Tage Alter Musik – Programmheft 2012

oberen Stimmen des Streichorchesters sich auf begleitende Funktionen zurückziehen. Die Außensätze des Violinkonzerts E-Dur BWV 1042 haben als ge- meinsamen Formgedanken die notengetreue Wiederholung größerer oder kleinerer Formteile, die ihm – ganz im Gegensatz zum a-Moll-Kon- zert – den Charakter des architektonisch Gebauten verleiht. Der Ein- gangssatz kombiniert die Konzertsatzform mit der Da-capo-Form (ABA). In der Detailgestaltung innerhalb dieser übersichtlichen Großform fällt die außergewöhnlich reiche thematische Arbeit auf, bei der das Eröff- nungsmotiv, der aufsteigende Dur-Dreiklang, die Hauptrolle spielt. Der Schlusssatz hat die in Bachs Werk insgesamt selten anzutreffende Form des Rondos. Ein sechzehntaktiger Hauptsatz des Tutti, der fünfmal un- verändert erklingt, bildet das Formgerüst; dazwischen stehen vier Episo- den, in denen die Solovioline in wachsender Virtuosität in den Vorder- grund gestellt wird. Der Mittelsatz stellt in ähnlicher Weise wie der des a- Moll-Konzerts ein ostinates Bassmotiv der expressiven Entfaltung des So- loinstruments gegenüber. Als Vorlage für das d-Moll Cembalokonzert BWV 1052 diente ein heute verschollenes, vermutlich in Köthen verfasstes Violinkonzert. Der nicht allein in der auskomponierten Kadenz des Kopfsatzes absolut instrumen- tengerechte Klaviersatz, den J. S. Bach aus der Solostimme der Urfassung modelliert hat, ist Musterbeispiel dafür, wie gründlich und gewissenhaft die Umarbeitung der Originale vorgenommen wurde – so gründlich, dass sich ihre spezifische Idiomatik spürbar verwandelte. Unangetastet dage- gen blieben die Grundkoordinaten des weiträumigen, formalen Entwurfs. Rhythmisch prägnantes, energiegeladenes Motivmaterial mit schier uner- schöpflichen Entwicklungsvarianten kennzeichnet die Ecksätze, die zwar den vertrauten, im Verlauf der Lehrjahre gründlich studierten italieni- schen Leitbildern folgen, in Sachen Rhetorik und Konzentration der Mit- tel jedoch meilenweit über diese hinausweisen. Das Adagio schließlich nimmt französische Einflüsse auf und legt nach Art eines Doubles mit der schweren, schmucklosen Unisonofigur des Beginns ein Fundament, über dem die frei fantasierenden Auszierungen der Solostimme ihren kanta- blen Zauber entfalten. Das Violinkonzert A-Dur BWV 1055 liegt eigentlich nur als Cembalokon- zert vor und viele Aspekte sprechen dafür, dass es sich dabei um eine Be- arbeitung eines Konzertes für Oboe d’amore handelt. Im heutigen Kon- zert wird der Solopart von der Violine übernommen. Die Form des An- fangssatzes beruht auf zwei Prinzipien. Das eine ist das Alternieren zwi- schen dem Ritornell (von dem oft nur die markante Eingangsphrase zi- tiert wird) und einem Solothema von gegensätzlichem Charakter, das gleich bei seinem ersten Eintritt die satte Tiefe der Sologeige voll ausnutzt. Überlagert wird dieses konzerteigene Aufbauprinzip durch eine von An- fang bis Ende festgehaltene Gliederung in Achttaktgruppen von wech- selnder innerer Struktur. Das Resultat ist eine Durchdringung der Kon- zertsatzform mit dem periodischen Gesetz des Tanzsatzes, die in Bachs Konzert-Œuvre keine Parallele hat. Im Mittelsatz gibt der amAnfang ste- hende chromatische „Lamento-Bass“ den Grundaffekt an, der in der aus- drucksvollen Linienführung der Solostimme aufgenommen wird. Bach hat die Solostimme in der Cembalo-Fassung dieses Satzes noch stärker mit Koloraturen versehen. Im Autograph sind diese Änderungen als nachträgliche Korrekturen erkennbar. Der Schlusssatz verbindet kon- struktive Dichte mit schwungvoller Rhythmik, die an den Tanztypen Pas- sepied und Gigue orientiert sein könnte. ImMittelpunkt von Georg Philipp Telemanns zweitem Teil der „Tafelmu- sik“ steht das Konzert F-Dur für drei Violinen , Streicher und Basso conti- nuo. Dieses Konzert ist dreisätzig angelegt und folgt somit dem damals modernen italienischen Instrumentalkonzert. Schon das einleitende Ri- tornell, „welches mehr harmonisch als melodisch, mehr ernsthaft als scherzhaft, und mit Unison vermischet“ ist (Quantz), verrät die italienische Schreibart. T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2012 17 St.-Oswald- Kirche Die gotische Kirche des 1318 erstmals erwähnten „Spitals auf Turnau“ wurde von Friedrich Auer und Karl Prager gestiftet und in der Folgezeit vom rei- chen Patriziergeschlecht der Auer reich beschenkt. Sie ist dem hl. Oswald, dem Patron der Pilger und Reisenden, beson- ders aber der Kreuzfahrer, ge- weiht und steht an der Einmün- dung des Vitusbacharmes in die Donau, am sogenannten Weiß- gerbergraben, dem ehemaligen Graben der frühmittelalterlichen Stadtmauer (um 920 von Herzog Arnulf von Baiern errichtet). Hier waren Gerber ansässig, die das feine, weiße Leder herstell- ten. 1553 wurde St. Oswald vom Rat der Stadt an die protestanti- sche Kirche übergeben, 1708 ba- rockisiert. Dabei entstand eine für Bayern einmalige „Bilder- predigt“ an Decke und Empo- ren: „Des Herren Wort bleibt in Ewigkeit“. 1750 errichtete hier der Regensburger Orgelbauer Franz Jakob Späth seine heute einzig erhaltene Barockorgel (a = 468 Hz), eine von maximal fünf original erhaltenen Barockor- geln Bayerns. Die letzte Restau- rierung von Kirche und Orgel, bei der die Orgelmodernisie- rung von 1958 rückgängig ge- macht wurde, war am 6. 10. 1991 abgeschlossen. A USFÜHRENDE B RECON B AROQUE Rachel Podger Violine und Leitung Bojan Cicic Violine Johannes Pramsohler Violine Jane Rogers Viola Alison McGillivray Violoncello Jan Spencer Violone Marcin Swiatkiewicz Cembalo P ROGRAMM J OHANN S EBASTIAN B ACH Konzert für Violine, Streicher und Basso (1685-1750) continuo a-Moll BWV 1041 Ohne Satzbezeichnung – Andante – Allegro assai Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo d-Moll BWV 1052 Allegro – Adagio – Allegro Solist: Marcin Swiatkiewicz, Cembalo Konzert für Violine, Streicher und Basso continuo A-Dur Rekonstruktion nach dem Cembalokonzert BWV 1055 Ohne Satzbezeichnung – Larghetto – Allegro ma non tanto PAUSE G EORG P HILIPP T ELEMANN Konzert für drei Violinen, Streicher und (1681-1767) Basso continuo F-Dur aus der „Tafelmusik“ TWV 53:F1 Allegro – Largo – Vivace J OHANN S EBASTIAN B ACH Konzert für Violine, Streicher und Basso continuo E-Dur BWV 1042 Allegro – Adagio – Allegro assai Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Detmar Hungerberg, 42499 Hückeswagen, für die freundliche Bereitstellung des Cembalos.

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