Tage Alter Musik – Programmheft 2014

bruce Haynes’ Gedanken zu seinen Arrangements der sechs „neuen bran- denburgischen konzerte“ nr. 7 – 12 J. S. Bach hinterließ eine große Menge an Instrumentalmusik, als er starb, wahr- scheinlich vieles davon geschrieben für das Collegium Musicum, das er ab 1729 in Leipzig leitete. Aber wegen der Art, wie seine Hinterlassenschaft unter seinen Familienmitgliedern verteilt wurde, ist ein großer Teil jener Musik jetzt verloren. Dies ist die Grundlage für unseren Ein- druck, dass die sechs Brandenburgischen Konzerte die Überbleibsel einer viel grö- ßeren Menge an Instrumentalkonzerten von vielleicht 100 Stücken darstellen. Ein Verbot des Arrangierens von Musik gab es zu Bachs Zeiten nicht, und oft adaptierte er seine Musik für andere Zu- sammenstellungen. Besonders in dem engen Zeitrahmen, in dem er seine jähr- lichen Kantatensätze in den Jahren 1723 bis 1727 schrieb – oft jede Woche eine neue Kantate – wäre es überraschend, wenn er nicht Material aus seinen Kam- mermusikwerken, die er im vorangehenden Jahrzehnt für die Höfe inWeimar und Köthen geschrieben hatte, herangezogen hätte. Es gibt mindestens zwölf erhaltene Kammermusikstücke, die später für Kantaten adaptiert wurden. Jedes beliebige Stück könnte in seiner erhaltenen Form einArrangement eines Originals für verschiedene Instrumente oder Stimmen darstellen. Dies liefert uns die Grundlage für dieWerke in diesemProgramm. DieAnordnung dieses neuen Satzes von Konzerten ist von Bachs höchst farbiger und kreativer Se- quenz der Orchestrierungen der Brandenburgischen Konzerte inspiriert. Georg Philipp Telemann, der das Collegium Musicum in Leipzig im Jahre 1702 ins Leben rief, diskutiert die Idee, dass gelegentlich Instrumente in Kantaten die Stimmen ersetzen könnten. ImVorwort zu seinem „Harmoni- schen Gottesdienst“ (1725) schreibt er: „Für jemanden, der diese Stücke nützlich finden könnte, aber keine Sänger hat, könnte ein Instrument anstel- le der Stimme eingesetzt werden. Besonders gut passende [für Sopran- und Tenorstimmen] sind die Violine, Oboe, Traversflöte und Viola da gamba (eine Oktave tiefer gespielt). Für die [Alt- and Bass-Stimmen] jedoch die Vio- line, Viola, Blockflöte (eine Oktave höher), das Fagott (eine Oktave tiefer), und in den meisten Fällen das mittlere Chalumeau, etc.” Eines von Telemanns erhaltenen Oboe-Violine-Trios, betitelt „Cantata a 3,” ist einArrangement aus dem „Harmonischen Gottesdienst“, das Telemanns Ratschlag demonstriert. Die originale Kantate ist für Gesangsstimme, Oboe und Continuo, aber in der Triofassung spielt die Oboe den Part der Stimme und die Violine übernimmt die ursprüngliche Oboenstimme. Mangels konkreter Hinweise zur Bestimmung der Instrumentation von Bachs alternativen Vertonungen kann annäherungsweise eine Vorstellung davon ge- wonnenwerden, wie sehr sie angepasst werden könnten und doch noch histo- risch plausibel blieben, indemman studiert, wie Bach selbst Stücke in verschie- denen erhaltenen Versionen veränderte. Bach transponierte oft Sätze, wenn er sie wiederverwendete. Die Cembalo-Versionen der Konzerte sind z.B. einen Ton tiefer gesetzt als die Violin-Fassungen, und sie sind manchmal einen Ton tiefer als die entsprechendenOrgel-Solos. Seinganzes Leben lang stellte er Sätze aus verschiedenen Stücken zusammen, um neue Stücke daraus zumachen. Statt denVersuch zu unternehmen, die Sätze der neuenKonzerte