Tage Alter Musik – Programmheft 2015

zum Programm: Zwischen 1709 und 1760 wurde Dresden, das „Elbflorenz”, unter dem Einfluss Augusts des Starken zum Treffpunkt der besten Musiker Europas. Die Dresdner Hofkapelle orientierte sich zunächst am Vorbild des französischen Königshofs, später dann am italienischen Stil und führ- te schließlich beide Einflüsse zu dem von den deutschen Komponisten so geschätzten „vermischten Geschmack” („Goûts Réunis“) zusammen. Der geniale Konzertmeister Johann Georg Pisendel führte durch Diszip- lin, Virtuosität und eine ungewöhnliche Klangfülle das „schönste Orches- ter Europas“ auf ein zuvor nie gekanntes Niveau. Es wurde zum Fixstern, um den sich die größten Komponisten der dama- ligen Zeit scharten, die von ihrem jeweiligen Heimatland aus ihre Werke dem bewunderten Ensemble widmeten. Was könnte die europäische Idee schöner, attraktiver und faszinierender verkörpern als dieses Orchester, zu dessen Repertoire die Werke aller wichtigen europäischen Barockkom- ponisten gehörten: Jean-Baptiste Lully, André Campra, Jean-Féry Rebel, Georg Friedrich Händel, Jan Dismas Zelenka, Antonio Vivaldi, Giuseppe Tartini, Pietro Locatelli, Arcangelo Corelli, Johann Georg Pisendel, Georg Philipp Telemann, Johann Joachim Quantz, Johann Friedrich Fasch und Adolf Hasse. „Per l’orchestra di Dresda“ – die berühmte Widmung Vivaldis über sei- nem Concerto per molti instrumenti RV 577 ist das Motto, unter dem Les Ambassadeurs das Repertoire der Hofkapelle wiederbeleben: opulent in- strumentierte Concerti und Ouvertüren, Partituren mit höchsten Anforde- rungen an die Virtuosität, tiefgründig und experimentierfreudig, aber auch funkelnd und schillernd. Abgesehen von RV 577 gibt es deutliche Belege dafür, dass auch andere Konzerte speziell für das Dresdener Orchester geschrieben wurden – möglicherweise war diese Betitelung weniger notwendig, je gebräuchli- cher sie wurde. RV 569 und RV 562 sowie einige andere Vivaldi-Konzerte (sie alle wurden von Les Ambassadeurs für das Label Alpha aufgenom- men) zeigen das typische Dresdener Profil: von einer markanten virtuo- sen Violine und einem üppig besetzten Orchester werden zurücktretende Solo-Instrumente begleitet: Oboen, Hörner, Fagott und Violoncello. Ob diese Konzerte von Pisendel (dessen Freundschaft mit Vivaldi 25 Jahre währte) bestellt oder ihm von Vivaldi spontan gewidmet wurden, ist nicht bekannt. Aber man wird sofort bemerken, dass diesem Modell des „Con- certo grosso“ viele Dresdener Komponisten folgten: Pisendel selbst, Hei- nichen, Telemann usw... Das Heinichen-Konzert (Gustav Adolph Seibel-Verzeichnis 235) in F-Dur ist sicherlich eines der großartigsten: seine Instrumentierung ändert sich in jedem Satz. So werden zum Beispiel nicht alle Instrumente von Anfang an eingesetzt; das eröffnende Vivace ist ein Doppelkonzert für Oboe und Violine, dann ertönen im zweiten Satz zarte Traversflöten und erst im drit- ten Satz wird Heinichen den Hörer mit dem Einsatz virtuoser Jagdhörner in die äußerste Erregung versetzen. (Hörner waren an der Dresdener Hof- kapelle Soloinstrumente von symbolischer Bedeutung, da August der Starke ein begeisterter Jäger war, und die Virtuosität dessen, was für das Dresdener Horn geschrieben wurde, ist unerreicht geblieben.) Obwohl Johann Joachim Quantz nur der zweite Flötist amHofe war, war er doch ein engagierter und einflussreicher Musiker. Das herrliche Konzert in g-Moll stammt noch aus seiner Dresdener Zeit, also bevor er als Lehrer Friedrichs des Großen nach Berlin zog. So ist dieses Werk zum Beispiel zwar weniger galant als spätere Werke, dafür aber kraftvoller und von tieferem Ausdruck. Sein Höhepunkt ist sicherlich der langsame „amoroso“-Satz. Johann Georg Pisendels einsätziges Con- certo grosso ist ein schönes Beispiel für seine Meisterschaft, wenngleich ungewöhnlich: Tatsächlich gibt es darin keine Solo-Violine. Trotzdem ist es fest mit der Violine verbunden, weil es faktisch ein Arrangement der abgewandelten Solopartie eines seiner großartigsten Violinkonzerte ist. Hinter den funkelnden musikalischen Diamanten der bisher erwähnten Kom- ponisten stand ein umstrittenes Genie im Schatten. Er spielte zwar tatsächlich eine zentrale Rolle in Dresden, aber seine Musik war weniger eingängig und noch weniger leicht spielbar, nämlich Jan Dis- mas Zelenka, Pisendels enger Freund. „Zelenkas Musik fließt nicht wie ein friedlicher Bach dahin, sie erinnert eher an einen reißenden Gebirgsbach, dessen =1EB)/9(E5"*& '+*E5"E1)( C ;9($1+ "5G ' =$*AE1/9$()8F$9 @/8)F)B& -3 ,3 '3 6 6#C 3 >D.1$)!$5F$)1"5( ,#%!+" &#%$/% ()-.!*#'' =<(#3AD" ?#"AD" ) >#;FD"<+#<"7( ) @!3#(# >/#+7(03G;F<D&# 1 .1185 ?#"A+A#<( F#3 2-5:E9.5 $E$$18-% !D' 2-5:E9.5 $E$$18-B 7#F ***6FD;F#743D7(6G# ,D+3 +7!0CFD;F#743D7(6G# :E!$121EB)$9 5ED. =47EF./15)2 =./9/9($1%<0@%- ?$()8F$9 T AGE A LTER M usik R EGEnsbuRG M Ai 2015 54 Canaletto: Ansicht von Dresden oberhalb der Augustusbrücke J. G. Pisendel J. J. Quantz

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