Tage Alter Musik – Programmheft 2015

setzte sie ihre musikalischen Studien fort, um später unter der Leitung von Stefano Fiuzzi an der Accademia Internazionale in Imola die Masterprü- fung in Hammerklavier abzulegen. Den „Doctor of Musical Arts“ in „His- torical Performance Practice“ erlangte sie an der Cornell University in New York bei Malcolm Bilson, wo sie von 2006 bis 2008 als Assistentin für Klavier tätig war. Seit April 2013 hat Stefania Neonato eine Professur für Hammerklavier an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart inne. Im Jahr 2007 war Stefania Neonato Preisträgerin beim Internationalen Wettbewerb für Hammerklavier “Musica Antiqua” in Brügge, wo ihr auch der Publikumspreis zugesprochen wurde. Seither ist sie gern gesehener Gast bei den großen europäischen wie nordamerikanischen Festivals (Flan- dern-Festival in Brügge, Styriarte in Graz, Printemps des Arts in Nantes, Festival Mozart in Rovereto, Klara Festival in Brüssel, Festival Alte Musik Knechtsteden, Boston Early Music Festival, Kölner Fest für alte Musik) und bei namhaften Konzertreihen zu hören (Münster-Erbdrostenhof, Bologna- Accademia Filarmonica, Brescia-Teatro Grande, Firenze-Accademia Barto- lomeo Cristofori, Amici della Musica di Padova, Madrid-Fundacion Juan March, Cornell Concert Series, Boston-Tufts University, Roma - Oratorio del Gonfalone). Ihr Repertoire reicht von der Wiener Klassik bis zur Spät- romantik und wird belegt durch bemerkenswerte Einspielungen sowohl solistischer Werke (Mozart, Haydn, Clementi, Beethoven - Label Orange- HomeRecords) als auch von Kammermusik (Schubert, Beethoven, Hum- mel, Weber mit dem Flötisten Fabio de Rosa – Label Dynamic). Im musikwissenschaftlichen Bereich widmet sich Stefania Neonato der Verfassung von Texten und Essays für Early Music (Oxford Journals), Key- board Perspectives (Westfield Center) sowie www.musicandpractice.org. Darüberhinaus leitet sie Meisterkurse und Seminare für Hammerklavier und historische Klaviere. Im Jahr 2012 wurde sie zu dem 1. Internationalen Wettbewerb für Hammerklavier „G. G. Ferrari“ in Rovereto als Jurymit- glied berufen. Zu ihrer Instrumentensammlung zählen der Nachbau eines „Walter und Söhne“-Hammerflügels um 1805 (McNulty, 2008) sowie Hammerklaviere von Conrad Graf (1819), Joseph Brodmann (1790), Böhm (1827), ein Stodart “square” (1830), Pleyel (1841) und Erard (1853). zum Programm: zwischen stockholm und Wien, „großen“ und „kleinen“ Meistern: Ein unterhaltsamer streifzug durch klassische Orchestermusik Wenn wir heute die Namen Mozart, Vanhal, Wranitzky und Kraus vereint auf einem Konzertprogramm lesen, dann ziehen wir vermutlich automa- tisch eine imaginäre Linie: zwischen dem Jahrhundertgenie Mozart, das nun wirklich jeder kennt, und den weitgehend unbekannten übrigen Namen von Komponisten der sogenannten „zweiten Reihe“. Diese mu- sikgeschichtliche Hierarchie ist natürlich in der Perspektive der Nachwelt entstanden. Unsere emphatische Überhöhung der „großen Komponisten“ gegenüber den „Kleinmeistern“ nahm man als Zeitgenosse nicht vor. Schlaglichtartig wird das etwa in jener berühmten Szene um 1784 klar, als sich Haydn und Mozart mit Dittersdorf und eben jenem bereits genann- ten Vanhal zum Streichquartettspiel zusammenfanden. Die Namen dieser Musikanten standen allesamt – auch wenn sie von der Gunst heutiger Hörer sehr unterschiedlich bedacht werden –für zeitgenössische Musik höchsten Niveaus. Und nicht nur Mozart, sondern auch Vanhal, Wranitz- ky und Kraus erreichten zu ihren Lebzeiten – zumindest streckenweise – die Weihen höchster Wertschätzung durch Publikum und Kollegen: Der illustre reisende Musikschriftsteller Charles Burney schrieb etwa über Vanhals Symphonien, sie hätten in ihm „ein so ungemeines Vergnügen er- weckt, daß ich nicht anstehen möchte, solche unter die besten und voll- kommensten Kompositionen für viele Instrumente zu zählen“. In Joseph Martin Kraus sah Carl Philipp Emanuel Bach das Potential, „einer der Großen auf dem Gebiet unserer Musik zu werden. In manchem ziehe ich ihn Mozart vor.