Tage Alter Musik – Programmheft 2015

zum Programm: Macht und Musik haben sich schon immer gegenseitig beeinflusst. Das Be- dürfnis nach Zurschaustellung ihrer kulturellen Relevanz bewog die euro- päischen Fürstentümer die gesamte Geschichte hindurch dazu, sich eigene Orchester undMusiker an ihre Stammsitze zu holen. 1637, mitten imDreißig- jährigenKrieg, übernahmKaiser Ferdinand III. die Krone des Heiligen Römi- schen Reiches Deutscher Nation. Mit der Krönung Ferdinands, der selbst als Komponist in Erscheinung trat, begann ein goldenes Zeitalter der Musik am Habsburger Kaiserhof in Wien, das auch unter seinen Nachfolgern Leopold I. und Joseph I. fortgeführt wurde und erst mit dem Tod Kaiser Karls VI. im Jahre 1740 endete. Unter der Ägide dieser Kaiser entwickelte sich Wien zu einem internationalen Zentrum der Künste. So verzehnfachte sich etwa die Zahl der aufgeführten Opern und Oratorien von 1635 bis 1675. Das Programm des Ensemble Stravaganza aus Frankreich gibt mit instru- mentalen Stücken von vier Komponisten einen Einblick in das Musikleben an diesem kulturell aufgeschlossenen Hof. Mit Musik von Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Jakob Froberger, Johann Heinrich Schmelzer und Gio- vanni Antonio Pandolfi Mealli erschließen sich dem Zuhörer barocke Klän- ge bekannter wie auch weniger bekannter Komponisten, die letztendlich alle von einem weitreichenden Geflecht aus Kontakten und Verbindungen am Habsburger Hof profitierten. Bemerkenswert erscheinen bei Betrach- tung der Komponisten ihre unterschiedlichen Herkunftsländer. Biber stammt aus Böhmen, Schmelzer wurde in Scheibbs in Niederösterreich ge- boren, Froberger in Stuttgart und Pandolfi Mealli in der Toskana. Man kann wohl behaupten, dass der Habsburger Hof damals als kreativer Schmelztie- gel vieler musikalischer Strömungen und Kulturen fungierte. Johann Jakob Froberger (1616-1667), dessen Hauptinstrument die Orgel war und der hauptsächlich Musik für Orgel und Cembalo komponierte, übte einen großen Einfluss auf das Schaffen Johann Sebastian Bachs, Johann Pa- chelbels undGeorgMuffats aus. Die vomCembalisten Thomas Soltani vorge- tragene „Lamentation über den Tod Kaiser Ferdinands III.“ (FbWV 633), das einzige Soloinstrumentalwerk im Programm, zeigt schon im Titel die enge Verbindung zwischen demHerrscher und Froberger, der dieses Werk zur Er- innerung an den Tod des eingangs genanntenGönners komponierte. Obwohl es in F-Dur steht, wohnt diesem Werk durch seine Thematik der Geist einer eigenartig schwermütig wirkenden Harmonik inne. In barocken Lamentatio- nen galt es zudem als Stilmittel, die Wertschätzung für den Besungenen mu- sikalisch subtil zu symbolisieren: eine aufsteigende Tonfolge zum Ende des Stückes wünscht demGönner den Aufstieg in den Himmel. Zur selben Komponistengeneration wie Froberger gehört auch der 1623 geborene Johann Heinrich Schmelzer († 1680), der neben seiner Funktion als Violinist und Ka- pellmeister als bedeutender Komponist von Instrumentalmusik galt. Kaiser Leo- pold I. selbst schätzte ihn als Komponisten so sehr, dass er sich für seine eigenen kom- positorischen Versuche bei ihm Rat holte. Schmelzers Schaffen ebnete zudem der Entwicklung der Suite und der Sonate den Weg. In der zu hörenden „Sonata Tertia“ in g-Moll aus der Sammlung Sonatae unarum fidium von 1664 ist der Fokus klar auf das Hauptinstrument des Komponisten gerichtet, die Violine. Bei