Tage Alter Musik – Programmheft 2012

D as Ensemble Peregrina (die Umherziehen- de) , 1997 von der polnischen Sängerin und Musikwissenschaftlerin Agnieszka Budzinska- Bennett in Basel gegründet, erforscht und inter- pretiert geistliche und weltliche Musik aus dem Europa des 12. bis 15. Jahrhunderts. Interpretati- on und Stil des Ensembles orientieren sich eng an den originalen Quellenmaterialien und Trak- taten sowie an jüngster musikwissenschaftlicher und historischer Forschung. Die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Schola Cantorum Basiliensis führte zu zahlrei- chen CD-Produktionen: Mel et lac (Raumklang/ 2005) und Filia praeclara (Divox/ 2008) wurden in der Presse begeistert aufgenommen; Filia pra- eclara hat zudem den be- gehrten Preis ECHO- KLASSIK 2009 für die beste a capella-Einspie- lung des Jahres gewon- nen. 2011 sind zwei wei- tere CDs erschienen: Crux (Glossa/SCB 2011) und Sacer Nidus (Raum- klang/ 2011). Zum Programm: Im Mittelalter wurden die Lebensabschnitte aller Frauen entsprechend ihrer sexuellen Erfah- rung klassifiziert. Die Jungfräulichkeit junger Mädchen war etwas, das es zu schätzen und schützen galt. Einmal verheiratet, stand Treue im Vordergrund; im Witwenstand wurde Keuschheit gepriesen, und viele ältere Frauen entschieden sich, ihren Lebensabend im Kloster zu verbringen. Jungfräulichkeit wurde als Ei- gentum der Frauen selbst, aber auch als das ihrer Väter und Ehemänner betrachtet; Verge- waltigung wurde häufig nicht als sexuelles Ge- waltverbrechen, sondern als Entführung und Raub eingestuft, bei welchem die Frau und ihre Jungfräulichkeit Gefahr liefen, gestohlen zu werden. Frauen, die sich für ein Leben hinter Klostermauern entschieden, legten ein Gelübde der Treue zu Christus ab, die geistige Heirat mit Jesus war Teil ihres Initiationsritus. Viele Kom- mentatoren in Klöstern oder in der weiteren Welt waren fasziniert vom Verhältnis einer Frau zu ihrem Körper und besonders ihrer Jungfräu- lichkeit. Viele Texte sind überliefert, die sich mit den besonderen Erfahrungen der Nonnen befas- sen, geschrieben von Frauen oder, häufiger, Männern, die sich das Leben der Frauen vor- stellten. Die für das heutige Konzert ausgewählten Stücke decken die ganze Breite der Erfahrungen von Keuschheit, Liebe und Leben der „einge- schlossenen“ Frauen ab. Frauen wurden dazu ermutigt, sich am idealen Vorbild der Reinheit, der Jungfrau Maria, zu messen, die ohne Sünde ein Kind empfangen hatte und die vielen Be- richten zufolge durch ein Wunder gezeugt wor- den sein soll. Maria wurde in Kontrast zu Eva gesetzt (Ave versus Eva); in der tropierten Anti- phon Salve Regina vergleichen sich die Singen- den mit Evas verbannten Kindern, der Antithese ihres eigenen Ideals; dieser Gesang wurde an Begräbnissen wichtiger Persönlichkeiten ange- stimmt und erscheint hier deshalb zusammen mit anderen Gesängen zum Gedächtnis an die Toten. Im Conductus Casta catholica aus dem Codex Las Huelgas – eine Handschrift, die Spu- ren von Besitz und Gebrauch durch Nonnen im 14. Jahrhundert aufweist – wird Maria durch tu- gendhaften Gesang um Kraft gebeten, die kör- perliche Reinheit aufrechtzuerhalten. In O moni- alis concio , welches in derselben Handschrift überliefert ist, wird der Tod einer Nonne be- klagt, der Verlust der Gemeinschaft aber mit der freudigen Aufnahme der Nonne in den Himmel kontrastiert. Die sinnliche Bildsprache in Hilde- gard von Bingens O dulcissime amator lädt zum Vergleich mit Christus als göttlichem und geisti- gem Geliebten ein. Der umfangreiche Text von Kyrie/Iesu parce ruft Maria sowie die heiligen Martyrer Katharina, Peter und Dominik um Kraft und Beistand an. Das Stück ist Teil einer Litanei für eine verstorbene Nonne, es wurde von augustinischen Nonnen in Palma vor dem Leichnam gesungen. Das Leben als Nonne wurde als tugendhafte Le- T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2012 38 Ensemble Peregrina Ensemble Peregrina (Schweiz) Montag, 28. Mai 2012, 14.15 Uhr, Minoritenkirche , Dachauplatz Veiled Desires – Verschleierte Sehnsüchte – Chanson de Nonne – Nonnenliebe und Nonnenleben imMittelalter Leitung & Gesang: Agnieszka Budzinska- Bennett Cover der CD “Filia Praeclara” des Ensembles Peregrina

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