neu zu kom- ponieren, habe ich die „Da capo”-Formder Kantaten-Versionen derArien und Chorstücke beibehalten. Natürlich verlieren wir vieles, indem wir uns die Stimme vorenthalten. Aber ich meine, dass wir auch etwas anderes gewin- nen: andere Facetten der Musik werden hörbar. In seinemAufsatz über Ge- sang von 1723 deutete schon Pier Francesco Tosi an, dass eine Oboe wie eine Stimme ohne Worte sei. Er schrieb: „Denn wenn die Worte [des Sängers] nicht verstanden werden können, gibt es keinen großen Unterschied zwi- schen einer menschlichen Stimme und einer Oboe.” Diese Konzerte sollen keine Rekonstruktionen sein, sondern lediglich spe- kulative Versuche, die instrumentalen Möglichkeiten aufzuzeigen, die in Kantaten und anderen Vokalwerken des reichen Bach-Kosmos enthalten sind. Ihr bescheidener Zweck ist es zu beweisen, dass wir immer noch diese großartige Musik in vielfacher Gestalt hören können, ganz so, wie es Bachs Hörer gewohnt waren. Am Ende ist das gültigste Kriterium die Antwort auf die Frage, ob die Stücke dem Ohr Vergnügen bereiten, wenn sie auf In- strumenten der Bachzeit gespielt werden. © Bruce Haynes, 2011 T AGe A LTer M usik r eGensburG J uni 2014 19 Bruce Haynes (1942-2011) A usFüHrenDe b AnDe M onTréAL b Aroque Grégoire Jeay (8) Traversflöte Vincent Lauzer (8, 10), Matt Jennejohn (10), Grégoire Jeay (10), Mélisande Corriveau (10) Blockflöte Matt Jennejohn (7, 8, 11) Oboe,Oboe da caccia Alexis basque (7) Trompete Marjolaine Goulet (7) Horn Philip Hornsey (7) Pauken Andrew burn (7, 10) Fagott olivier brault (7, 8, 9, 11), Jacques-AndréHoule (7, 8, 9), karol Gostynski (9, 10), Tanya LaPerrière (7, 8, 9, 10,11), Hélène Plouffe (7, 9) Violine Margaret Little (7, 8, 9, 10, 11, 12), nicolas Fortin (7, 9) Viola Margaret Little (12), Mélisande Corriveau (12) Viola da gamba susie napper (7, 8, 9, 10, 12), Mélisande Corriveau (7, 9, 12), Felix Deak (12) Violoncello Pierre Cartier (7, 8, 9, 10, 12) Kontrabass eric Milnes Cembalo P roGrAMM J oHAnn s ebAsTiAn b ACH (1685-1750) sechs „neue brandenburgische konzerte“ nr. 7 – 12 Arrangements: Bruce Haynes (1942-2011) Konzert Nr. 7 D-Dur für Oboe, Horn, Trompete, Pauken, Streicher und Basso continuo - Allegro (Kantate BWV 34/1) - Adagio (Kantate BWV 150/1) - Allegro (Kantate BWV 31/1) Konzert Nr. 8 C-Dur für Blockflöte, Traversflöte, Oboe da caccia, Violine, Streicher und Basso continuo - Allegro (Kantate BWV 74/7) - Affettuoso (Kantate BWV 99/5) - Allegro (Kantate BWV 65/6) Konzert Nr. 9 D-Dur für Streicher und Basso continuo - Allegro (Kantate BWV 11/1) - Adagio-Allegro (Kantate BWV 34/5) PAUSE Konzert Nr. 10 d-Moll für zwei Altblockflöten in f, zwei Blockflöten in d, Streicher und Basso continuo - Andante (Messe BWV 235/1) - Allegro (Kantate BWV 78/2) - Presto (Messe BWV 235/6) Konzert Nr. 11 d-Moll für Oboe, Cembalo, Streicher und Basso continuo - Allegro (Kantate BWV 35/1) - Adagio (Konzert BWV 1063/2) - Allegro (Kantate BWV 35/5) Konzert Nr. 12 c-Moll für zwei Violen da gamba, zwei Violoncelli und Basso continuo - Allegro (Kantate BWV 163/3) - Andante (Kantate BWV 80/7) - Allegro (Kantate BWV 18/1) Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Volker Platte, 42897 Remscheid/Lennep, für die freundliche Bereitstellung des Cembalos. Bande Montréal Baroque wird unterstützt von: Sendetermin auf BR Klassik: 1. Juli, 18.05 Uhr

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