Tage Alter Musik – Programmheft 2015

Mónica Waisman absolvierte ihr Violinstudium am Oberlin College im US-Bundesstaat Ohio bei Marilyn McDonald sowie bei Elizabeth Wallfisch am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Sie begann ihre Karriere als Barockgeigerin bei einigen der bekanntesten europäischen Ensembles und Orchestern der Alten Musik, mit denen sie auf Tourneen durch die ganze Welt unterwegs war und mit denen sie an vielen verschiedenen Aufnah- men des europäischen Standardrepertoires mitgewirkt hat. Derzeit spielt sie neben Harmonie Universelle regelmäßig Konzerte in Europa, Nord- und Südamerika mit dem Ensemble Musica Temprana, mit dem sie erst kürzlich wiederentdeckte Schätze der Musikliteratur des 18. Jahrhunderts aus Lateinamerika aufgenommen hat. Weiterhin ist sie immer wieder als Kammermusikerin, Konzertmeisterin und Solistin verschiedener Ensem- bles in Europa und Südamerika gefragt. 2003 gründete Mónica Waisman mit Florian Deuter das Ensemble Harmonie Universelle. Florian Deuter kann auf eine bemerkenswerte Karriere im Bereich der histo- rischen Aufführungspraxis zurückblicken. Diese begann 1986 mit der Einla- dung durch Reinhard Goebel zu Musica Antiqua Köln, wo Florian Deuter von 1994 bis 2000 auch die Konzertmeisterposition einnahm. Sein herausra- gendes Talent und seine unstillbare Energie brachten ihn schnell auch an die Spitze anderer renommierter Ensembles im Bereich der Alten Musik. So wirkte er als Konzertmeister u.a. beimGabrieli Consort unter der Leitung von Paul McCreesh, bei Chapelle Royale undCollegiumVocale Gent unter Philip- pe Herreweghe und bei MarcMinkowskisMusiciens du Louvre. Hinzu kom- men solistischeAufgaben und Konzertmeister-Positionen imAmsterdamBa- roque Orchestra unter TonKoopman, demEuropean Baroque Orchestra, Mu- sica ad Rhenum und Capriccio Stravagante. 2003 gründete Florian Deuter das Ensemble Harmonie Universelle, um mit ihm die Kammermusik- und Orchesterliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts neu zu entdecken. zum Programm: Im Zentrum dieses Konzerts steht das Concerto grosso, eine bedeutsame Gattung der hoch- und spätbarocken Orchestermusik, die sich insbeson- dere durch den Wechsel zwischen Solisten („Concertino“ genannt) und vollem Orchester („Tutti“ oder „Ripieno“) auszeichnet. Der italienische Komponist und Violinist Arcangelo Corelli (1653-1713) gilt als einer der Hauptvertreter dieser Gattung. In diesem Zusammenhang ist es sicher keine Übertreibung, von einer „Corellimanie“ im 18. Jahrhundert zu spre- chen. Noch lange nach seinem Tod beeinflusste Arcangelo Corelli die Komponisten zwischen Stockholm und Rom. So schrieb Georg Philipp Te- lemann (1681-1767) „Corellisierende Sonaten“ und Georg Friedrich Hän- del (1685-1759) nahm sich Corellis Op. 6 für seine zwölf Concerti grossi Op. 6 von 1739 zum Vorbild. Corelli war also bereits zu Lebzeiten der ab- solute „Klassiker“, als den wir ihn noch heute, über dreihundert Jahre nach seinem Tod, schätzen. Neben drei Concerti aus seinem berühmten Op. 6 stehen Werke von Giovanni Mossi (1680-1742), Pietro Antonio Loca- telli (1695-1764), Antonio Vivaldi (1678-1741) und Francesco Geminiani (1687-1762) auf dem Programm. Bei Corellis zwölf Concerti grossi Op. 6 sind acht Stücke (Nr. 1-8) im soge- nannten „stile da chiesa“ und vier (Nr. 9-12) im „stile da camera“ geschrie- ben. Eine „sonata da chiesa“ (Kirchensonate) ist ein Sonatentypus mit mehreren (oft vier) Sätzen, der für die Kirche konzipiert war. Bei einer „so- nata da camera“ handelt es sich hingegen um eine Art weltliche Solo- oder Triosonate. Diese Bezeichnung ist erst im späten 17. Jahrhundert ge- bräuchlich. In diesem Modell folgt einem Eröffnungspräludium eine Ab- folge von Tanzsätzen. Corelli stellte sehr hohe Anforderungen an sein Werk. So hat er seine Concerti mehrfach überarbeitet und ging bei der Drucklegung von Op. 6 äußerst skrupulös vor. Gewidmet hat er die Con- certi dem Kurfürsten von Pfalz-Neuburg, Johann Wilhelm. Eine besondere, unverkennbare Klangfarbe bekommt die heutige Inter- pretation durch den Einsatz von zwei Trompeten und einer Posaune – eine Praxis, die zur Steigerung der Festlichkeit beiträgt, die durch zeitge- nössische Aufführungsberichte belegt ist und Corellis oft zarter Kunst eine ungeahnte klangliche Präsenz und Schlagkraft verleiht. Die drei heute gespielten Concerti (Nr. 1, 4 und 7) sind idiomatisch überaus pas- send für diese spezielle, die Balance der klassischen Besetzung der Con- certi grossi deutlich verändernde Praxis ausgewählt. Bei dem Concerto für zwei Geigen, Streicher und Basso continuo in F-Dur (RV 765) handelt es sich um ein bislang nahezu unbekanntes Werk von Antonio Vivaldi. Dieses gibt es auch in einer Version für Violine und Orgel als Soloinstrumente. Vivaldi verwendete für seine Concerti grossi einen dreisätzigen Typus (schnell-langsam-schnell), der von einem großen Be- setzungs- und Formenreichtum sowie einer prägnanten Thematik ge- kennzeichnet ist. Im Mittelsatz dominiert eine kantable Melodik, in den schnellen Sätzen findet ein rondoartiger Wechsel zwischen Tuttiritornel- len und modulierenden Concertinoepisoden statt. In Vivaldis Concerto fungiert das im Zentrum stehende Larghetto im Zusammenhang mit den anderen Teilen als wunderbarer Ruhepol. Pietro Locatelli knüpft bezüglich Stil und Aufbau seines Op. 1, Nr. 4 in e-Moll an die Concerti grossi Op. 6 von Corelli an. Er bedient sich dersel- ben Aufteilung in „Concerti da chiesa“ und „Concerti da camera“ . Bei bei- den Werken ist das achte Konzert für das Weihnachtsfest bestimmt und es erklingt abschließend eine Pastorale. Locatelli greift zudem in die Zusam- mensetzung der Klangfarben des Concertino und des Ripieno ein, indem er den beiden Violinen, der Viola und dem Bass zur Vergrößerung des Klangvolumens eine weitere Viola an die Seite stellt. Originell ist auch sein freierer Umgang mit den beiden normalerweise kontrastierenden In- strumentengruppen. Laut dem Musikwissenschaftler Arnold Schering ist Locatelli mit seinem Op. 1 zu einem „der ersten Vertreter des Zeitalters der Empfindsamkeit […] geworden“. T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 39 Foto: Knut Utler Mónica Waisman & Florian Deuter Arcangelo Corelli

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