Tage Alter Musik – Programmheft 2014

T AGe A LTer M usik r eGensburG J uni 2014 28 M it dem etwas kurios anmutenden Namen The Harmonious Society of Tickle-Fiddle Gentlemen schmückt sich heute ein junges, 2006 ge- gründetes Londoner Barockorchester, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das in Vergessenheit geratene Orchesterrepertoire des öffentlichen Konzert- lebens im England des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts zu erkunden und einem breiten Publikum nahezubringen. Gegründet wurde das En- semble vom Kontrabassisten und Leiter Robert G. Rawson . Nach zahlrei- chen erfolgreichen Konzertreisen in Großbritannien stellt das Ensemble nun seine Musik erstmals in Deutschland einem größeren Publikum vor. Die CD-Aufnahme von Pepuschs „Concertos and Overtures for London“ für das Ramée-Label brachte den jun- gen Musikern weltweit Lob ein und er- reichte im Sommer 2012 den ersten Platz in den deutschen Klassik-Charts. Eine weitere CD mit Werken des mäh- rischen Komponisten Josef Antonín Gurecký (1709–1769) wird das Label Chandos 2015 veröffentlichen. Weitere Aufnahmen mit Werken von Gottfried Finger und Pepuschs „Venus und Ado- nis“ (1715) sind in Vorbereitung. Zum Programm: Die frühesten Berichte von öffentlichen Konzerten in Großbritannien scheinen die des Geigers und Komponisten John Bannister zu sein, der etwa ab 1660 regelmäßig Konzerte in Londoner Pubs organisierte. Lon- dons älteste öffentliche Konzertreihe wurde dann 1679 von dem Kohlen- händler Thomas Britton begründet, eine Konzertreihe, die im Dachge- schoss seines Hauses/Kohlenladens stattfand in einem – wie uns der Dichter Ned Ward mitteilt – engen Zimmer, das Licht nur durch ein Fens- ter von der Größe des Spundlochs eines Fasses erhielt. Die bei diesen Konzerten allwöchentlich im Londoner Stadtteil Clerken- well auftretenden Musiker bezeichnete der Londoner Dichter Ned Ward als „The harmonious Society of Tickle-Fiddle Gentlemen“ („Harmonische Vereinigung geigenkitzelnder Herren“). Brittons Konzertreihe wurde schnell bekannt, zog Publikum aus allen Schichten an und präsentierte die mo- dernste damals verfügbare Musik, gespielt von talentierten Liebhabern und professionellen Musikern. Auch G. F. Händel und J. Chr. Pepusch tra- ten hier regelmäßig auf. Die Konzertreihe existierte mindestens bis zu Brittons Tod im Jahre 1714, und noch in den 1750er Jahren wurde der Club in der Liste der Londoner Clubs und Gesellschaften aufgeführt. Ab 1693 erschien eine weitere hervorragende Reihe, die von dem in Mäh- ren geborenen Gottfried Finger und dem Italiener G.B. Draghi (etwa 1640- 1708) in den York Buildings veranstaltet wurde. Finger war Mitglied der „Catholic Chapel Royal“ gewesen, aber als diese nach der ‘Glorious Re- volution’ von 1688 aufgelöst wurde, wandte er sich öffentlichen Konzer- ten und dem Theater zu, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die unvollständige Handschrift, die Fingers heute erklingende Sonata Nr. 9 enthält, wurde erst in den letzten Jahrzehnten aufgefunden. Ich ergänzte die fehlenden Violinstimmen auf der Basis der originalen Purcell-Fassung. Dieses Stück wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Fingers öffentlicher Konzertreihe gespielt; es handelt sich um ein Arrange- ment von Passacaglia, Arie und Chor „How Happy the Lover “ aus Henry Purcells King Arthur (1691), das vermutlich von Finger selbst erstellt wurde. Die heutige Aufführung ist die moderne europäische Premiere. Das älteste von Pepusch in England erhaltene Konzert ist wahrscheinlich das Concerto Grosso in B-Dur von etwa 1704. Es ist in einer handschriftli- chen Partitur erhalten, die anscheinend von seinem Schüler William Babel zum Gebrauch bei Brittons Konzerten erstellt wurde. Der einfallsreiche erste Satz ist eine Neukomposition im modernen italienischen Stil, und die folgenden Sätze sind geschickte Arrangements einer früheren Violin- sonate. Babel entwickelte bald sein eigenes Repertoire als praktizierender Musiker, indem er seine eigenen Werke komponierte und ausgezeichnete Konzertstücke schuf, die auf populären Arien und Ouvertüren aus dem Opernhaus basierten – besonders solchen von Händel. Wenig kann den Zuhörer vorbereiten auf die virtuose tour de force, die Babel von Händels Arie ‘Vo far guerra’ aus Rinaldo (1724) herleitet; und obwohl diese Bearbei- tung Missbilligung bei Musikkritikern wie Charles Burney hervorrief, ist leicht zu erkennen, warum Babel ein populärer und fester Teil von Lon- dons geschäftigem Konzertleben (1715–21) blieb. Nach Babels Tod wurde seine Organistenstelle in der All Hallows Bead Street von dem elfjährigen Genie John Stanley (1712–86) übernommen. Stanley war seit seinem zweiten Lebensjahr blind (was ihm in einigen Quellen den Spitznamen des ‘blinden Jungen von Holborn’ [‘the blind boy of Holborn’] eintrug), doch er stieg zur absoluten Spitze seines Beru- The Harmonious society of sonntag, 8. Juni 2014, 16.00 uhr, st.-oswald-kirche, Weißgerbergraben Music for London Concerts 1695 – 1750 englische orchestermusik des barock The Harmonious Society of Tickle-Fiddle Gentlemen Cover der Pepusch-CD “Concertos and Overtures for London” von The Harmonious Society of Tickle- Fiddle Gentlemen Tickle-Fiddle Gentlemen (Großbritannien) Robert Rawson Tassilo Erhardt

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