Tage Alter Musik – Programmheft 2014

Zum Programm: Ein Großteil der in diesem Konzert vorgestellten Musik des ausgehenden 14. Jahrhunderts stammt aus den zwei bedeutendsten Quellen für dieses Repertoire, den Codices von Faenza und London. Während die monopho- ne und polyphone Instrumentalmusik des Spätmittelalters meist durch Gruppierungen verschiedenster Instrumente dargeboten wird, demons- triert Corina Marti, dass es nicht mehr als eines einzigen überzeugenden In- terpreten bedarf, um diese exquisite Musik zu neuem Leben zu erwecken. Corina Marti macht sich auf die Suche nach den entzückenden Blumen (Jacopo da Bologna), die in jenen zwei verschiedenen Welten der spätmittelalterli- chen Musik, der polyphonen und der monophonen, verborgen liegen. Dabei erzeugt sie eine bemerkenswerte Vielfalt, indem sie den Klang ver- schiedener Blockflöten (inklusive der Doppelflöte) dem eines Clavisimba- lums (der Rekonstruktion einer Frühform des Cembalos) gegenüberstellt. PiÙ beL son Di queL MAi non VeDuTo! Es war wie ein Traum: Zur Weihnachtszeit – etwa im Jahre 1420 – treffen sich junge Edelleute zu einem mehrtägigen Fest am Hofe von Pierbaldo, dem Herrn von Buongoverno. Sie feiern und tafeln, zu ihrem fröhlichen Zeitvertreib erfinden sie Spiele, sie jagen, sie tanzen und musizieren. Raf- finierte Speisen und Musikinstrumente in unendlicher Fülle werden her- beigebracht, um die schönste Musik darzubieten. So überwältigend herr- lich und prächtig gestaltet sich das Fest, dass ein Augenzeuge schließlich in den verzückten Ruf ausbricht: „Einen schöneren Klang als diesen habe ich nie gesehen“. Es war ein Traum. Simone Prudenzani d’Orvieto (ca. 1355–1440) imaginierte diese Szene und beschrieb sie in Sonettform in einem umfangreichen Gedicht Il saporetto . Zu den besonders interessanten Informationen, die Prudenzani in seiner opulenten Festbeschreibung liefert, gehört sicher jene Beschreibung, die der Verwendung der Musikinstrumente gewidmet ist. Wie üblich werden alle möglichen seinerzeit bekannten Musikinstrumente aufgezählt, doch wird bei Prudenzani deutlich, dass die genannten Musikstücke sowohl gesungen als offenbar auch rein instrumental gespielt wurden. Beispiels- weise heißt es im Sonett 28 und 29, dass eines Abends nach der Vigil auf Orgeln zunächst einige geistliche Kompositionen gespielt wurden, dann aber „ausseglassene Klänge“ ertönten, worauf eine Reihe von Titeln auf- gelistet wird, die in Musikhandschriften als vokale Kompositionen über- liefert sind, u. a. das anonyme Du’ ançoliti . Eine solche rein instrumentale Darbietung ist tatsächlich auch durch einige weitere Quellen bezeugt, wie vorwiegend durch den berühmten Codex Faenza, benannt nach seinem heutigen Aufbewahrungsort (Biblioteca comunale Ms. 117). Angelegt wurde diese Pergamenthandschrift, fast zeitgleich mit Prudenzanis Text, zwischen 1410 und 1420 irgendwo in Norditalien. Die von Prudenzani in Il Saporetto genannten Lieder sind oftmals komple- xe Kompositionen, die die zugrundeliegenden Texte kunstvoll vertonen. Im Codex Faenza scheint die Musik meist ein eigenes „Leben“ erhalten zu haben. Die kunstvollen Wiederholungsformen der Madrigale und Ballate werden nicht berücksichtigt, die Stücke laufen im Gegenteil meist von Anfang bis Ende