deo (ca. 1500-1553) TOMÁSLUISDEVICTORIA Missa „Gaudeamus“ Kyrie Gloria CLÉMENT JANEQUIN La Guerre (um 1485 - 1558) TOMÁSLUISDEVICTORIA Missa „Pro Victoria“ Credo TOMÁSLUISDEVICTORIA O magnum mysterium GIOVANNIPIERLUIGIDAPALESTRINA Surge propera (1525/26 - 1594) TOMÁSLUISDEVICTORIA Missa „Surge propera“ Sanctus Benedictus FRANCISCOGUERRERO Simile est regnum (1528/29 – 1599) TOMÁSLUISDEVICTORIA Missa „Simile est regnum“ Agnus Dei TOMÁSLUISDEVICTORIA Laetatus sum Victorias Missa “Gaudeamus”

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