Tage Alter Musik – Programmheft 2015

Zum alten Stil gehört – neben dem polyphonen Satz – u. a. die Verwen- dung eines Cantus firmus bei jedem Psalm, im Hymnus und im Magnifi- cat . Konkret bedeutet diese Technik, dass die entsprechende Choralmelo- die, die meistens in der Tenorstimme zitiert wird, die Grundlage der Kom- position bildet. Zum alten Stil gehört auch die Verwendung der Falsobor- done-Technik, eine Reminiszenz an das Spätmittelalter bzw. die Frühre- naissance, die festlegt, dass in einem dreistimmigen Kontext die Stimmen homophon – d. h. im gleichen Rhythmus – fortschreiten und die beiden unteren Stimmen im Quart- bzw. Sextintervall zur oberen Stimme folgen. Bei Dixit Dominus ist die Verwendung der Falsobordone-Technik dort ein- deutig zu erkennen, wo alle Stimmen gleichzeitig denselben Text singen; diese sehr deklamatorische Art des musikalischen Vortrags wurde bereits in der Renaissance angewendet, um besonders traurige oder ausdrucks- volle Momente zu betonen und eine starke Wirkung zu erzielen. Merkmale aus der venezianischen Kompositionstechnik sind gleichfalls vorhanden, wie z. B. die Doppelchörigkeit des Psalms Nisi Dominus , wäh- rend man aus der Opernkomposition übernommene Elemente gleich im ersten Stück, dem Einleitungsversikel Domine ad adjuvandum, findet. Ein- deutig ist hier nämlich der Bezug zur Toccata, die Monteverdis L‘Orfeo er- öffnet: Das kurze Instrumentalwerk zu Beginn des Theaterstücks wurde übernommen und für den Text des Einleitungsversikels bearbeitet, ohne jedoch den feierlich schallenden Effekt der L‘Orfeo -Toccata, die amAnfang der Vesper wie in der Oper dreimal erklingen soll, abzuschwächen. Wichtige kompositorische Elemente des modernen Stils sind – neben den erwähnten Merkmalen aus der Opernkomposition – die Akkordbeglei- tung der Monodie ( Dixit Dominus ), die Instrumentalritornelli ( Dixit Domi- nus ), tänzerische Abschnitte, die den polyphonen Satz unterbrechen ( Lau- date pueri ), der Duettstil ( Magnificat ), die Echoeffekte (im Gloria des Magni- ficat ) und die ostinaten Bässe ( Laetatus sum ). Ein brillanter Musiker und Musikwissenschaftler, ein hervorragendes und erfahrenes Ensemble, ein vierhundert Jahre altes und berühmtes, je- doch in gewisser Hinsicht noch unbekanntes Werk sowie eine ungewohn- te Aufführung, die beabsichtigt, manches zu berichtigen: Das sind die Be- standteile der heutigen drei Konzerte, die zweifellos einen besonderen Platz in der Aufführungsgeschichte einnehmen werden. © Maria Grazia Nardelli, UR T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 29 Concerto Palatino beim letztjährigen Festival in der Dominikanerkirche Magnificat: Auszug aus dem Alt-Stimmbuch

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