Tage Alter Musik – Programmheft 2012

Carl Philipp Emanuel, dem zweitältesten Bachsohn und langjährigen Kammercembalisten Friedrichs II. Der war von den Anforderungen sei- nes Dienstherren nicht begeistert, denn Friedrich der Große war zwar künstlerisch interessiert, aber in seinem Geschmack eher konservativ. So schreibt Carl Philipp Emanuel 1773 in Hamburg in der Rückschau auf seine Berliner Jahre: ‚Weil ich meine meisten Arbeiten für gewisse Personen und fürs Publikum habe machen müssen, so bin ich dadurch allezeit mehr ge- bunden gewesen, als bey den wenigen Stücken, welche ich bloß für mich verfer- tigt. ' Vielleicht war es dieses Gefühl der beruflich erzwungenen Zurückhal- tung beim jungen Bach, welches das Revolutionäre in seinen Kompositio- nen verschärft zum Tragen brachte. Denn in seinen Symphonien und Konzerten stößt der Künstler nichts Geringeres als das Tor zu einer neuen Epoche auf. Schluss mit steifem Pathos in Verzierung und Ausdruck! Ein für allemal vorbei ist die alte Einheit des Affektes - Bach empfindet, und er lässt diese Empfindung unmittelbar Klang werden. Wo die Concerti sei- nes Vaters säuberlich in Solo- und Ripienoabschnitte gegliedert waren - ein Abbild der die Welt regierenden göttlichen Ordnung -, treten beim Sohn Solist und Orchester in heftige Debatte. Man fällt sich gleichsam ins Wort, wirft sich die Themen zu und ‚redet' auch mal durcheinander, wenn das Sujet es will. Kurze Themen, Sprunghaftigkeit in harmonischer Ent- wicklung und Motivik, ja geradezu drängendes Mitteilungsbedürfnis sprechen aus den Konzerten Carl Philipp Emanuel Bachs, die eine neue Einstellung gegenüber persönlichen Empfindungen zumAusdruck brin- gen. Besonders signifikant ist diese Kompositionsweise beim Violoncellokon- zert a-Moll (Wq 170) zu beobachten, mit dem die Holland Baroque Society ihr „Treffen“ mit C. Ph. E. Bach eröffnet. Das Konzert entstand um 1750 und ist auch in zwei weiteren leicht modifizierten Fassungen als Konzert für Flöte (Wq 166) oder Cembalo (Wq 26) überliefert. Namentlich sein hit- ziger, vom exzentrischen Überschwang eines musikalischen Sturm und Drang förmlich durchglühter Kopfsatz setzt sich weitgehend über alle Forderungen ebenmäßiger Symmetrie hinweg. Im Jahr 1768 trat Bach die Nachfolge Telemanns als Musikdirektor der fünf Hamburger Hauptkirchen und Kantor des Gymnasiums Johanneum an. Der Umzug von der Spree an die Elbe bedeutete nicht nur einen Wech- sel des Ortes, vielmehr tauschte er damit das Leben eines Hofbedienste- ten im absolutistischen Obrigkeitsstaat, das seinem freidenkerischen Wesen zutiefst widersprochen hatte, mit dem eines selbstverantwortli- chen Bürgers. Die Weltoffenheit der unabhängigen, wirtschaftlich starken und kulturell regen Hansestadt begeisterte ihn ebenso wie einst den eng- lischen Musikreisenden Charles Burney, der von Hamburg schwärmte: Der Reisende wird an dem Thore bloß um seinen Namen und Stand befragt. Die Gassen sind schlecht bebauet, schlecht gepflastert und eng, aber voller Menschen, die ihren eigenen Geschäften nachzugehen scheinen. Aus den Mienen und Betra- gen der Einwohner dieses Orts leuchtet eine Zufriedenheit, Geschäftigkeit, Wohl- habenheit und Freyheit hervor, die man in andern Orten Deutschlands nicht häu- fig zu sehn bekömmt. Wie sehr das vitale, aufgeschlossene Hamburg Bachs künstlerische Pro- T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2012 41 Alexis Kossenko Holland Baroque Society

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