Tage Alter Musik – Programmheft 2014

T AGe A LTer M usik r eGensburG J uni 2014 Telemann hinterließ eine ungeheure Menge an Kompositionen in allen gängigen Gattungen, u. a. 1043 Kirchenkantaten und 46 Passionsverto- nungen – eine für jedes seiner Hamburger Jahre. In der Hansestadt widmete er sich auch weiter- hin öffentlichen Opernaufführungen, und wegen dieser Tätigkeit kam es vorübergehend zu Schwierigkeiten mit dem Stadtrat, dessen Angestellter er war. Nachdem es ihm gelungen war, seine Stellung zu konsolidieren, übernahm er neben seinen anderen Verpflichtungen auch die offizielle Verantwortung für die Hamburger Oper, während er darüber hinaus bemüht war, seine Kompositionen im Druck herauszugeben und sie mit finanziellem Gewinn dem Musik- markt zugänglich zu machen. Telemann war vier Jahre älter als Johann Sebastian Bach; er überlebte ihn um siebzehn Jahre. Als er 1767 starb, war Haydn bereits 35 und Mozart elf Jahre alt. Seinen musikalischen Stil wusste er während seiner ganzen Karriere stets weiterzu- entwickeln – vom charakteristischen Spätbarock bis zum neuen galanten Stil, den sein Patensohn zur Blüte führen sollte. In seinen späteren Jahren beschäftigte sich Tele- mann mit einer Episode aus Cervantes’ berühm- tem Roman „Don Quijote de la Mancha“: Don Quichotte auf der Hochzeit des Camacho. Seine Programmsuite, im Titel beschrieben als Burles- ques de Quichotte, skizziert in instrumentaler Form Episoden aus dem Leben des Ritters, und zwar als musikalische Verbeugung vor dem 1605 und 1615 veröffentlichten Werk, das einen bleibenden Einfluss auf die Geschichte des euro- päischen Romans ausüben sollte. Ursprünglich, so Cervantes, eine Attacke auf das spanische Genre der Libros de Caballería, lässt es verschie- dene Deutungen zu, nicht zuletzt die einer Rea- litätsstudie einer Welt, in der (in den Worten sei- nes Rivalen Lope de Vega) „todo la vida es sueño, y los sueños sueños son“ „das ganze Leben ein Traum ist und Träume Träume sind“. Telemanns Suite beginnt mit einer französischen Ouvertüre, deren Beginn die typischen punk- tierten Rhythmen aufweist, bevor sich ein zen- traler fugierter Teil anschließt. Nach seinen ers- ten unglücklichen Abenteuern wird Don Qui- chotte von einem Mann aus seinem Dorf gefun- den, der ihn wieder nach Hause bringt. Wäh- rend er schläft, versuchen der Priester und der Dorfbarbier die Bücher aus dem Weg zu schaf- fen, die die Ursache von Don Quichottes Phan- tasiegebilden sind, indem sie den Raum, in dem sich die Bücher befinden, durch eine Wand ver- schließen. Als er erwacht, wundert sich Don Quichotte über das Verschwinden des Zimmers. Doch bald versichert er sich der Dienste eines Knappen in Gestalt des Sancho Pansa, der ein Element von bodenständigem, gesundem Men- schenverstand in sein Leben bringt. In seinem ersten neuen Abenteuer hält Don Quichotte Windmühlen für Riesen, die er angreifen will, wobei jedoch seine Lanze an einem Mühlenflü- gel zerbricht. Seine Liebesseufzer für die Phan- tasiegestalt seiner Geliebten, Dulcinea del Tobo- so, werden musikalisch durch konventionelle instrumentale Seufzer ausgedrückt. Sancho Pansa gerät durch seinen Herrn in verschiedene schwierige Situationen; er wird von Don Qui- chottes Gegnern geschlagen, und bei dem Ver- such, ein Gasthaus zu verlassen, in dem sein Herr die Zeche nicht gezahlt hat, festgehalten und in ein Bettlaken gestopft. Don Quichottes elendes Pferd Rosinante charakterisiert Tele- mann in einem Satz, der die Beschreibung von Sancho Pansas Esel einrahmt. Die Suite klingt mit dem wieder nach Haus zurückgekehrten und eingeschlafenen Don Quichotte aus. Die Kantate „Der Schulmeister“ gilt als eine der frühesten inhaltlichen Auseinandersetzung eines Komponisten mit dem Thema Schule. Georg Phi- lipp Telemann (1681–1767), der selbst am Ham- burger Johanneum Latein und Musik unterrich- tete, war die Tätigkeit des Lehrers vertraut. Es ist daher anzunehmen, dass er bei der inhalt- lichen Gestaltung seiner kurzweiligen Kompo- sition auf einen eigenen Erfahrungsschatz zu- rückgreifen konnte. Ziel seines Spotts sind aber nicht die Schüler, sondern der selbstverliebte Lehrer, der den Unterricht als Bühne zur über- höhten Darstellung seiner Person benutzt. Dabei gerät die eigentliche Unterrichtsstunde schnell ins Hintertreffen, und die Schüler müs- 37 Erinnerung an die Tage Alter Musik 1993: Piffaro im Reichssaal Erinnerung an die Tage Alter Musik 1994: Sonatori De La Gioiosa Marca in der St.-Oswald-Kirche

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