Tage Alter Musik – Programmheft 2014

T AGe A LTer M usik r eGensburG J uni 2014 tionalen Stil in den Künsten zu schaffen, einen Stil, der einzigartig hispa- nisch war und der bis heute existiert. Aus seiner Position der politischen Vormacht verbreitete das Spanien des 17. Jahrhunderts seine Macht ebenso wie sein reiches Kulturerbe in ver- schiedene koloniale Vorposten auf der ganzen Welt. Musiker wanderten aus in ferne koloniale Zentren zum Dienst in katholischen Missionen und Kathedralen sowie an den Höfen der spanischen Vizekönige. Dabei wurde auch die spanische musikalische Sprache verbreitet und oft von diesen lo- kalen Kulturen absorbiert. Unser Konzert präsentiert eine Auswahl von Werken, die das reiche musikalische Repertoire und die engen kulturellen Verbindungen zwischen Spanien und den wichtigsten dieser Kulturen, nämlich den in Lateinamerika und Italien gelegenen, demonstrieren. Wir fangen an mit der zutreffend betitelten Symphonia para empezar „Sym- phonia zum Anfangen“. Dieses kurze Werk, dem großen Cembalisten Domenico Scarlatti zugeschrieben, stammt aus einer Handschrift, die in der Biblioteca Catalunya gefunden wurde. Aus seinem Titel kann man schließen, dass es höchstwahrscheinlich eine kurze Introduktion zu einem Theaterstück war, möglicherweise ein Intermezzo oder eine Zarzuela. Scarlatti, der die italo-hispanische kulturelle Verbindung personifiziert, wurde im Königreich Neapel geboren und verbrachte einen großen Teil seines Lebens im Dienste der portugiesischen und spanischen Königsfa- milien. Obwohl er zahlreiche Stücke für das Theater komponierte, ist nur eines, nämlich La Dirindina , vollständig erhalten. Man kann nur hoffen, dass eines Tages das Werk, dem diese kurze Symphonia zugeordnet war, wiederentdeckt wird. Das vorherrschende spanische Vokalgenre des 17. Jahrhunderts war Tono humano. Es waren weltliche Lieder, die eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Villancico des 16. Jahrhunderts aufwiesen, d.h. sie bestanden aus Estribillos (Refrains), die mit Coplas (Versen) alternierten. Zu dieser Zeit bezeichnete der Terminus „Villancico“ fast immer eine geistliche oder halbgeistliche Komposition mit einer ähnlichen Struktur. Zusätzlich war der italienische monodische Stil mit Basso-continuo-Begleitung jetzt auch die Norm in Spanien geworden, und die meisten Tonos waren auf diese Art komponiert. Ihre beste Schaffensperiode hatten innerhalb der reichen kulturellen Um- gebung des Habsburger Hofes im 17. Jahrhundert zwei Musiker, die für ihre Tonos humanos berühmt waren: Juan Hidalgo (1614-1685) und José Marín (1619-1699). Der letztere war Gitarrist mit einer ziemlich „unerfreu- lichen” Vergangenheit. Obwohl er ordinierter Priester war, wurde er 1654 wegen Diebstahls eingesperrt und war zwei Jahre später in eine weitere Raub/Mord-Geschichte verwickelt, für die er gefoltert und inhaftiert wurde. Doch er war ein außergewöhnlich produktiver Komponist von Tonos humanos, und sein Nachruf pries seine Fähigkeiten als Musiker und Komponist. Maríns Werke sind charakterisiert durch einen leidenschaftli- chen Stil, der oft verbunden ist mit Metrumswechsel und einem großzügi- gen Gebrauch von Chromatizismen. Er komponierte seine Tonos in einem monodischen Satz mit Basso continuo; dazu ist er einer der wenigen Kom- ponisten, die uns Gitarrentabulatur-Begleitungen zu ihren Werken hinter- lassen haben. Hidalgo war als Hofharfenist von 1632 bis zu seinem Tode tätig und auch verantwortlich für die Kammermusik des Palastes. Aber am bekanntesten wurde er durch seine Verbindung mit dem Stückeschreiber Calderón. Hidalgo hinterließ uns ein wunderschönes Repertoire an Zarzue- las, Opern und Tonos humanos. Wie nunmehr wohldokumentiert ist, wurzelte die spanische Instrumental- musik des 17. Jahrhunderts in der Kunst der Improvisation. Damals wie heute improvisierten Musiker oft über harmo- nische „Standard“-Muster oder „Ak- kordveränderungen”. Eine der in Spa- nien am meisten ausgebeuteten war die der Folia , die die meisten anderen Kulturen als die Spanische Folia bezeichnen. Die Folia im heutigen Pro- gramm ist ein anonymes Werk, das