Tage Alter Musik – Programmheft 2013

Rhythmen in mittelalterlichen byzantinischen Gesängen. Die zwei Jahrhunderte vor der osmanischen Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 waren eine Zeit des politischen Umbruchs und der künstle- rischen Erneuerung, die in der Musik das hervorbrachte, was Edward Williams „byzantinische ars nova“ nannte. Die einflussreichste Person bei dieser revolutionären Umgestaltung der Musik war der Komponist, Edi- tor, Musiktheoretiker, Berg-Athos-Mönch und Heilige Johannes Kukuze- les (spätes 13. bis frühes 14. Jh.). Kukuzeles regte die Aufzeichnung alter Liedtraditionen an, wobei er eine neue „schön klingende“ (‚kalophoni- sche’) musikalische Ausdrucksweise förderte, die sich im gesamten grie- chisch-orthodoxen Kulturraum verbreitete. Dieser liturgische Gesangsstil war allgemein durch gesangliche Virtuosität gekennzeichnet, schloss aber auch das Verfassen neuer Texte zu bekannten Liedern („Tropieren“), reichverzierte Melodieführungen und sogar das Absingen von Lautfol- gen ohne Textsinn („Teretismen“) ein. Die liturgische Feier der Großen Vespern bildete den ersten Teil der spät- byzantinischen Vigil für die Heilige Katharina von Alexandrien, die Pa- tronin des Sinai-Klosters. Auf das Invitatorium folgt als Wechselgesang der Vortrag von Psalm 103 (LXX), des liturgisch festgelegten Eröffnungs- psalms in den weltlichen und klösterlichen christlichen Riten Palästinas. In Vers 28b „öffnest du deine Hand...“ beginnen die Chöre die Anoixanta- ria, deren Verse durch Kukuzeles und andere Komponisten mit Tropen zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit verziert wurden. Die Lichtanzündungs- Psalmen (140, 141, 129 und 116 LXX) bilden den alten und unveränderli- chen Kern des palästinensischen Abendgebetes, an das sich die metrisch identischen Hymnen (stichera prosomoia) anschließen, welche die Heili- ge Katharina preisen. Das abschließende Sticheron ist ein idiomelon: ein mit einer eigenen Melodie durchkomponierter Hymnus. Ihr Beginn wird zu einer traditionellen Melodie aus dem mittelalterlichen Sticherarion (Buch der Stichera) gesungen, während der zweite Teil einer kalophoni- schen Sammlung von Manuel Chrysaphes Lampadarios entnommen ist, einem Komponisten und Musiktheoretiker, der in der Kapelle Konstan- tins XI., des letzten byzantinischen Kaisers, diente. Das liturgische Spiel vom Feuerofen, eine musikalische Nacherzählung der Geschichte von den drei hebräischen Jünglingen im Feuerofen, wurde im 14. und 15. Jahrhundert in den Kathedralen von Konstantinopel und Thessaloniki am Sonntag vor Weihnachten nach den Frühmetten gesun- gen. Die Feier, die durch ein sticheron idiomelon eingeleitet wird, das dem Fest des Propheten Daniel und der Drei Heiligen Jünglinge (17. De- zember) entlehnt ist, besteht hauptsächlich aus Gesängen aus dem Buch Daniel der Septuaginta. Für diese Gesänge sind anonyme Melodien aus dem Ritus der Großen Kirche Hagia Sophia ebenso kennzeichnend wie neuere Vertonungen, die Xenos Korones, einem Kollegen von Kukuzeles in Konstantinopel, zugeschrieben werden. Unsere Aufführung umfasst zwei verschiedene kalophonische Kompositionen von Komponisten des 15. Jahrhunderts: eine Sammlung von Manuel Gazes Lampadarios, die zum biblischen Text gesungen wurde, während man eine Engelsfigur auf die Solisten herabsenkte; und ein Sticheron von Angelos Gregoriou, einem Schüler von Manuel Gazes aus Kreta, das die wunder- bare Errettung der Jünglinge aus der Per- spektive des Königs Nebukadnezar be- singt, wobei dessen Ehrfurcht und Verwir- rung musikalisch in einer anspruchsvollen Stimmführung widergespiegelt werden. © Alexander Lingas Übersetzung: Michael Sherley T age a lTer M usik r egensburg M ai 2013 11 P rograMM i. abendgottesdienst (Hesperinos) zum Fest der Heiligen katharina Invitatorium traditionell, Manuskript Sinai Nr. (4. Ton plagal) 1257 (Jahr 1332) Auszüge aus Psalm 103 traditionell, Hl. Johannes Kukuzeles Septuaginta (13. - 14. Jh.), Manuskripte Sinai (4. Ton plagal und 2. Ton authentisch) Nr. 1257 und Nr. 1527 (spätes 15. Jh.) und Athen Nr. 2458 (Jahr 1336) Auszüge aus Vesper-Psalmen 1. Kekragarion traditionell, Manuskript Sinai Nr. (1. Ton) 1255 (15. Jh.) 2. Drei Stichera Prosomoia für die Hl. Katharina, traditionell, (1. Ton) Manuskript Sinai Nr. 1250 (15. Jh.) 3. Doxastikon: Sticheron Idiomelon (2. Ton) Erster Teil traditionell, Manuskript Ambrosianus Nr. 139 A sup. (14. Jh.) Zweiter Teil Manuel Chrysaphes Lampadarios (Mitte 15. Jh.), Manuskript Sinai Nr. 1234 (Autograph von Johannes Plousiadenos, Jahr 1469) ii. Die drei Jünglinge im Feuerofen Ein liturgisches Drama von den drei Jünglingen im Feuerofen nach dem Ma- nuskript Sinai Nr. 1527 (Ende 15. Jh.) 1. Sticheron Manuskript Ambrosianus Nr. 139 A sup. (14. Jh.) 2. Der Gesang der drei Jünglinge traditionell und Xenos Korones (14. Jh.) 3. „Der Engel des Herrn kamherab“ Manuel Chrysaphes Lampadarios (frühes 15. Jh.) 4. „Als der Tyrann gesehen hatte“ Angelos Gregoriou (spätes 15. Jh.) Praktische Einrichtung des Aufführungsmaterials: Ioannis Arvanitis Dieses Konzert wird unterstützt von der Mid Atlantic Arts Foundation, durch USArtists International in Partnerschaft mit dem National En- dowment for the Arts und der Andrew W. Mellon Foundation. a usFüHrenDe C aPPella r oMana alexander lingas Künstlerische Leitung spyridon antonopoulos ioannis arvanitis Theodor Dumitrescu Constantine kokenes stelios kontakiotis David krueger Daniel buchanan Mark Powell Cover der CD “Mt. Sinai: Frontier of Byzantium” von Cappella Romana

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