Tage Alter Musik – Programmheft 2012

Das berühmteste Werk dieser Gattung ist eben nicht Regel, sondern Aus- nahme: Mozarts „Don Giovanni“. Ist Tranquillos Rückzug in die Welt seiner Bücher aufrichtig oder taktisch gemeint? Beweist er Montaignsche Gelassenheit oder Lebensuntüchtig- keit, Feigheit? Ist Metilde die perfekte Verkörperung von dummdreistem Sex oder will sie mit ihrer offenen Unmoral eigentlich die Zuwendung, Zuneigung ihres Mannes provozieren? Sind Lucina und Fulgenzio die klaren Köpfe mitten im Chaos oder dient solch eine penetrante Pose nur als Entschuldigung, ihr für emotionale Be- grenztheit, ihm für wollüstige Anwandlungen dem Hausmädchen Regi- nella gegenüber? Sind schließlich die Gefühle von Graf und Leutnant lediglich routiniert, gar narzistisch, oder vielmehr echt und darum unter den gegebenen Um- ständen umso tragischer? Das Libretto überlässt die Beantwortung solcher Fragen dem Publikum. Dank der Musik, die stets auf den wahrhaftigen Ausdruck des Augen- blicks zielt, erscheint der Prozess einer schrittweisen Demontage vor- schneller Ansichten glaubhaft, lebensecht. Darin liegt die Qualität des „Gleichgültigen Ehemanns“, also die in seiner Inszenierung liegende Herausforderung © Dominik Wilgenbus Aus „Die Welt der Encyclopédie“: Gleichgültigkeit – Indifférence (Grammatik & moralische Philosophie). Zustand der Ruhe, in dem die Seele, die einen Gegenstand vor sich hat, diesen weder begehrt noch sich von ihm abwendet & durch seinen Ge- nuss ebenso wenig berührt wird wie durch seinen Verlust. Die Gleichgültigkeit erzeugt nicht immer Untätigkeit. Mangels Interesse & Neigung folgt man fremden Eindrücken & befasst sich mit Dingen, deren Erfolg man selbst sehr gleichgültig gegenübersteht. Die Gleichgültigkeit kann drei Quellen entspringen: der Natur, der Ver- nunft & dem Glauben; sie lässt sich unterteilen in natürliche Gleichgültig- keit, philosophische Gleichgültigkeit & religiöse Gleichgültigkeit. Die natürliche Gleichgültigkeit ist das Resultat eines kalten Tempera- ments. Bei groben Organen, dickem Blut, träger Einbildungskraft ist man nicht wach; man döst inmitten der Dinge der Natur; man empfängt von ihr nur matte Eindrücke; man bleibt gleichgültig & stumpf. Vielleicht aber liegt auch der philosophischen Gleichgültigkeit nur die natürliche Gleich- gültigkeit zugrunde. Wenn der Mensch seine Natur & die Natur der Gegenstände aufmerksam prüft, wenn er die Vergangenheit betrachtet & von der Zukunft nichts Bes- seres erhofft, dann sieht er, dass das Glück ein Phantom ist. Er erkaltet bei der Verfolgung seiner Wünsche; er sagt sich: „Es gibt kein anderes Gut, Numicius, als die Ruhe der Gleichgültigkeit.“ Die philosophische Gleichgültigkeit bezieht sich auf drei Hauptgegen- stände: den Ruhm, den Reichtum & das Leben. Möge der, welcher nach dieser Gleichgültigkeit strebt, sich prüfen & beurteilen. Fürchtet er, ver- kannt zu werden? Arm zu sein? Zu sterben? Er glaubt sich frei, aber er ist ein Sklave. Die großen Phantome verlocken ihn noch immer. Die philosophische Gleichgültigkeit unterscheidet sich von der religiösen Gleichgültigkeit nur durch das Motiv. Der Philosoph ist gleichgültig gegen die Dinge des Lebens, weil er sie verachtet; der religiöse Mensch, weil er sich von seinem kleinen Opfer eine unendliche Belohnung erhofft. Wenn die natürliche, wohlüberlegte oder religiöse Gleichgültigkeit über- mäßig ist, so lockert sie die allerheiligsten Bindungen. Dann ist man kein aufmerksamer Vater mehr, keine zärtliche Mutter, kein Freund noch Ge- liebter noch Gatte. Man ist gegen alles gleichgültig. Man ist gar nichts mehr, oder man ist ein Stein. Denis Diderot (* 5. Oktober 1713 in Langres (Champagne-Ardenne); † 31. Juli 1784 in Paris) war ein französischer Schriftsteller, Philosoph und Aufklärer. Er stand im Schatten anderer Vertreter der europäischen Aufklärung wie Voltaire oder Rousseau. Mit Jean-Bap- tiste le Rond d’Alembert war er Herausgeber der großen französischen Encyclopédie. T AGE A LTER M USIK R EGENSBURG M AI 2012 49 J OSEPH S CHUSTER (1748-1812): I L MARITO INDOLENTE – D ER GLEICHGÜLÜLTIGE TIGE E HEMANN HEMANN (1782) Komische Oper in zwei Akten Libretto von Giacomo Badoaro nach Homers Odyssee Libretto von Caterino Mazzolà PAUSE ist nach dem 1. Akt Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Volker Platte, 42897 Remscheid/Lennep, für die freundliche Bereitstellung des Cembalos. A USFÜHRENDE T RANQUILLO – Thomas Stimmel, Bass M ETILDE , SEINE F RAU – Constanze Backes, Sopran F ULGENZIO , SEIN O HEIM – Markus Flaig, Bass G RAF B ELSOSPIRI , M ETILDENS K AVALIER – Andreas Post, Tenor L UCINA , S CHWESTER DES T RANQUILLO – Katja Stuber, Sopran D ER L EUTNANT – Thomas Lichtenecker, Altus R EGINELLA , K AMMERJUNGFER – Andrea Letzing, Alt Z WEI B EDIENSTETE – Johanna & Jakob Schneider Ort der Handlung ist Neapel. O RCHESTER L A C IACCONA Ulla Baur (Konzertmeisterin), Ruth Ellner, Klaus Bona, Violine I Jochen Grüner, Johannes Heim, Susanne Zippe, Violine II Lothar Haass, Ulrike von Sybel-Erpf, Viola Felix Stross, Anja Enderle, Violoncello Ann Fahrni, Kontrabass Achim Weigel, Violone Marion Treupel-Frank, Andreas Haas, Querflöte Saskia Fikentscher, Christine Allanic, Oboe Martin Roos, Stefan Ötter, Horn Bernd von Hösslin, Christoph Eisert, Trompete Clemens Schlemmer, Steffen Voß, Fagott Robert Schröter, Cembalo Musikalische Leitung: Jörg Straube Inszenierung und deutsche Rezitative: Dominik Wilgenbus Bühne: Peter Engel Kostüme: Katja Melle Licht: Wolfgang Föster Maske: Tatjana Bösch

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