dieser Sonate handelt es sich um Variationen über eine Bassmelodie. Schmelzer legt dabei einen Schwerpunkt auf virtuose Linien, die sich mit kantablem Material abwechseln. Beim Zuhören lohnt es sich daher darauf zu achten, wie sich diese beiden Elemente ergänzen. Der wohl bekannteste der vier gespielten Komponisten ist Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704), welcher wiederum ein Schüler von Schmelzer war. Von ihm wer- den zwei Sonaten aufgeführt, von denen eine aus den bekannten Rosenkranzsona- ten stammt (Nr. 10 in g-Moll). Bemerkens- wert an diesemWerk, das auch unter dem Titel „Mysteriensonaten“ bekannt ist, ist vor allem der Einsatz der soge- nannten „Skordatur“: Durch die absichtliche Änderung der Stimmung ein- zelner Saiten lassen sich besondere Klänge auf der Violine realisieren. Die Rosenkranzsonaten, denen jeweils ein Bild aus dem Leben Jesu und Mariä vorangestellt ist, lassen sich in drei Gruppen unterteilen: „freudenreich“, „schmerzhaft“ und „glorreich“. Die Sonate Nr. 10 trägt die Bezeichnung „Kreuzigung“ und fällt damit in die Kategorie der schmerzhaften Lebens- stationen. Die Schwere der Molltonart und ein facettenreiches, dramati- sches Spiel der Violine sind dem Leiden Jesu und der zentralen Bedeutung der Kreuzigung nachempfunden. Ein besonderes Kleinod stellt zuletzt die SonataOpus 3Nr. 4 ( „La Castella“ ) des weitgehend unbekannten Komponisten Giovanni Antonio Pandolfi Mealli (um 1624-1687) dar. Über sein Leben ist recht wenig bekannt; Einspielungen seiner Werke sind selten. Als Meallis zentraler Wirkungsort gilt eher Inns- bruck alsWien, und auch seineMusik unterscheidet sich in ihrerWirkung bis- weilen deutlich von den Stücken zeitgenössischer Komponisten, da sie sich durch eine untypische Farbigkeit imAusdruck sowie eine ungewöhnliche Be- handlung von Dissonanzen auszeichnet. Diese Merkmale sind auch in „La Castella“ zu finden. Hier offenbart sich dies vor allem in der virtuos geführten Violine mit ihren vielenAkkordbrechungen und eleganten Läufen, aber eben- so nachdenklichen und introspektivenMomenten. © KonstantinMorjan, UR T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 25 P ROGRAMM ROGRAMM J OHAnn H EinRiCH s CHMELzER Sonata tertia aus Sonatae unarum (1623-1680) fidium seu a violin solo, 1664 H EinRiCH i GnAz f RAnz b ibER Sonate Nr. V e-Moll aus Sonatae (1644-1704) a violin solo , Nürnberg, 1681 H EinRiCH i GnAz f RAnz b ibER Sonate Nr. 10 g-Moll, „Kreuzigung“, aus den Rosenkranzsonaten , 1678 J OHAnn J AkOb f RObERGER Lamentation faite sur la mort très (1616-1667) douloureuse de sa majesté Imperial Ferdinand le troisième; et se joue lentement avec discrétion (Cembalo solo) G iOVAnni A nTOniO P AnDOLfi M EALLi (um 1620 – 1669) Sonata opus 3 Nr. 4, „La Castella“ H EinRiCH i GnAz f RAnz b ibER Sonate Nr. III F-Dur aus Sonatae a violin solo, Nürnberg, 1681 Wir danken der Meisterwerkstätte für historische Tasteninstrumente, Detmar Hungerberg, 42499 Hückeswagen, für die freundliche Bereitstellung des Cembalos. Wir danken der Meisterwerkstätte für Orgelbau, Markus Harder-Völkmann, 85579 Neubiberg, für die freundliche Bereitstellung der Truhenorgel. A usfüHREnDE E nsEMbLE s TRAVAGAnzA Domitille Gilon Violine Ronald Martin Alonso Viola da gamba Etienne Galettier Theorbe Matthieu boutineau Orgel Thomas soltani Cembalo H. I. F. Biber J. H. Schmelzer

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