Tage Alter Musik – Programmheft 2016

und Cantus erschienen. Außerdemwurden zahlreiche Konzerte durch große europäische Rundfunkanstalten übertragen. Der Cellist Josetxu Obregón, gründer und künstlerischer Leiter des ensem- bles La Ritirata, wurde in Bilbao geboren und studierte Violoncello, Kam- mermusik und Dirigieren. er schloss seine Ausbildung (Bachelor & Master) in Spanien und Holland ab. In Den Haag studierte er Barockvioloncello am Koninklijk Conservatorium und wurde vonAnner Bylsma besonders geför- dert. Josetxu Obregón hat sich auf Alte Musik spezialisiert, aber sein solisti- sches Repertoire umfasst Werke aller epochen. er unterrichtet am Real Con- servatorio Superior in Madrid. er spielt ein Violoncello von Sebastian Klotz aus dem Jahr 1740. Zum Programm: Spiritillo: Nach dem Volksglauben ein himmlisches Wesen, das seit Jahrhunderten in den Straßen Neapels lebt, wie ein Kobold von Haus zu Haus geht und versucht, die Fehler der Menschen zu rechtfertigen. Brando: Italienische Bezeichnung für die „branle“, einen französischen Renais- sancetanz, dessen Schritte in der Orchésographie (1588) des Thoinot Arbeau beschrieben wurden, der Kanoniker in Langres war. Nach dem triumphalen einzug Alfons’ V. von Aragon (genannt „el Mag- nanimo“, der großmütige) in Neapel im Jahr 1443 entwickelte sich der dor- tige Hof zu einem der kultiviertesten und prachtliebendsten der Renais- sance. Ab 1504 wurde das Königreich Neapel von der spanischen Krone zum Vizekönigreich gemacht, und einige der Vizekönige führten diese humanistische Kulturpolitik fort. Sie wurden zu Mäzenen von Musikern und bildenden Künstlern (unter anderem für den Maler José de Ribera), trotz der Kriege, der Komplotte und der anderen Unglücksfälle, die die bewegte geschichte dieser süditalienischen Region prägten. In der Barockzeit wurde am neapolitanischen Hof ein Zeremoniell befolgt, das strengen Regeln unterlag, die detailliert in einem Buch mit dem Titel Etiquetas de la Corte de Nápoles beschrieben werden, das José Raneo im Jahr 1634 herausgab. Daraus geht hervor, dass die höfischen Tänze über das reine Privatvergnügen hinaus in den Zeremonien einen offiziellen Charakter hatten. Nach dieser Quelle wurde jeder Tanz von einem strengen Protokoll begleitet, das den Rang derjenigen festlegte, die ihn eröffneten, die Positio- nen der Damen und edelleute bestimmte, die daran teilnehmen mussten, sowie die Choreographie und die Funktionen des maestro de dança vor- schrieb, der wohl von entscheidender Bedeutung war. Raneo war kein gelehrter, sondern ein einfacher und ungebildeter Mann, der das beschrieb, was er sah, und denAblauf von Festlichkeiten detailreich veranschaulichte: „Die Violinen hoben zu spielen an, und alle Damen begannen mit einem munteren Tanz“ oder „Die Vizekönigin tanzt niemals“. Trotz der detaillierten Beschreibung der Tänze fehlt ein grundlegendes ele- ment: der Klang dieser Musik mit ihren suggestiven Möglichkeiten, die eine große Intensität erreichen können. Manchmal werden wir durch gewisse Partituren mit einer solchen Macht in eine Zeit oder an einen Ort versetzt, dass wir völlig in eine bestimmte Atmosphäre eintauchen können. Dies ermöglicht uns auf ganz einzigartige Weise der Italiener Andrea Falconieri: Durch ihn lernen wir kaum 20 Jahre nach der Veröffentlichung des Buches aus der Feder von Raneo jene Musik kennen, die man damals imKönigreich Neapel spielte und zu der man tanzte. Falconieri - oder Falconiero - war seit 1639 Lautenist in der Kapelle des Vize- königreichs Neapel; er hatte von 1621 bis 1628 auf der iberischen Halbinsel gelebt. Seine Verbindungen zu zahlreichen Persönlichkeiten des Hofes spie- geln sich beispielsweise in der Widmung einer seiner Chansons ( L'Austria ) wider, die Johann Joseph von Habsburg zugedacht ist, oder im Bezug auf Don Pedro de la Mota in der Corriente dicha la Mota . Falconieri wurde 1647, nach dem Tod seines Vorgängers giovanni Maria Trabaci, Kapellmeister der Hofkapelle und aus seiner Hand ist eine abwechs- lungsreiche und bemerkenswerte Auswahl von Tänzen überliefert, die man bei Hof zu offiziellen Anlässen aufführte. einige dieser Tänze wurden ver- mutlich vor seiner neapolitanischen Zeit komponiert, als er als Lautenist in Parma, Florenz, Modena und genua wirkte. Wir spielen Werke aus seinem primo libro di Canzone, Sinfonie, Fantasie, Capricci, Brandi, Correnti, Gagliarde, Alemane, Volte per Violini, Viole overo altro Strumento á uno, due, et tré con il Basso continuo , das von Pietro Paolini und giuseppe Rizzi 1650 in Neapel gedruckt wurde, sechs Jahre vor dem Tod des Komponisten während einer schrecklichen Pestepidemie, die in der kampanischen Hauptstadt verhee- rende Auswirkungen hatte. Diese Sammlung umfasst 58 Werke, darunter 32 dreistimmige, 54 zweistim- mige und 12 einstimmige Stücke, wobei die Auswahl der Instrumente den Interpreten überlassen bleibt. Die Kompositionen sind in zwei bis vier Abschnitte unterteilt, der dreiteilige Aufbau kommt dabei am häufigsten vor. Wie es in der italienischen Musik dieser Zeit üblich war, finden sich nur selten Tempoangaben, aber gelegentlich kommen italienische ( si sona presto , schnell zu spielen) oder spanische ( muy despacio , sehr langsam) Anmerkungen vor. Auch die Titel der Werke sind in einer reizvollen Mischung aus Kastilisch und Italienisch verfasst, die die sprachlichen gege- benheiten des Palastes widerspiegeln. Hier kann nicht in allen einzelheiten auf jedes der Werke eingegangen wer- den, die das ensemble La Ritirata im heutigen Konzert spielt, aber einige sollen doch kurz beschrieben werden. Die Pasacalle, die Folias echa para mi Señora Doña Tarolilla de Carallenos und die Ciaccona (ein Auszug aus L'eroica) werden durch Variationen strukturiert. Die Battaglia de Barabaso yerno de Satanás entspricht der deskriptiven musi- kalischen Form der battaglia und bezieht sich thematisch auf eine inferna- lische und diabolische Vorstellungswelt, die wohl zum kollektiven Bewusst- sein der Neapolitaner gehörte, denn man findet sie auch in anderen Titeln dieser Sammlung wieder: Riñen, y pelean entre Berzebillo con Satanasillo, y Caruf, y Pantul oder Bayle de los dichos Diabolos . 13 T Age A LTeR M USIK R egeNSBURg Mai 2016 Gaspar Sanz Domenico Gabrielli Diego Ortiz: Trattado De Glosas

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