Tage Alter Musik – Programmheft 2012

Zum Programm: Die Legendenbildung um die Missa Papae Marcelli begann bereits ein knappes halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung: Als erster von vielen bezeichnete A. Agazzari 1607 Palestrina als den Retter der Kirchenmusik, der mit dieser Komposition die Abschaffung der figuralen Kirchenmusik durch das Tridentinische Konzil verhindert habe. Tatsächlich waren während des Konzils Stimmen laut geworden, die die Abschaffung des mehrstimmigen Gesanges in der Kirche forderten, der sich durch Verwen- dung weltlicher Melodien, Textvielfalt und zunehmende musikalische Autonomie von einer reinen Darbietung der liturgischen Texte zu einem vorherrschend musikalisch-künstlerischen Gebilde gewandelt hatte. In Zusammenarbeit mit mehreren Komponisten – unter ihnen auch Giovan- ni Pierluigi da Palestrina, der damals Kapellmeister an der Kirche S. Maria Maggiore in Rom war – kamen die Konzilsväter jedoch überein, die Kir- chenmusik bestehen zu lassen und nur Textverständlichkeit und Reinhal- tung der Musik von weltlichen Themen zu fordern. Ist der Mythos von der Rettung der Kirchenmusik durch Palestrina auch ins Reich der Legen- de zu verweisen, so ist doch als gesichert anzunehmen, dass die Missa Papae Marcelli in Zusammenhang mit den die Kirchenmusik betreffenden Sitzungen des Konzils (ab September 1562) komponiert wurde; sie ent- stand wahrscheinlich um die Wende des Jahres 1562/63. Gewidmet ist sie dem kurz nach seiner Wahl 1555 verstorbenen Papst Marcellus II., der sich bereits als Kardinal, zu Reformvorschlägen aufgefordert, Fragen der Kir- chenmusik zugewandt hatte. Den Forderungen des Konzils nach Ver- ständlichkeit des Textes ist Rechnung getragen: In den wortreichen Sätzen der Messe (Gloria und Credo) ist der liturgische Text in sinnvolle Ab- schnitte gegliedert, überwiegend syllabisch und homophon. Durch wech- selnde Stimmgruppierungen und fingierte Mehrchörigkeit (Gegenüber- stellung zweier Teilchöre), vor allem aber durch die Verwendung eines stets neuen, oft in Tempo und Melodik kontrastierenden Motivs für jeden Abschnitt wird die Komposition aufgelockert; häufig harmonisch kaden- zierende Schlüsse bilden Ruhepunkte. Die textarmen Sätze Kyrie, Sanctus und Agnus Dei unterscheiden sich vom Gloria und Credo durch Verarbei- tung der Motive. Im siebenstimmigen Agnus Dei hat es der Komponist verstanden, alte und neue Technik zu verbinden: Drei der Stimmen bilden einen strengen Kanon, der mit der imitatorischen Motivik der übrigen Stimmen verflochten ist. Nicht ganz neu in der Kompositionskunst, den Forderungen des Konzils entgegenkom- mend, ist die Verwendung von als Illustrati- on zu verstehenden satztechnischen Topoi, wie etwa die staunend-verhaltene Dekla- mation der Worte et incarnatus est im Credo, der die Assoziation von Glockenklängen weckende, schwingende Beginn des Sanc- tus oder die Reduktion auf einen vierstim- migen Satz in enger (hoher) Lage im Bene- dictus. Sieht man die Forderungen des Konzils nach der Darstellung des Textes in so idealer Weise in dieser Messe ver- wirklicht, so erstaunt umso mehr das allen Sätzen gemeinsame Kopfthe- ma, welches an das seinerzeit so bekannte und häufig verarbeitete Chan- son „L’homme armé“ erinnert. Der Zusammenhang des Themas mit dem Chanson ist offensichtlich, doch ist – in Anbetracht der Umstände der Ent- stehung der Messe – fraglich, ob dieser Anklang an ein damals sehr po- puläres weltliches Chanson nicht unbewusst entstand. Dominika- nerkirche Die Dominikaner- kirche gehört zu den frühesten Schöpfun- gen der deutschen Gotik und ist eine der größten Bettel- ordenskirchen in Deutschland. Mit ihrem Bau wurde 1246 begon- nen. Anfang des 14. Jahrhunderts war die Kirche bereits fertiggestellt. Alber- tus Magnus, der berühmte Gelehrte und Bischof von Re- gensburg, wirkte von 1236 bis 1240 im Regensburger Dominikaner- kloster. Die Kirche wurde gemäß der Regel des Bettelordens der Dominikaner in strenger Schlichtheit erbaut. Sie besitzt deshalb auch keinen ihren Aus- maßen entsprechenden Turm. Unter den Wandfresken im Inne- ren ist v. a. eine Darstellung der 14 Nothelfer von 1331 hervorzu- heben, eine der frühesten, die wir kennen. Die Fresken wurden bei Renovierungsarbeiten zwi- schen 1967 und 1973 freigelegt. T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2012 25 Cover der CD “Palestrina: Missa Papae Marcelli” von Odhecaton A USFÜHRENDE O DHECATON Alessandro Carmignani, Andrea Arrivabene, Gianluigi Ghiringhelli, Renzo Bez Countertenor Alberto Allegrezza, Fabio Furnari, Mauro Collina, Paolo Fanciullacci, Vincenzo Di Donato Tenor Mauro Borgioni Bariton Giovanni Dagnino, Davide Benetti, Salvo Vitale, Matteo Bellotto Bass Paolo Da Col Leitung P ROGRAMM G IOVANNI P IERLUIGI D A P ALESTRINA (1525/26 – 1594): Sabbato Sancto Sicut cervus desiderat, vierstimmig Dominica Resurrectionis Missa Papae Marcelli , sechsstimmig Kyrie Gloria Graduale: Victimae Paschali laudes Credo Ad Offertorium: Exultate Deo, fünfstimmig Sanctus Ad Elevationem: Coenantibus illis, fünfstimmig Agnus Dei Ad Communionem: Fratres ego enim, achtstimmig O sacrum convivium, fünfstimmig In fine Missae: Laudate Dominum, zwölfstimmig In Zusammenarbeit mit dem Istituto Italiano di Cultura München.

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