durch. Oftmals sind die Verzierungen und Diminutio- nen der Oberstimme so reichhaltig und dicht, dass die ursprüngliche Me- lodie fast oder gar nicht im Hörbild wiederzuerkennen ist. Bei Jacopo da Bolognas Aquila altera etwa handelt es sich ursprünglich um ein Madrigal mit drei parallel erklingenden Texten, ein kunstvolles Preislied, vielleicht auf Gian Galeazzo Visconti, mit subtilen Anspielungen auf Dantes Divina Commedia. Zu hören ist dies in der Intabulierung nicht, genauso wenig wie bei der komplexen Ballata Un fior gentil m’apparse von Antonio Zacara da Teramo, die im Codex Faenza ohne jeden Hinweis auf ihre Vorlage ein- getragen wurde. Damit gewinnen die Intabulierungen eine ganz eigene, sozusagen musikalisch-instrumentale Dimension. Es tritt der Dialog zwi- schen den Stimmen mit seinen manchmal verspielten, manchmal kühnen Wendungen der Oberstimme in den Vordergrund. Prudenzani erwähnt zudem Musikstücke, die auch im Codex Faenza no- tiert wurden, wie etwa das Madrigal von Jacopo da Bologna: “ I mi son un che per le frasche andando, Vo’ pur cercando dilettosi fiori, per far girlanda a mi de novi odori.” – Ich bin einer, der im Grünen wandelnd immer nach köst- lichen Blumen sucht, um mir Girlanden mit neuen Gerüchen zu machen. © Corina Marti, Martin Kirnbauer T AGe A LTer M usik r eGensburG J uni 2014 47 ägidienkirche 1210 übergab Herzog Ludwig I. von Bayern dem Deutschen Orden eine kleine, aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirche, die Vorläuferin der heutigen Ägi- dienkirche. Die jetzige Ägidien- kirche ist keine einheitliche Schöpfung. Ihre Bauphasen rei- chen vom ausgehenden 13. Jahr- hundert bis in das beginnende 15. Jahrhundert. Trotz mannigfacher Renovierungen im 19. und 20. Jahrhundert zeigt sie ein erstaun- lich geschlossenes Bild eines hoch- bis spätgotischen Baus. In der Innenausstattung beste- chen die zahlreichen Epitaphien, die zumeist die Erinnerung an ehemalige Mitglieder der frühe- ren Deutschordenskomturei wachhalten. Im Zuge der Säkularisation ver- lor die Kirche ihre Funktion einer Pfarrkirche des Deutschen Or- dens. Mit der Umwandlung der alten Komtureigebäude in ein Krankenhaus wurde es 1837 zur Kirche dieser Institution. Heute gehört sie zu einemAltenheim, in das die alten Komtureigebäude im 20. Jahrhundert umgebaut wurden. P roGrAMM A nonYM Kyrie A nonYM Ghaetta A nonYM Du’ançoliti A nonYM , nACH b ArToLino DA P ADoVA In perial sedendo (ca. 1365 – ca. 1405) D on P AoLo DA F irenZe Era Venus (ca. 1355 – ca. 1436) A nonYM , nACH J ACoPo DA b oLoGnA Aquila altera (ca. 1340 – ca. 1386) G HerArDeLLo DA F irenZe Per non far lietto (ca. 1320-ca. 1363) A nonYM Saltarello A nonYM , nACH J ACoPo DA b oLoGnA Io me son uno che per le frasche A nonYM , nACH A nTonio Z ACArA DA T erAMo Un fior gentil (ca. 1350- ca.1416) A nonYM Ohne Titel G uiLLAuMe De M ACHAuT Puis que ma (ca. 1300 – 1377) dolour G uiLLAuMe De M ACHAuT Quant je suis mis au retour A nonYM Saltarello A nonYM Ohne Titel Quellen: Faenza, Biblioteca Comunale, MS 117 London, British Library, MS Add 29987 Paris, Bibliothèque nationale, fonds italien 586 Firenze, Biblioteca Medicea-Laurenziana, Palatino 87 Paris, Bibliothèque nationale, fonds français 1584

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