Tage Alter Musik – Programmheft 2015

zum Programm: Im heutigen Konzert wird Vokalmusik von frühneuzeitlichen Komponisten aus Italien und Spanien gesungen. Das Programm beginnt mit dem Werk eines spanischen Komponisten, der – anders als die später folgenden – sein berufliches Wirken großteils auf seine Heimat beschränkte. Francisco Guer- rero wurde um 1527 in Sevilla, zu dieser Zeit eine der reichsten Städte Spa- niens, geboren. Aufgrund seiner beruflichen Laufbahn als Kapellmeister be- steht sein Œuvre nahezu ausschließlich aus geistlicher Vokalmusik. Neben einigen Messen steht vor allem die Gattung Motette imVordergrund. Guer- rero zählt zu den bedeutendsten Komponisten des 16. Jahrhunderts und er- langte schon zu Lebzeiten internationale Reputation: seine Werke wurden unter anderem in Löwen, Paris, Rom und Venedig gedruckt. Ein ebenfalls spanischer Komponist ist Tomás Luis de Victoria, der um 1548 bei Ávila ge- boren wurde, aber bereits als 27-Jähriger nach Italien, genauer Rom, über- siedelte, wo er eine Stelle im Vatikan innehatte. Das erklärt auch, warum de Victorias Œuvre ausschließlich aus geistlicher Vokalmusik besteht. Über Francisco de Peñalosa ist nur wenig bekannt, er wurde vermutlich um 1470 in Talavera de la Reina, in der Nähe von Madrid, geboren. Er hatte zweifellos das Glück, dass seine Karriere als Komponist und Sänger mit dem Anbruch des Goldenen Zeitalters in Spanien zusammenfiel: Sein Wer- degang umspannt die Zeit der Eroberung Granadas und der endgültigen Vertreibung der Mauren, der Entdeckung der Neuen Welt und des raschen Aufstiegs Spaniens zur herrschenden Weltmacht im 16. Jahrhundert. Peña- losas Stil basiert vor allem auf Josquin Desprez, jedoch findet man bei ihm viel engere formale Strukturen und geschliffenere Gesten, was zu großer emotionaler Expressivität in seiner Musik führt. Der bekannteste Komponist des heutigen Programms, der 1525 geborene Giovanni Pierluigi da Palestri- na, wurde auf Wunsch des Papstes Mitglied im Sängerkollegiumder Sixtini- schen Kapelle; später erhielt er sogar den Ehrentitel „Komponist der päpst- lichen Kapelle“, den neben ihm nur ein weiterer Komponist innehatte. Die geistliche Vokalmusik des 16. Jahrhunderts bietet ein sehr breites Gat- tungsspektrum: auf dem heutigen Programm stehen Motetten, eine Messe und Lamentationen. Die vierstimmige Motette Regina Caeli von Francisco Guerrero ist in zahlreichen Handschriften und Drucken überliefert. „Regi- na caeli“ (Himmelsgöttin) ist ein Ehrentitel für Maria, die als Mutter Gottes an der Himmlischen Herrlichkeit ihres auferstandenen Sohnes Jesu teilhat. Guerrero zitiert die bekannte Choralmelodie meistens in der Oberstimme. Eine weitere Motette ist Gaudent in coelis , die wir in Vertonungen von Tomás Luis de Victoria und von Giovanni Pierluigi da Palestrina hören. Es handelt sich um die Magnificat-Antiphon für das Fest der Märtyrer. Beide Komponisten entscheiden sich für eine dreiteilige Mensur auf „exsultant sine fine“ (sie jubeln ohne Ende); in Palestrinas Motette ist die Choralmelo- die stets präsent, sie „vagiert“ allerdings von der einen Stimme zur nächs- ten und durchdringt so die gesamte Komposition. In seinen Lamentationen für die Karwoche, die in einer Handschrift aus dem Archivio Capitular von Tarazona überliefert sind, wechselt Francisco de Peñalosa zwischen homophonen und imitatorischen Passagen und er- reicht dadurch interessante Texturkontraste, die dem Stil Josquin Desprez‘ nicht unähnlich sind. Als Choralvorlage diente höchstwahrscheinlich das 1516 gedruckte Passionarium toletanum . Im Zentrum des Konzerts steht ein Werk, das allein schon wegen seiner Länge und Mehrteiligkeit hervorsticht: die Missa O quam gloriosum et reg- num aus dem Jahr 1583. Sie ist vierstimmig und zählt, wie fast alle Messen bei de Victoria, zu den sogenannten Parodiemessen. Das heißt konkret, dass dieser Messe ein anderes, bereits komponiertes Werk aus der eigenen Feder oder aus der eines anderen Komponisten zugrunde liegt. In diesem Fall basiert die Messe auf der gleichnamigen Motette von de Victoria aus dem Jahr 1572. De Victoria setzt dieses Verfahren jedoch sehr subtil ein: Er separiert einzelne Elemente aus der gleichnamigen Motette und variiert diese imVerlauf der Messe. ImGloria sind öfter sich abwechselnde Stimm- paare zu hören. Diese Paarbildung kennzeichnet auch den Anfang des Credo. Bei der Textstelle „Et incarnatus est“ singen alle Stimmen jedoch homophon, sodass der Text klar verständlich ist und die Aussage des Tex- tes, die von der Menschwerdung Gottes handelt, betont wird. Außerdem wechselt de Victoria zu einem Dreiermetrum. Ein solcher Wechsel ist auch im „Hosanna“ hörbar. Im „Benedictus“ wird die Stimmzahl auf drei redu- ziert. Auffallend melismatisch ist die Gestaltung des Wortes „Amen“ im Gloria und im Credo. © Katharina Wölfl, UR T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 47 P ROGRAMM f RAnCisCO G uERRERO Regina caeli (1528 – 1599) T OMás L uis DE V iCTORiA Gaudent in coelis (1548-1611) T OMás L uis DE V iCTORiA Missa „O quam gloriosum“ - Kyrie eleison - Gloria in excelsis Deo - Credo in unum Deum - Sanctus – Benedictus - Agnus Dei G iOVAnni P iERLuiGi DA P ALEsTRinA Gaudent in coelis (1525-1594) f RAnCisCO DE P EñALOsA Lamentationes Hieremiae Prophetae (ca. 1470-1528) Sendetermin auf BR Klassik: 21.7.2015, 20.03 Uhr Sendetermin im Deutschlandfunk: 16.11., 22.05 Uhr A usfüHREnDE n EW Y ORk P OLYPHOnY Geoffrey Williams Countertenor steven Caldicott Wilson Tenor Christopher Dylan Herbert Bariton Craig Phillips Bass Im Vertrieb von Klassik Center Kassel “rich, natural sound that’s larger and more complex than the sum of its parts” (National Public Radio)

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