Tage Alter Musik – Programmheft 2016

24 T Age A LTeR M USIK R egeNSBURg Mai 2016 taten sind für Alt-Solo geschrieben, sodass die Vermutung nahe liegt, dass Bach für diese Kantaten auf einen herausragenden Alt-Solisten zurück- greifen konnte; insgesamt hat er nur etwa zehn Kantaten mit nur einer Solostimme komponiert. Die Texte der beiden Kantaten, bei denen her- vorzuheben ist, dass sie keine Bibelwortzitate beinhalten, wurden von georg Christian Lehms (1684–1717), dem in Darmstadt ansässigen Hof- poeten und Hofbibliothekar, verfasst. Die Kantate BWV 170 wurde am sechsten Sonntag nach Trinitatis 1726 zum ersten Mal aufgeführt. An diesem Tag wurde im evangelium die Bergpredigt (Matthäus 5, 20-26) gelesen, in der Jesus dem Volk Israel den Willen gottes kundtut. Unter anderem verlangt Christus von seinen Anhängern mehr gesetzestreue und missbilligt jeglichen Streit unter den Mitmenschen. Auch die Kantate steht im Zeichen der Nächstenliebe. Zu Beginn singt die Alt-Solo-Stimme im ruhigen 12/8-Takt „[…] beliebte See- lenlust, dich kann man nicht bei Höllensünden, wohl aber Himmelsein- tracht finden […]“. Damit versetzt sich die Seele nach Daniela Wissemann in den Zustand engster Verbundenheit mit gott. Musikalisch wird dies von Bach umgesetzt, indem er bei den „Höllensünden“ eine abwärts lau- fende und im gegensatz dazu bei der „Himmelseintracht“ eine aufwärts laufende Tonfolge komponierte. Im anschließenden Rezitativ, „Die Welt, das Sündenhaus“, soll der gegensatz zwischen den „Höllensünden“, durch deren gottferne die Wirklichkeit der Welt bestimmt wird, und der „Himmelseintracht“ dazu dienen, der Welt ihre Lasterhaftigkeit vor Augen zu führen. In der zentralen Arie werden nun die Menschen, die diesen Sünden verfallen sind, bedauert. Die Altstimme singt hier „Wie jammern mich doch die verkehrten Herzen, die dir, mein gott, so sehr zuwider sein. Ich zitt‘re recht und fühle tausend Schmerzen, wenn sie sich nur an Rach‘ und Hass erfreu‘n […]“ und verkörpert damit fühlende Nächstenliebe. Bach wählt hier eine harmonisch abenteuerliche Sprache und versinnbildlicht das labile Fundaments, auf dem die Welt steht. Bezeichnenderweise „fehlt“ hier der generalbass als harmonische Stütze. Im darauffolgenden Rezitativ wird nach Wissemann die Sehnsucht der Seele nach einem Leben bei gott zumAusdruck gebracht. Dieser Teil leitet zur Abschlussarie über: „Mir ekelt mehr zu leben, drum nimmmich, Jesu, hin!“ Dieser Ruf sei jedoch nicht als Todessehnsucht zu verstehen, son- dern drückt das Verlangen zur Verbindung mit gott aus, wie die Alt- stimme am ende auch treffend formuliert: „[…] mir graut vor allen Sün- den, lass mich dies Wohnhaus finden, wo selbst ich ruhig bin“. Diese positive Botschaft spiegelt sich auch in der Verwendung von D-Dur und dem schnellen Tempo wieder. In den beiden letzten Arien ist in Bachs Partitur eine obligate Orgel vor- gesehen, wobei die Orgelstimmen nur in der autographen Partitur und nicht in den ebenfalls erhaltenen Stimmen überliefert sind. Dies könnte bedeuten, dass Bach selbst bei der Aufführung in der Leipziger Nikolai- kirche den Orgelpart aus der Partitur spielte. Georg Philipp Telemann Johann Sebastian Bach: Gemälde von Elias Gottlieb Haussmann, 1746 St.-Oswald-Kirche Die gotische Kirche des 1318 erstmals erwähnten „Spitals auf Turnau“ wurde von Friedrich Auer und Karl Prager gestiftet und in der Folgezeit vom reichen Patriziergeschlecht der Auer reich beschenkt. Sie ist dem hl. Oswald, dem Patron der Pilger und Reisenden, besonders aber der Kreuz- fahrer, geweiht und steht an der ein- mündung des Vitusbacharmes in die Donau, am sogenanntenWeißgerber- graben, dem ehemaligen graben der frühmittelalterlichen Stadtmauer (um 920 von Herzog Arnulf von Baiern errichtet). Hier waren gerber ansäs- sig, die das feine, weiße Leder her- stellten. 1553 wurde St. Oswald vom Rat der Stadt an die protestantische Kirche übergeben, 1708 barockisiert. Dabei entstand eine für Bayern ein- malige „Bilderpredigt“ an Decke und emporen: „Des Herren Wort bleibt in ewigkeit“. 1750 errichtete hier der Regensburger Orgelbauer Franz Jakob Späth seine heute einzig erhal- tene Barockorgel (a = 468 Hz), eine vonmaximal fünf original erhaltenen Barockorgeln Bayerns. Die letzte Res- taurierung von Kirche und Orgel, bei der die Orgelmodernisierung von 1958 rückgängig gemacht wurde, war am 6. 10. 1991 abgeschlossen.

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