Tage Alter Musik – Programmheft 2015

lieu dieser kanonischen Fantasie eher unerwartete Einlage. William Lawes nimmt wohl die radikalste Position im Umgang mit kon- trapunktischen Regeln ein, da er sie nämlich oft genug gänzlich ignoriert. Vielmehr scheint seine Musik dem Kontrapunkt im Dienste einer lebendi- geren und durchsichtigeren Art von Polyphonie eine lange Nase zu dre- hen: Er weidet sich genussvoll an zerklüfteten Melodien, sperrigen Über- lagerungen, launischen kontrapunktischen Abwegen und harmonischen Schnitzern. Dieser Radikalismus zeitigt erstaunliche emotionale Auswir- kungen, da Lawes damit eine ganze Palette von Gefühlen aufdeckt, die sich so nur bei ihm findet. Seine sublimsten Inspirationen entstammen dem Bereich des Schmerzes und Verlusts. Er fürchtet sich nicht vor Trost- losigkeit und Schwermut und zögert nicht, die unwahrscheinlichsten, kantigsten und selbst hässlichsten Themen in seine kontrapunktischen Konstruktionen einzuführen - wie etwa in all seinen Moll-Fantasien. Und er kann ausgesprochen kompromisslos sein, wenn er sich einmal der Strenge verpflichtet hat, wie in den - trotz einiger herzzerreißender, aber flüchtiger Hoffnungsschimmer - doch sehr krassen Konturen von On the Playnesong in g-Moll. John Jenkins trifft man in seinen fünfstimmigen Consorts, die möglicher- weise bereits in den 1620er Jahren komponiert wurden, auf der Höhe sei- ner kompositorischen Meisterschaft an: Er modelliert hier höchst experi- mentelle Werke, die die Aufnahmefähigkeit von Ausführenden und Hö- rern erbarmungslos auf die Probe stellen. Das Eigenartige an Jenkins ist, dass die uns erhaltenen Berichte über seine Person kaum etwas von dem widerspiegeln, was man in seiner sinnenfreudigen und herausfordernden Musik vernimmt: Weit davon entfernt, einen Geist zu beschreiben, der die polyphone Polis mit demokratischen Exzessen erschütterte, zeigen die historischen Quellen im Gegenteil einen Musiker, der in erster Linie für seine Kameradschaft und ausgeglichene Persönlichkeit gefeiert wurde. Ein gut Teil der wütenden und stürmischen Schönheit, die an der Oberflä- che seiner Consorts wahrzunehmen ist, rührt von der Vorliebe des Kom- ponisten für verschobene Akzente her: Themeneinsätze und Passagen, die imitiert werden und die mal mit dem vorherrschenden Schlag auftauchen, mal gegen ihn. Obwohl seine Fantasien von einem starken Puls getrieben werden, finden sich darin doch auch einige der erstaunlichsten Akzent- verschiebungen des gesamten englischen Consort-Repertoires. Denn na- türlich ist Rhythmus ausnahmslos hierarchisch angelegt und reflektiert gewissermaßen, wie unser Körper sich der Schwerkraft unterwirft oder sich ihr zu widersetzen sucht. Wenn Jenkins also boshafte Spiele mit har- monischem Rhythmus treibt oder irreführende Informationen über den geltenden Puls in die Musik schmuggelt - wie in den Fantasien unseres Programms -, dann stößt er Musiker und Hörer gemeinsam in ein Univer- sum, in dem alles auf dem Kopf steht und in dem man eines wesentlichen Urwissens verlustig geht - nämlich der Fähigkeit, Oben von Unten zu un- terscheiden. Aber wie vergnüglich ist doch die Schwerelosigkeit, insbe- sondere dann, wenn der Komponist - letztendlich - so freundlich ist, seine Hörer auch wieder auf den Erdbo- den zurück zu geleiten! Mit Henry Purcells Stellungnahme zum Thema „Fantazia“ geht die englische Polyphonie für Gamben- Consort zu Ende. Schon im zarten Alter von 20 Jahren - all seine Con- sorts entstanden im Laufe eines Sommers - gelang es Purcell nicht nur, den über Jahrhunderte ange- sammelten Wissensschatz zur eng- lischen Kontrapunktik zusammen- zuführen, sondern dieser inzwi- schen gar ehrwürdigen Norm auch noch seinen erschreckend persönli- chen Stempel aufzudrücken. Wäh- rend die Fantazia No. 7 in den schmerzhaften Dissonanzen des engli- schen Querstands verkehrt, wagt er es in seiner letzten Fantazia upon one Note , einen der Gambisten das ganze Stück hindurch eine einzige Note - ein c 1 - halten zu las- sen: die prachtvolle letzte Blüte einer au- ßergewöhnlichen musikalischen Tradition. © Laurence Dreyfus, Übersetzung: Andrea Braun T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 45 A usfüHREnDE P HAnTAsM Laurence Dreyfus Diskant-Viola da gamba & Leitung Emilia benjamin Diskant-Viola da gamba Jonathan Manson Tenor-Viola da gamba Mikko Perkola Tenor-Viola da gamba Markku Luolajan-Mikkola Bass-Viola da gamba P ROGRAMM C HRisTOPHER T YE In nomine a 5 „Rounde“ (ca. 1505-?1572) In nomine a 5 „Crye“ O RLAnDO G ibbOns 2 Fantasies a 3 (ca. 1620) (1583-1625) In nomine II a 5 W iLLiAM b YRD Prelude and Ground a 5 (1540-1623) Fantasia a 5 („Two parts in one“) H EnRY P uRCELL Fantazia 6 a 4 (1659-1695) Fantazia 7 a 4 Fantazia 8 a 4 PAUSE W iLLiAM L AWEs Consort Sett in g (1602-1645) Fantazy On the Playnesong Aire J OHn J Enkins Fantasy 16 in D a 5 (1592-1678) Fantasy 15 in D a 5 Pavan 2 in g a 5 W iLLiAM L AWEs Consort Sett in a a 5 (1602-1645) Fantazy Fantazy Aire H EnRY P uRCELL Fantazia 9 a 4 Fantazia 11 a 4 Fantazia upon one Note a 5 Henry Purcell Cover der CD “William Byrd: Complete Consort Music” von Phantasm

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=