Tage Alter Musik – Programmheft 2014

Zum Programm: o Crux splendidior: Musik zur Gründung der Chiesa del redentore in Venedig Obwohl Venedig - wie auch der Rest Europas - immer wieder von verhee- renden Pest-Epidemien heimgesucht wurde, war diejenige, unter der die Stadt von 1575-77 litt, zweifelsohne die schwerste: Über 50.000 Menschen starben bei dieser größten Heimsuchung der Serenissima in moderner Zeit am Schwarzen Tod, etwa ein Drittel der Bevölkerung! Angesichts einer solchen Katastrophe würden heutige Politiker eine ge- sichtswahrende Show inszenieren, in der sie in großem Stil Geld in Sofort- hilfen und Gesundheitsversorgung pumpen würden. Im Venedig des 16. Jahrhunderts jedoch sahen die politisch Verantwortlichen nur die Mög- lichkeit, sich mit großer Geste das Büßerhemd überzuwerfen, um sich zu- gleich der göttlichen Gnade und ihrer weltlichen Macht zu versichern. In diesem Falle beschlossen sie auf dem Höhepunkt der Pestepidemie, eine riesige Kirche für den „Redentore“ (Erlöser) zu errichten, die der Doge und die Signoria dann jedes Jahr besuchen wollten, um dafür zu danken, dass Venedig von Seuchen verschont bleiben würde. Auf diese Weise hoff- te man den göttlichen Zorn, der die Pest über die Stadt gebracht hatte, zu besänftigen. So entstand die Chiesa del Redentore, der wunderschöne palladianische Tempel, der über die Wasser der Lagune auf die Piazza San Marco blickt, und so entstand auch die Festa del Redentore, das Fest des Erlösers. Im heutigen Konzert begehen wir diesen öffentlichen Akt des Glaubens mit der Musik von Giovanni Battista Grillo sowie vor allem Andrea und Gio- vanni Gabrieli, die mit dieser Kirche in allen Phasen der Planung, der Widmung und des Baus verbunden waren. Im März 1576, während die Pest noch immer die Bevölkerung dezimierte, verkündete Papst Gregor XIII. eine dreitägige Jubelfeier für die Stadt. Re- ligiöse Bußveranstaltungen waren damals in Zeiten der Pest keine Selten- heit, vor allemwährend der Fastenzeit. Und für den Beginn der Fastenzeit des Jahres 1576 komponierte Andrea Gabrieli seine Motette „Emendemus in melius“. Bei deren Text handelt es sich um das Gebet eines um Gnade flehenden Sünders. Trotz der Gebete bei den Feierlichkeiten im Frühjahr hatte die Pest auch im September noch nicht nachgelassen, und so wurde beschlossen, eine noch größere Anstrengung zu unternehmen, um den Er- löser gnädig zu stimmen: ihm eine Kirche zu bauen, die auf seinen Namen geweiht werden sollte. Es folgten weitere Festtage, um diese Entschei- dung feierlich zu begehen. Während dieser Zeremonien nahm der Doge an einem Gottesdienst teil, bei dem mehrchörige Musik aufgeführt wurde. Unter den groß besetzten Motetten im venezianischen Repertoire dieser Zeit ist die siebenstimmige „Nativitas tua, Dei genetrix“ von An- drea Gabrieli - in welcher der Triumph Christi über Tod und Sünde gefei- ert wird, um Erlösung und ewiges Leben zu erlangen - die einzige, die den liturgi- schen und af- fektiven Anfor- derungen die- ses Anlasses a n g eme s s e n scheint, so dass man annehmen muss, dass sie für diese Feier g e s c h r i e b e n wurde. Im Frühjahr 1577 wurden der Ort, an dem die Kirche gebaut werden soll- te (die Giudecca) und der Architekt dafür (Palladio) ausgewählt, und am 3. Mai dieses Jahres fand die Festzeremonie zur Gründung der Kirche statt: Der Doge setzte, begleitet von seiner Gefolgschaft aus Priestern und „cantori“, in einem Boot auf die Giudecca über. Bei einem Zwischenhalt an der Chiesa della Croce feierte man einen Gottesdienst und begab sich anschließend zu der Stelle, an welcher der Grundstein für die großartige neue Kirche gelegt werden sollte. Obwohl keine genaueren Informatio- nen zur Musik überliefert sind, die dabei erklang, weist doch die acht- stimmige Motette „O Crux splendidior“ von Andrea Gabrieli, in der das Kreuz als Symbol für den Sieg Christi über Sünde und Tod (und damit über die Pest) angerufen wird, sehr deutliche Bezüge zu einem solchen Anlass auf. Als die Pestepidemie schließlich im Dezember 1576 nachließ, wurde be- schlossen, künftig alljährlich am dritten Sonntag im Juli eine feierliche Prozession vom Markusplatz zur Chiesa del Redentore auf der Giudecca zu veranstalten. Im ersten Jahr konstruierte man zu diesem Zweck aus 80 Booten eine provisorische Brücke. Eine Beschreibung der Prozession von 1604 legt dar, dass „der Doge jedes Jahr am Morgen dieses besonderen Tages zu der genannten Kirche (Redentore) gebracht wird, wo er eine stil- le Messe hört ... mit von den Musikern von San Marco gesungenen Motet- ten zum Offertorium und zum Hochgebet“. Neben den vokalen Werken spielte jedoch auch Instrumentalmusik immer eine wichtige Rolle bei venezianischen Festlichkeiten - und Gio- vanni Gabrieli darf auch in diesem Genre als unbestrittener Meister gel- ten. Doch auch sein Zeitgenosse Giovanni Battista Grillo - vermutlich ein Schüler Monteverdis und seit 1619 als erster Organist an San Marco tätig - hinterließ uns großartige Canzonas, welche die bekannteren Werke Ga- brielis wunderbar ergänzen. T AGe A LTer M usik r eGensburG J uni 2014 22 Chiesa del Redentore =1EB)/9(E5"*& '+*E5"E1)( C ;9($1+ "5G ' =$*AE1/9$()8F$9 @/8)F)B& -3 ,3 '3 6 6#C 3 >D.1$)!$5F$)1"5( ,#%!+" &#%$/% ()-.!*#'' =<(#3AD" ?#"AD" ) >#;FD"<+#<"7( ) @!3#(# >/#+7(03G;F<D&# 1 .1185 ?#"A+A#<( F#3 2-5:E9.5 $E$$18-% !D' 2-5:E9.5 $E$$18-B 7#F ***6FD;F#743D7(6G# ,D+3 +7!0CFD;F#743D7(6G# :E!$121EB)$9 5ED. =47EF./15)2 =./9/9($1%<0@%- ?$()8F$9

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