aus einer in der Nationalbibliothek in Madrid aufbewahrten Handschrift stammt. Da es zu diesem Werk keine Begleitstimme gibt, habe ich im Geiste der spanischen improvisatorischen Tradition eine ergänzt, um die Violinstimme zu begleiten. Das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch beherrschte Spanien weite Gebiete der italienischen Halbinsel, darunter das gesamte Gebiet südlich von Rom ebenso wie die Gegend umMailand herum. Und viele spanische Komponisten studierten in Italien und/oder ließen ihre Werke dort veröf- fentlichen. Aus Rom und dem Vizekönigtum von Neapel spielen wir Werke von Juan Arañes, Francesco Manelli, Luigi Mazzochi, Andrea Fal- conieri und Georg Friedrich Händel. Arañes studierte in Alcalá de Henares, und im Jahre 1623 begleitete er den neuernannten spanischen Botschafter am Heiligen Stuhl, Ruy Gómez de Silva y Mendoza, Herzog von Pastrana, nach Rom. Im folgenden Jahr ver- öffentlichte er das Libro segundo de tonos y villancicos für eine bis vier Stim- men und Gitarre in Rom. Parten las Galeras , ein Werk von subtiler Selbst- beobachtung und komponiert in der traditionellen spanischen Villancico- Form, entstammt dieser Sammlung. Die mehr italienischen Barocktraditionen spiegeln die Werke von Frances- co Manelli und Luigi Mazzochi wider, die beide in Rom geboren, aufgezo- gen und ausgebildet wurden. Doch in dieser Umgebung trafen sie sicher auf spanische Tanzformen und Stile, die in Italien ganz groß in Mode kamen. Besonders ein spanischer Tanz, die Ciaconna , wurde regelmäßig von italienischen Komponisten genutzt. Die Ciaconna (chacona auf Spani- sch) entstand gegen Ende des 16. Jahrhunderts sehr wahrscheinlich in der spanischen Volkskultur der Neuen Welt. Obwohl keine Beispiele aus die- ser Periode erhalten sind, zeigen Hinweise bei Cervantes, Lope de Vega, Quevedo und anderen Schriftstellern, dass es ein Tanzlied war, das mit Dienern, Sklaven und Amerindianern [Amerindians] in Verbindung ge- bracht wurde. Es wurde oft wegen seiner lasziven Gesten und respektlo- sen Texte verboten und traditionell von Gitarren, Tambourins and Kas- tagnetten begleitet. Acceso mio core von Manelli ist eine Ciaconna von einer mehr zurückhalten- den Art. Sie ist ein Werk von reiner Schönheit, die sich in einer Sequenz von Versen und Klängen entfaltet, die den Hörer betören. ImGegensatz dazu ist Sdegno campion audace von Mazzochi ein fesselndes Werk, das den Zuhörer fasziniert und dem Sänger außergewöhnliche Virtuosität abverlangt. Es ist überwiegend in einem mehr deklamatorischen, monodischen Stil kompo- niert, enthält jedoch im Inneren eine schwungvolle Ciaconna. Die wichtigste Stadt unter direkter spanischer Herrschaft während des 17. und 18. Jahrhunderts war Neapel. Als Sitz der Macht des spanischen Vize- königs und Heimat des großen spanischen Malers Zubarán kultivierte Nea- pel auch eine hybride italienisch/spanische Musikästhetik. Wichtige Beiträ- ge dazu kamen von dem Komponisten Andrea Falconieri (1585-1656), der dort geborenwurde und auch starb. Von 1639 bis 1647 diente er als Lautenist in der königlichen Kapelle, und von 1647 bis zu seinem Tode war er deren Maestro di capella. Seine instrumentale Sammlung von 1650 enthält eine fan- tastische Kollektion von Instrumentalwerken, deren jedes einem Mitglied des spanischen Adels, das zu dieser Zeit in Neapel lebte, gewidmet ist. Der spanische Einfluss auf in Neapel lebende Komponisten dauerte im frühen 18. Jahrhundert an. Und im Jahre 1708 geriet der große Georg Friedrich Händel unter seinen Bann, während er No se emenderá jamas, eines seiner wenigen Werke auf Spanisch und das einzige Werk, das aus- drücklich den Gebrauch einer Gitarre verlangt, komponierte. Das kurze Werk besteht aus zwei Da-capo-Arien, die durch ein Rezitativ getrennt sind. Obwohl das Stück imAufbau italienisch beeinflusst ist, zeigt Händel seine außerordentliche Fähigkeit, in jedem nationalen Stil zu komponie- ren, indem er es mit charakteristisch spanischen Rhythmen und Harmo- nien ausstattet. 43 Cover der CD “The Kingdoms of Castille” von El Mundo

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