“ Die posthume Rezeption aber mit ihren Veränderungen in musikalischem Geschmack, Ästhetik und musikhistorischer Schwerpunktsetzung fällte höchst unterschiedliche Urteile über die Komponis- ten, so dass man heute die Aufzählung Haydn–Mo- zart–Beethoven für natür- lich, die Reihe Mozart– Vanhal–Wranitzky–Kraus aber für gewöhnungsbe- dürftig halten könnte. Ein Blick in die Musikerbiogra- phik des 18. Jahrhunderts zeigt, dass man diese diver- gente Entwicklung auch damals schon bewusst wahrnahm und nach Erklä- rungen dafür suchte. In sei- nen Musicalischen Charak- terköpfen zum Beispiel kon- statierte Wilhelm Heinrich Riehl 45 Jahre nach Paul Wranitzkys Tod, dieser habe „den leibhaftigen Hanswurst in die Symphonie“ gebracht, was den modernen, mit Beetho- vens und Mendelssohns Sinfonik vertrauten Hörer befremden müsse. Eben weil sich das Konzert des Ensembles Musica humana 430 und der Pianistin Stefania Neonato nicht auf die Autorität der „großen Namen“ beschränkt, können wir ohne die standardmäßige Vorauswahl ein Pano- rama wahrnehmen, das der Musikwelt des letzten Drittels im 18. Jahr- hundert sehr nahekommt. Ein Zeitgenosse hätte die anfangs angespro- chene imaginäre Linie wahrscheinlich so gezogen, dass nicht Mozart, son- dern Johann Baptist Vanhal (1739–1813) sich von den übrigen abgehoben hätte. Mozart, Wranitzky und Kraus ent- stammten derselben Generation, ja sogar demselben Jahrgang: 1756. Vanhal war etwa eine halbe Generation älter und hatte seine Wurzeln noch in den letzten Ausläufern des Barock. Seine Wendigkeit in der Wahl der Gattungen und seine Sensibilität für den Zeitgeschmack sorg- ten dennoch dafür, dass seine Musik bis zum Ende seines Lebens und auch noch einige Jahre danach ihr Publikum fand. Seine Biographie weist bis heute einige Lücken und unbeantwortete Fragen auf, zeichnet aber auch so einen be- merkenswerten Lebenslauf nach: Jan Křitel Vaňhal wurde im böhmischen Nechanice in eine Familie leibeigener Bauern geboren. Kraft seines musi- kalischen Talents gelang es ihm, sich eine selbständige Existenz als Musi- ker und Komponist aufzubauen und sich aus der Leibeigenschaft freizu- kaufen. Einen Kapellmeisterposten scheint Vanhal – noch untypisch für die Zeit – nicht angestrebt zu haben. In Wien – wo er die tschechische Schreibweise seines Namens in „Wanhal“ geändert hatte, um sie behut- sam an deutsche Schreibgewohnheiten anzupassen – machte er sich in den 1770er Jahren als Sinfoniker schnell einen hervorragenden Namen und zählte bald europaweit zu den führenden Komponisten. Vanhal be- diente praktisch alle Gattungen und Besetzungen, die die damalige In- strumentalmusik zu bieten hatte, und komponierte auch zahlreiche geistliche Werke, darunter mehr als 60 Messen. Seine Klaviersonatinen und -etüden hat- ten noch jahrzehntelang ihren Platz in der bürgerlichen Hausmusik, als seine großformatigen Werke bereits den Verän- derungen des Publikumsgeschmacks zum Opfer gefallen waren. Wie Vanhal stammte auch der fünf Jahre jüngere Paul Wranitzky (1756–1808) aus T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 19 Johann Baptist Vanhal Nachbau eines Walter-Hammerflügels von Christoph Kern Paul Wranitzky

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=